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Video: rbb24 | 25.03.2021 | Carla Spangenberg | Studiogespräch mit Peter Heiss | Quelle: DPA/Kira Hofmann

Situation an den Berliner Hochschulen

"Viele haben ihre Kommilitonen noch nie im richtigen Leben gesehen"

Bei vielen Berliner Studierenden liegen die Nerven blank. Die Lernbedingungen sind nach wie vor schwierig, Nebenjobs rar. Nun gefährdet die dritte Pandemiewelle auch die letzten Präsenzveranstaltungen im bevorstehenden Sommersemester. Von Roberto Jurkschat und Oliver Noffke

Das Dauerlernen im eigenen Zimmer habe vor allem bei Studienanfängern Gefühle der Einsamkeit entstehen lassen, sagt Stefan Petri, Leiter der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung an der Freien Universität Berlin (FU). "Viele haben ihre Kommilitonen noch nie im richtigen Leben gesehen. Sie wohnen vielleicht seit einem Jahr in Berlin aber kennen ihre Studienkollegen nur von Profilbildern oder aus Videokonferenzen", sagt Petri.

Schwer auszuhalten sei diese Einsamkeit im Berliner Lockdowen für viele vor allem, weil sie schon so lange anhalte. In der Beratungsstelle hätten Studierende oft von einer bisher nicht gekannten Erschöpfung berichtet. "Viele empfinden es als Herausforderung, sich aufzuraffen, jeden Tag aufzustehen, um immer in demselben kleinen Schlafzimmer zu studieren." In der Beratungsstelle ist deshalb der Eindruck entstanden, dass die Häufigkeit depressiver Verstimmungen und von gefühlter Isolation unter Studierenden seit Beginn der Pandemie zugenommen hat.

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"Ich beobachte vor allem eine krasse Motivationslosigkeit unter den Studierenden, verbunden mit Apathie und Resignation", sagt Iphigenia Andreou. Sie studiert an der FU und arbeitet als Tutorin an der Humboldt Universität (HU) und ist Teil der Initiative Präsenzlehre, die Anfang März eine Petition zur Öffnung der Universitäten gestartet hat. Vielen gehe es derzeit im Studium sehr schlecht, sagt Andreou. "Sie sind sehr isoliert, leben ja nicht bei ihren Familien und meist noch nicht in Partnerschaften. Wer Glück hat wohnt in einer WG." Studienanfänger, die extra nach Berlin gezogen seien, fühlten sich oftmals geradezu isoliert, sagt sie.

In einem Offenen Brief an den Berliner Senat und an die Hochschulleitungen fordert die Initiative, dass im kommenden Sommersemester Präsenzlehre als Wechselmodell und unter Einhaltung der Vorgaben des Robert-Koch-Instituts stattfinden kann. "Derzeit sind die Universitäten ja wirklich abgeriegelt", sagt Andreou. "Dabei gibt es dort sehr große, schöne Räume, in denen man durchaus kleine Seminare sicher abhalten könnte." Mehr als 1.400 Studierende haben den Brief mittlerweile unterzeichnet [praesenzlehre-berlin.org].

Als besonders frustrierend empfinden sie, dass nun das dritte Semester im Home-Office-Modus bevorstehe und es nach wie vor keine Öffnungsperspektive gebe. "Man sollte uns zumindest sagen, ab wann es wieder möglich sein könnte, an die Uni zu gehen, wenn zum Beispiel alle Professoren geimpft sind oder so und soviel Prozent der Studierenden", sagt Andreou. "Wir befürchten aber, dass das jetzt einfach so beibehalten wird, weil momentan niemand so richtig Verantwortung zu übernehmen scheint."

Dritte Welle bedroht letzte Präsenzformate

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), der gleichzeitig Wissenschaftssenator ist, kündigte nach Veröffentlichung des Offenen Briefes an, sich um die Situation zu kümmern. Denkbar sei, Erfahrung mit den Testkonzepten in der Kultur auf andere Bereiche zu übertragen. "Auch eine TU oder HU werde lernen müssen, wie man ein Testzelt vor dem Hauptgebäude aufstellt", sagte Müller damals. Studierende sollen mit einem negativen Testergebnis die Chance bekommen, "die Universität zu erleben".

