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Quelle: dpa/J. Büttner

Interview | Angst vor dem Instrumentenverlust

"Kaum eine Chance für den Dieb"

Passiert einem Schlimmes, braucht man keine Ratschläge. Aber es hilft, das Leiden zu besprechen: Einer Musikerin wurde eine teure Geige im ICE gestohlen. Der Direktor des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin Thomas Schmidt-Ott über Verlustangst, Musiker im Bistro und Taschentücher.

Geigen sind teuer. Alte, gute Geigen sind richtig teuer. Für Schlagzeilen sorgte eine Berufsmusikerin, die in Berlin kürzlich mit ihrem Instrument in den Zug stieg. In Stuttgart dann war es weg. Eine Geige aus dem 17. Jahrhundert im Wert von mehr als 100.000 Euro. In den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke folgte erstmal kübelweise Häme. Aber was bleibt? Fragen wir Thomas Schmidt-Ott. Er ist Orchesterdirektor und Cellist. Der Berliner kennt den Schreckmoment, kennt die kuriose Preisentwicklung hochwertiger, historischer Instrumente, und er kennt einen Trick, der dem Alter der Geige grob gerecht wird, aber vielleicht nicht ihrem Wert.

Schmidt-Ott wurde 1965 in Berlin geboren. Er ist Cellist, promovierter Kulturmanager und heute Orchesterdirektor des Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. | Quelle: AAPimages / Timm

rbb|24: Herr Schmidt-Ott, eine Geige für 150.000 Euro oder sogar mehr - das gehört für Sie als Orchesterdirektor und Musiker zum Alltag. Und Sie sind unterwegs mit kostbaren Instrumenten. Hatten Sie schon einmal solch einen Moment, in dem die teure Geige nicht mehr da war?

Thomas Schmidt-Ott:
Nein. Nie. Man kennt zwar solche Fälle. Man hört davon hin und wieder unter Berufsmusikern. Vielleicht passiert es dem oder der ein oder anderen, dass man tatsächlich sein Instrument im Koffer im Flugzeug vergisst, weil man irgendwie mit den Gedanken woanders ist beim Aussteigen. Ja. Kann passieren. Aber es ist höchst selten. Ich persönlich habe keine solche Erfahrung, vielleicht aber auch nur, weil mein Instrument ein bisschen größer ist. Ein Cello. Das steht gerne mal im Weg. Das übersieht man nicht und lässt es somit auch nicht liegen. Und vor allem: Das ist nicht so leicht zu klauen. Ein Dieb fällt damit auf.

Cellos sind also schwer zu klauen?

Ja. Aber auch da gibt es Fälle. Die Fälle, die ich kenne, sind schon ein bisschen her: ein Cello im Telefonhäuschen kurz abgestellt - und dann vergessen. Oder im Auto gelassen, aufgebrochen und gestohlen. Aber eigene Verlusterfahrungen bei meinem Cello habe ich - Gott sei dank - nicht.

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Aber vielleicht kennen Sie betroffene Musiker in Ihrem Orchester? Wer ist besonders betroffen von solchen Verlusten - oder gefährdet?

Nein, im Deutschen Symphonie-Orchester haben wir meines Wissens keine solche Erfahrung. Und klar: Wer ist besonders betroffen von Diebstahl? Letztlich jeder, der möglicherweise fahrlässig sein Hab und Gut irgendwo in der Bahn transportiert oder im Flugzeug oder im Bus und dann nicht darauf aufpasst. Die südkoreanische Geigerin Min Jin Kym aß Mitte der 2000er Jahre ein Sandwich in einem Londoner Bahnhof, als jemand ihre Stradivari klaute. Das Instrument blieb jahrelang verschwunden. Man fahndete nach den Tätern. Beweise, die die britische Polizei sammelte, führten 2011 zur Verurteilung von drei Männern. Die hatten zwischendurch versucht, ihr Diebesgut für 100 Pfund auf einem Flohmarkt zu verkaufen. Das Vorhaben flog auf, die Geige tauchte fast unversehrt in einem Schloss im Zentrum Englands wieder auf. Sie sehen: Es kann jeden treffen, und wie sich die Geschichten dann entwickeln, ist unvorhersehbar.

