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Quelle: IMAGO/Agentur 54 Grad

Interview | Pierre-Michel Lasogga

"Es gab nur drauf, drauf, drauf"

Mit 18 Jahren schoss er Hertha BSC in die Bundesliga. Beim HSV wurde er für die Nationalmannschaft nominiert. Trotzdem wurde Pierre-Michel Lasogga nie von allen gemocht. Ein Gespräch über Katar, Geld und Grimassen. Von Ilja Behnisch

rbb|24: Pierre-Michel Lasogga, nach drei Jahren in Katar sind Sie seit Sommer 2022 vereinslos und inzwischen wieder zurück in Deutschland. Viele fragen sich auch heute noch, warum Sie, 2019 immerhin erfolgreichster Torschütze beim Hamburger SV, damals bei Al-Arabi unterschrieben haben.

Pierre-Michel Lasogga: Ganz ehrlich: Es gab keine reizvollen Optionen in Europa. Natürlich hat auch das Finanzielle eine Rolle gespielt. Dazu der Gedanke, eine andere Kultur kennenzulernen.

Aus Ihren circa 3,4 Millionen Euro brutto beim HSV sollen in Katar 3,4 Millionen Euro netto geworden sein. "Du liebst den Fußball nicht, sondern das Geld", schallte es Ihnen deshalb damals zum Beispiel bei Instagram entgegen. Oder: "Es ist schon traurig, dass du mit 27 scheinbar keine sportlichen Ziele mehr hast."

Jeder, der mich kennt, weiß, wie viel mir der Fußball bedeutet, weiß um meine Leidenschaft für den Fußball. Daran hat auch der Wechsel nach Katar nichts geändert. Aber im zweiten Abschnitt einer Karriere muss man auch an seine Familie denken, an die Zukunft. In Katar hat einfach das Gesamtpaket gepasst. Am Ende hätte es wahrscheinlich jeder so gemacht. Und ich würde auch heute wieder dieselbe Entscheidung treffen.

Zur Person

Pierre-Michel Lasogga wurde am 15. Dezember 1991 im nördlichen Ruhrgebiet in der 75.000-Einwohner-Stadt Gladbeck geboren.

Im "Pott" machte er dann auch seine ersten fußballerischen Schritte. Über den 1. FC Gladbeck ging es für ihn im Junioren-Alter zunächst für sieben Jahre zu Schalke 04.

Es folgten kurze Stationen bei Rot-Weiss Essen, der SG Wattenscheid 09 und dem VfL Wolfsburg, ehe er schließlich in Leverkusen landete. Mit 25 Toren in 25 Spielen wurde er Torschützenkönig in der Weststaffel der A-Junioren-Bundesliga - und kam mit Bayer 04 bis ins Finale um die Meisterschaft.

Mit dieser Empfehlung ging Lasogga im Sommer 2010 zu Hertha BSC. Mit den Berlinern feierte er in seiner ersten Profi-Saison gleich den Bundesliga-Aufstieg und steuerte 13 Tore bei.

Nach drei Jahren in der Hauptstadt wechselte er - zunächst auf Leihbasis im Tausch mit Per Skjelbred - zum Hamburger SV. Es sollte sein Verein der nächsten Jahre blieben. Mit der Ausnahme einer kurzen Leihe zum englischen Zweitligisten Leeds blieb er bis 2019.

Es folgte der Schritt nach Katar. Drei Jahre blieb er dort, spielte für die Erstligisten Al-Arabi und al-Khor SC. Der Verein stieg ab, Lasoggas Vertrag endete.

Seit Juli 2022 ist Lasogga vereinslos. Im Frühjahr 2023 stieg er ins Training beim Regionalligisten VfB Lübeck ein, um sich fitzuhalten und zu präsentieren. Spielberechtigt im Liga-Betrieb ist er nicht.

Am 19. Mai 2019 absolvierten Sie ihr letztes Spiel für den Hamburger SV. Bei Ihrer Einwechslung wurden Sie mit Pfiffen begrüßt. Trotzdem haben Sie immer betont, dass der HSV etwas ganz Besonderes für Sie sei. Einmal haben Sie den Klub sogar als "Glücksfall" bezeichnet. Warum fühlen Sie sich dem Verein so verbunden?

Es war eine sehr, sehr spezielle Zeit. Mit den zwei Relegationsspielen, den vielen Abstiegsduellen. Es gab nur Höhen und Tiefen, nie Mittelfeldgeplänkel, bei dem man mal hätte durchatmen können. Es war immer nur Vollgas oder kein Gas. Das prägt.

Klingt paradox und paradiesisch zugleich.

Es gab auch viele Momente, in denen ich dachte: Hier will ich grad nicht sein. Weil es nur drauf, drauf, drauf gab. Aber insgesamt war es eine geile Zeit. Ich habe viele tolle Leute kennengelernt, der HSV hat eine riesige Strahlkraft. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, vielleicht sogar weltweit.