Auf Anfrage teilt die Senatsverwaltung mit, dass man sich derzeit zweimal pro Woche mit den elf staatlichen, zwei konfessionellen und 28 privaten Hochschulen der Stadt im Rahmen einer Task-Force austausche. "Ich kann die Anliegen der Studierenden und Lehrenden sehr gut verstehen, und ich glaube, wir haben das gleiche Ziel", so Wissenschafts-Staatssekretär Steffen Krach.

Ein Stufenplan für die Öffnung der Berliner Hochschulen gilt bereits seit dem Wintersemester. Derzeit gilt Stufe 2, was bedeutet, dass die Hochschulen selbst entscheiden können, welche Veranstaltungen sie in präsenz anbieten bei entsprechenden Hygieneregeln. Nach Möglichkeit soll das nur für Seminare gelten, die nur schwer digital stattfinden können, weil etwa Labore, Werkstätten oder Ateliers notwendig sind. Für die allermeisten Studierenden ergibt sich dadurch de facto kein Unterschied zur niedrigsten Stufe, die den Hochschulen vorschreibt, auf Präsenzveranstaltungen komplett zu verzichten.

Während sich die dritte Pandemiewelle auftürmt, müsse man derzeit aber selbst um die wenigen Veranstaltungen bangen, die noch in Präsenz stattfinden sollen. "Dafür erarbeiten die Hochschulen entsprechende Konzepte und werden von der Senatskanzlei bei der Beschaffung von Tests unterstützt", so Krach. "Das hat angesichts der steigenden Infektionszahlen gerade oberste Priorität."

Erst im Laufe des Semesters werde sich zeigen, inwieweit Präsenz- oder Hybridkonzepte in Berlin realisierbar seien. Am Donnerstag sprach Müller im Abgeordnetenhaus an, dass man vielleicht auch darüber sprechen werden müssen, ob man die 200.000 Studierenden und Auszubildende in die Impfstrategie einbinden müssen. Sie seien eine "besonders mobile Bevölkerungsgruppe" - könnten also ungeimpft auch für eine stärkere Verbreitung sorgen. "Ich weiß, was das für Diskussionen auslösen wird", so Müller, "aber es gehört zur politischen Verantwortung dazu."

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Nicht behoben sind damit aber die finanziellen Probleme von Studierenden, die sich mit einer Mischung aus Bafög, Bildungskrediten und Nebenjobs über Wasser halten. Nach Angaben des Berliner Studierendenwerks hatten 70 Prozent der Berliner Studenten vor der Pandemie einen Nebenjob. Studierende jobben oftmals in der Gastronomie, im Einzelhandel oder sind im Kulturbetrieb tätig. Wirtschaftsbereiche also, die in der Pandemie besonders von Schließungen betroffen sind.

Entsprechend sank die Zahl der Studierenden mit Nebenjob im vergangenen Jahr deutlich, wie eine Umfrage der Universität Maastricht und der Onlineplattform Studitemps zeigt. Im vergangenen September haben 53,6 Prozent der befragten 806 Berliner Studierenden angegeben, einen Nebenjob zu haben. Ein Jahr zuvor lag dieser Wert in Berlin noch bei 64,4 Prozent (damals 747 Befragte), heißt es auf Anfrage von rbb|24. Diese Umfrage ist Teil der Studienreihe "Fachkraft 2030", die die Lebenssituation von Studierenden in Deutschland erfasst [studitemps.de].

Knapp zwei Drittel der Berliner Befragten gaben an, dass sie in der Pandemie finanzielle Einbußen verkraften müssen. Im Durchschnitt hatten die Berliner Befragten im vergangenen September 918,34 Euro jeden Monat zur Verfügung, ein Jahr zuvor waren es noch durchschnittlich 941,84 Euro. Durchschnittlich 23 Euro weniger mögen verkraftbar klingen, allerdings sind die Einbußen sehr ungerecht verteilt. Der Anteil der Studentinnen und Studenten die weniger als 500 Euro pro Monat zur Verfügung haben und nicht bei ihren Eltern oder Verwandten leben, ist in Berlin innerhalb eines Jahres von 5,9 Prozent auf zehn Prozent gestiegen, heißt es.

