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Quelle: dpa/Jens Kalaene

Riesige Nachfrage, unsichere Lieferung

Berliner Praxen beim Corona-Impfen am Anschlag

Seit die Berliner Gesundheitsverwaltung Astrazeneca freigegeben hat für alle, ist in den Arztpraxen die Hölle los. Offensichtlich wollen sich sehr, sehr viele Menschen damit gegen Corona impfen lassen. Ob sich die Lage zum Wochenstart entspannt, ist nicht sicher. Von Sylvia Tiegs

Wenn der Lieferdienst am Montag in Berlins Arztpraxen klingelt, dann könnte es sein, dass er ausschließlich den Impfstoff von Biontech/Pfizer bringt. Klingt verrückt – wo doch Astrazeneca in Berlin gerade erst freigegeben wurde für alle, die ihn haben wollen.

Doch die Gesundheitsverwaltung hat den Nachschub des britisch-schwedischen Vakzins erst einmal abgesagt. Der Berliner Senat habe für kommende Woche nur Biontech angekündigt, sagte der Schöneberger Hausarzt Malik Böttcher am Donnerstag in der rbb-Abendschau. Es fehlt offenbar an Astrazeneca-Nachschub - sowohl für die Berliner Impfzentren, als auch für die Praxen. Warum, ist unklar. Wie auch die Frage, ob es dabei bleibt.

Wolfgang Kreischer, Allgemeinmediziner in Berlin-Zehlendorf und Vorsitzender des Hausärzteverbandes Berlin-Brandenburg, kennt die Unsicherheiten bei der Impfstofflieferung nur allzu gut. Kreischer berichtete am Freitagnachmittag im rbb-Inforadio aus seinem Praxisalltag: "Wir erfahren immer erst montags, was tatsächlich geliefert wird. Diese ganzen Ankündigungen sind oft Schall und Rauch am nächsten Tag. Wir impfen, was kommt." Natürlich gebe es jetzt ein ziemliches Gerangel, aber Kreischer ist sicher: "Wir schaffen das."

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Der Haken dabei: Ob die Impfstofflieferungen zu den Terminen passen, die die Praxen ausgemacht haben, ist völlig offen. Im Kern hängt es davon ab, wie weit die jeweilige Praxis mit ihren Patienten und Impfinteressenten ist. Wolfgang Kreischer führt nach eigenen Angaben aktuell drei verschiedene Wartelisten: Von eigenen Patienten, die in eine Priorisierungsgruppe gehören; von Patienten, die nicht priorisiert geimpft werden müssen, und eine Liste fremder Patienten, die bei ihm geimpft werden wollen.

Wann wer rankommt, entscheidet der Arzt – und sein Vorrat an Impfstoff. Denn die medizinische Haltung zu Astrazeneca spielt schon noch eine Rolle. Die Freigabe für alle bedeutet nicht, dass auch wirklich alle Mediziner*innen den Stoff flächendeckend einsetzen.

So freute sich Hausärztechef Wolfang Kreischer zwar, dass Ärzte wie er Astrazeneca aufgrund der Freigabe jetzt "juristisch abgesichert an alle" verimpfen können. "Wir werden dennoch in unserer Praxis jüngere Frauen nicht mit diesem Impfstoff impfen, sondern mit Biontech", betonte er. Es gebe in seiner Praxis auch etliche PatientInnen, die wollten nur Biontech. Doch auch die Nachfrage für Astrazeneca sei "gewaltig", sagte Kreischer.

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Das haben wahrscheinlich die meisten der rund 1.500 Berliner Praxen gemerkt, die seit Ostern gegen Corona impfen.

Schon gleich zu Beginn hatte sich die interessierte Kundschaft auf Wartelisten setzen lassen – manche in mehreren Praxen auf einmal. Als klar zu sein schien, dass Astrazeneca noch reichlich vorhanden sein würde, zog die Nachfrage weiter an – um am Donnerstag nach der Freigabe durch die Gesundheitsverwaltung schier zu explodieren. Etliche Praxen waren zum Ende der Woche telefonisch nicht mehr zu erreichen. Und die, bei denen man durchkam, waren völlig ermattet. So wie diese Sprechstundenhilfe einer Praxis in Berlin-Schöneberg: "Wir haben allein heute 150 E-Mails von Impfinteressenten bekommen!" Für Interviews mit Reportern fehlten Nerven, Zeit und Kraft.

Die Berliner Kassenärztliche Vereinigung (KV) sieht den Stress der Kollegen mit einiger Sorge. KV-Chef Burkhard Ruppert hat angekündigt, so schnell wie möglich Informationen zur Belieferung mit Astrazeneca auf der Internetseite der KV zu veröffentlichen. Damit könne wenigstens an dieser Stelle etwas Ruhe einkehren.

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Mit Blick auf den Bund-Länder-Impfgipfel am Montagnachmittag sei das das wichtigste Thema, sagt Berlins KV-Chef: "Ich verstehe es nach wie vor nicht, dass wir nach so langer Zeit immer noch nicht wirklich sicher sagen können, was kommt wann." Wie sollen die Praxen so vernünftig planen, fragt Burkhard Ruppert, der selbst Kinder- und Jugendmediziner ist.

Ärzte berichteten ihm, es gäbe nichts schlimmeres, als Impftermine abzusagen – ohne Option auf einen neuen Termin. "Das ist eine enorme Enttäuschung für die Menschen", sagt Ruppert, auch für die Praxen. Die KV appelliert an alle Impfwilligen, sich noch "einige Tage zu gedulden", bis Praxen genauer sagen könnten, welchen Impfstoff sie für wen wirklich haben.

Sendung: Inforadio, 26.04.2021

Beitrag von Sylvia Tiegs

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