Aber Hunderttausende oder gar Millionen Euro im Gepäckfach - oder am Imbiss?

Ja. Kann durchaus sein, dass solche Werte transportiert werden. Wenn das DSO auf Tour geht, transportieren die Musikerinnen und Musiker viele Millionen von Stadt zu Stadt. Der Schaden wäre bei Verlust erheblich - gerade bei Streichinstrumenten, die zum Teil unfassbare Werte haben: Der Spitzenreiter: "The MacDonald-Viola" von Stradivari wurde schon vor Jahren für 45 Millionen US-Dollar taxiert. Bei guten Instrumenten trägt man gut und gern mal eine Million oder mehr mit sich rum. Da ist bei Diebstahl natürlich der Schaden immens.

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Bahn, Bus - oder wie in dem von Ihnen geschilderten Fall: die Telefonzelle - das sind viele Orte und viele Gelegenheiten. Gibt es Schwerpunkte, wo vielleicht der Verlust von Instrumenten am größten ist, an welchen Orten kommen besonders viele Instrumente weg?

Im Prinzip kann der Diebstahl überall passieren: Backstage im Theater wie in der U- oder S-Bahn, auch gerne mal aus dem Auto. Aber: Da sind die Versicherungsverträge sehr genau. Man muss das Instrument am Mann oder an der Frau tragen. Man muss, wenn es dann weg ist, nachweisen können, dass man sich nicht davon entfernt hat und es nicht aus den Augen verloren hat, dass man also seiner Fürsorge- oder Aufsichtspflicht nachgekommen ist. Es muss zudem ein Diebstahl vorliegen, der polizeilich erfasst ist - und alles was damit zusammen hängt. Im aktuellen Fall war es - meines Wissens nach - eine Landolfi-Geige, da sind Sie gut und gerne mit 120.000 bis 150.000 Euro mit dabei.

Die Versicherung macht also genaue Vorgaben, damit man auch etwas wiederbekommt?

Richtig, man muss sehr, sehr vorsichtig sein. Und man muss seine Police sehr gut kennen, wenn man den Verlust der Versicherung anzeigt. Mir ist bekannt, dass normalerweise, wenn solch ein Diebstahl oder Verlust passiert, die Versicherung zahlt, aber oft ist das Instrument nicht in der Größenordnung des eigentlichen Werts versichert. Es kann also passieren, dass man nicht den Wert erstattet bekommt, den das Instrument eigentlich hatte.

Besser ist also: Anschließen oder abschließen. Aber wenn man dann eben im Zug doch mal aus dem Abteil muss, um sich vielleicht einen Kaffee zu holen?

Wenn Sie sehen, dass jemand im ICE mit der Geige im Koffer ins Restaurant strebt, wissen Sie, oder können erahnen: Das da drin ist keine Fälschung. Nichts vom Flohmarkt. Darin steckt - wahrscheinlich - ein altes italienisches Instrument.

Also ganz einfach: Es ist besser, die Geige immer dabei zu haben?

Ja. Gerade bei teuren Instrumenten. Wenn Sie 1960 eine "Strad" gekauft haben, dann hat die damals 80.000 Mark gekostet. Heute ist sie bis zu 20 Millionen Dollar wert. Kein Wertpapier der Welt hat einen solchen prozentualen Wertzuwachs in den letzten 50, 60 Jahren wie alte historische Instrumente aus Cremona und Milano. Die Strads sind im Wert um 26.000 Prozent gestiegen zwischen 1960 und 2020. In der gleichen Zeit ist der Dow Jones Industrial 1.500 bis 2.000 Prozent gestiegen - in etwa. Wer damals eine Ford-Aktie gekauft hat, dessen Geschäft lief deutlich anders als bei denen, die eine Strad gekauft haben.

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Angesichts dieser Werte könnte man sich doch vorstellen, dass sich hier organisierte Kriminalität lohnt.