Kein Geld für den Studienbeitrag...

Stefan Petri von der FU Berlin hält es für "sehr wahrscheinlich", dass sich die Armut unter Studierenden verschärft hat. Alarmierend sei zum Beispiel, dass die Zahl der Anfragen auf Finanzierung der Studienbeiträge gestiegen sei. In Berlin kostet das Studium 313 Euro pro Semester, darin enthalten ist ein Ticket für den Nahverkehr. "Wir hatten hier Studierende bei uns, die nicht mehr wussten, wie sie das bezahlen sollen", sagt Petri, "und das waren mehr als vor der Pandemie."

...oder für die Miete im Wohnheim

Jana Judisch, Sprecherin des Berliner Studierendenwerks sagte rbb|24, im vergangenen Jahr sei die Zahl der Beschwerden von Studierenden über finanzielle Notlagen "deutlich hochgegangen". "In den Wohnheimen des Studentenwerks haben wir im vergangenen Jahr deshalb immer wieder auch Mietstundungen mit Studierenden vereinbart, die kein Geld mehr hatten, um ihre monatlichen Fixkosten zu zahlen", so Judisch. Insgesamt wurden in Wohnheimen des Studentenwerks seit Beginn der Pandemie 283 Stundungsvereinbarungen abgeschlossen.

Weil viele Studierende in der Pandemie nicht mit dem Studium fertig wurden, wuchs im Studentenwerk nicht nur die Zahl der Bafög-Erstanträge von 31.000 auf 32.500, sondern auch die Zahl der Folgeanträge von 20.700 auf 22.700.

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Um die finanziellen Folgen des Lockdowns abzumildern, hatte das Bundesministerium für Wissenschaft sogenannte Überbrückungshilfen auf den Weg gebracht. Dieses Geld ist bei vielen nicht angekommen. "Wir haben von Berliner Studierenden mehr als 31.000 Anträge erhalten, davon wurden fast 13.000 Anträge abgelehnt. Die Regeln sind hier schon sehr streng", sagt Jana Judisch.

Selbst der Zuschuss, den die Behörde für Studierende eingeführt hat, die aufgrund der Pandemie in eine Notlage gekommen sind, hat seine Tücken, wie der Fall von Oliver H. zeigt. Er hat seinen Nebenjob verloren. Der Zuschuss kann bis zu 500 Euro hoch sein, muss nicht zurückgezahlt werden und soll unbürokratisch sein, muss aber jeden Monat neu beantragt werden. "Das bemisst sich vor allem am Kontostand", sagt er. "Wenn man 100 Euro auf dem Konto hat, bekommt man 400 Euro. Wer null Euro hat, bekommt 500 Euro."

Nach Angaben aus dem Studierendenwerk wurden auch die Hürden beim Technikfonds des Berliner Senats anfangs von vielen Studierenden als hoch wahrgenommen. Dabei war der Fonds noch mit Geld aus dem Nachtragshaushalt auf drei Millionen Euro aufgestockt worden, um Studierenden zu helfen, die sich nicht die nötige Technik für das Home-Office kaufen können. Nach Angaben des Studierendenwerks ist die Quote der genehmigten Anträge nun aber gestiegen. Bis Ende März wurden rund 5.066 Anträge gestellt, 3.656 davon wurden genehmigt. 1.266 wurden abgelehnt; die übrigen seien noch in Bearbeitung.

Oliver H. schreibt gerade seine Masterarbeit an der HU. Dass er dafür nicht in der Bibliothek recherchieren kann, macht den Prozess quälend langsam. "Man liest etwas, will einem Querverweis nachgehen und dann kann ich eben nicht kurz mal ans Regal gehen, sondern ich muss das dann extra bestellen." Am Telefon klingt er verstimmt. "Motivationslos, apathisch, resigniert, ja, dass trifft es derzeit recht gut."

Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes war zu lesen, dass der Stufenplan für die Öffnung der Hochschulen erst eingeleitet werden soll. Das war inkorrekt. Die entsprechende Stelle wurde präzisiert.

Sendung: Abendschau, 25.03.2021, 19.30 Uhr

Beitrag von Roberto Jurkschat und Oliver Noffke

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