Nein, definitiv nicht. Organisierte Kriminalität funktioniert beim Autodiebstahl - vielleicht. Aber nicht bei feinen Instrumenten. Bei Autos gibt es einen großen Markt. Der Markt aber für hochwertige, alte italienische Instrumente ist so klein und so individuell bekannt, dass sich da keine Hehlerstrukturen und Verkaufsstrukturen entwickeln könnten. Allein das Fachwissen eines Diebes muss so groß sein, dass er dann wahrscheinlich in dem Markt auch selber beruflich und regulär unterwegs sein könnte. Er müsste auch eine Vertriebsstrategie haben, muss also in den Flieger steigen können und morgen in Tokio oder Shanghai sein und dort auch verkaufen.

Wer kommt ihm auf die Schliche?

Ein Geigenbauer, zu dem jeder Musiker, jede Musikerin mit seinem Instrument irgendwann muss, wird das Instrument nehmen, nach hinten in seine Werkstatt gehen, genauer prüfen, was das ist. Und er wird vermutlich die internationale Fahndungsliste des Geigenbauerverbands durchgehen, die nach Meldung des Verlusts dieses Instrument mit hoher Wahrscheinlichkeit erfasst hat. Dann wird er sehr schnell feststellen: Es handelt sich hier um die Landolfi, die im Mai '23 in einem ICE in Deutschland geklaut wurde. Und dann erwartet den abholenden Kunden höchstwahrscheinlich die Polizei.

Keine Chance für den Dieb?

Kaum eine. Und mittlerweile immer weniger. Es gibt von sehr wertvollen Instrumenten seit einigen Jahren dendrologische Gutachten, das sind Gutachten über die Holzchronologie und die Lokalisierung: die DNA eines Instruments, eine Art Holzfingerabdruck der Instrumente. Sehr genau kann hier ermittelt werden, dass das Holz - angenommen - aus dem cremonsischen Wald aus dem 17. Jahrhundert stammt. So etwas zu verkaufen? Never ever!

Gibt es aber vielleicht einen größeren Markt für die Höhere-Mittelklasse-Instrumente, die immerhin Hunderttausdende Euro wert sind?

Also, die Landolfi aus dem Beispiel nun, das ist - ein sehr grober Vergleich zum Automarkt - vielleicht kein Rolls-Royce. Aber sie ist vielleicht ein BMW, und auch den wird man nicht so ohne Weiteres los... Der Verband Deutscher Geigenbauer ist international vernetzt und registriert auch diese Geige, also den BMW. Der Mensch, der diese Geige gestohlen hat - wenn es sich nicht noch herausstellt, dass es ein Irrtum ist - war entweder ein Gelegenheitsdieb oder eine Gelegenheitsdiebin und wird echte Probleme haben, den Wert des Instruments für sich zu erwirken.

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Jetzt ist sie weg, wie kommt sie zurück?

Es ist sehr schwierig, mit diesem Verlust an die breite Öffentlichkeit zu gehen. Wenn so ein Dieb erfährt, welchen Wert er da hat, bekommt er vielleicht Panik und dann kann mit dem Instrument etwas passieren, was nicht passieren sollte, dass sich der Dieb einfach dessen entledigt. Dann findet es sich im günstigen oder auch ungünstigsten Fall auf dem Flohmarkt wieder. Vielleicht aber wird es auf irgendeinem Speicher versteckt oder sogar zerstört. Nicht auszumalen. Man weiß von Instrumenten, die erst nach Jahrzehnten wieder auftauchten. In New York ist 2015 eine vor 35 Jahren gestohlene Stradivari-Geige wieder aufgetaucht. Das wertvolle Instrument wurde dem Violinisten Roman Totenberg nach einem Konzert gestohlen, gefunden wurde es nun im Nachlass eines Kollegen.

Also was rät man?

Was rät man? Keine Ahnung: Obacht, Aufmerksamkeit, Konzentration. Ich bin Cellist und ich muss mich auch zusammenreißen, wenn ich mit meinem Instrument in den Zug steige. Aufpassen muss man also - vielleicht hilft der Knoten im Taschentuch.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Stefan Ruwoldt.

Beitrag von Stefan Ruwoldt

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