Ihr Debüt im Profi-Fußball haben Sie allerdings bei Hertha BSC gegeben. In der Zweitliga-Saison 2010/11, die mit dem Aufstieg in die Bundesliga endete, haben Sie gleich mal 13 Tore in 25 Spielen erzielt. Zwei weniger nur als Toptorschütze Adrian Ramos, drei mehr als Raffael. Und das mit 18 Jahren. Was sind die ersten Begriffe, die Ihnen bei Hertha und Berlin in den Kopf schießen?

Ostkurve. Startelfdebüt - Doppelpack. Und: Geile Zeit mit 18.

Sie lachen.

Als junger Bursche ins Rampenlicht zu kommen, in Berlin, das war gigantisch. Ein anderes Wort gibt es dafür gar nicht.

Sami Allagui, Peter Niemeyer, Änis Ben-Hatira, Pierre-Michel Lasogga und Nico Schulz bejubeln den Bundesliga-Aufstieg mit Hertha BSC am Ende der Saison 2010/11. | Quelle: imago/Mausolf

Hertha-Jungstars neigten zumindest früher gern einmal dazu, im Erfolg über die Stränge zu schlagen. Bei Ihnen gab es hingegen quasi keine Boulevard-Schlagzeilen. Waren Sie so geschickt im Vertuschen oder haben Sie gedacht: Ich will Profi werden, also benehme ich mich auch wie einer?!

Leider Gottes: Ja!

Ihr Lachen klingt verräterisch.

Es stimmt schon, Berlin öffnet einem eine ganze Menge Türen, hat sehr viele Möglichkeiten. Aber ich wusste schon mit 18 was ich wollte und habe meinen Fokus darauf gelegt. Wir müssen jetzt auch nicht so tun, als hätte ich wie ein Heiliger gelebt. Aber ich wusste, wann ich ausgehen kann. Wenn samstags ein Spiel ist, gehe ich nicht mittwochs feiern.

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Sowohl beim HSV als auch bei Hertha haben Sie mit einer ganzen Reihe namhafter Profis gespielt. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Raffael. Wenn er richtig Bock hatte, dann war das ein Spieler, der mehr als nur den Unterschied ausmachen konnte. Er hatte so eine ruhige Art, aber auch eine brutale Qualität. Dann Adrian Ramos - brutales Kopfballspiel. Da war ich immer ein riesiger Fan. Natürlich Rafael van der Vaart und seine Zuckerpässe. Beim jungen Hakan Calhanoglu hat man schon die Qualitäten gesehen. Aber auch Heiko Westermann hat mich nachhaltig beeindruckt.

Westermann wurde häufig eher spöttisch begleitet. Es gibt sogar ein Lied zu seinen "Ehren": "Halb Mensch, halb Tier - HW4".

Er war deutscher Nationalspieler. Und was mich bei ihm immer begeistert hat: Egal, durch was für eine Zeit wir gegangen sind beim HSV - er hat in jedem Training, jedem Spiel immer alles reingeworfen. Ob er rechts hinten gespielt hat oder in der Innenverteidigung oder wo immer er gebraucht wurde. Das sind Spieler, die einen prägen.

Apropos Abwehrspieler: Thomas Müller hat einmal gesagt, sein unangenehmster Gegenspieler sei Maik Franz gewesen, der aus guten Gründen auch "Iron Maik" genannt wurde. Bei welchem Verteidiger wussten Sie schon vor Spielbeginn: Heute wird es unangenehm!

Sowohl während seiner Zeit in Düsseldorf als auch zu seiner Zeit in Bremen: Assani Lukimya.

Eine Schrankwand von Fußballer.

Vor allem einer wie eine lästige Fliege. Kaum hatte man ihn abgeschüttelt, war er wieder da. Er war pfeilschnell, körperlich brutal. Das war echt ein harter Brocken.

Der von Thomas Müller so gefürchtete "Iron" Maik Franz hat die Fans stark polarisiert. Bei Ihnen war das ähnlich. Haben sie eine Erklärung dafür?

Ich habe es nie richtig verstanden, warum es nur Pro oder Contra gab. Ich glaube, weil ich einfach ein Typ bin, mit dem man sich entweder zu 100 Prozent identifiziert oder mit dem man mal gar nichts an der Brause haben will.

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Dabei gelten Sie abseits des Fußballs als eher zurückhaltend. Von Mitspielern, Trainern und Funktionären hört und liest man auch nur lobende Worte über Sie: Gar nicht abgehoben, immer gut gelaunt, absoluter Teamplayer.

Es ist schön, sowas von Leuten zu hören, mit denen man auch wirklich zu tun hatte. Ich bin auch immer wieder überrascht, wenn Leute, die ich im privaten Umfeld treffe, sagen: So hätte ich Dich gar nicht eingeschätzt. Es ist wohl meine Art auf dem Fußballplatz. Vielleicht sind es auch meine Gesichtsgrimassen. Aber ich bin froh, dass ich mit meiner Art, Fußball zu spielen, überhaupt Menschen erreicht habe.

Im Februar 2014 hätten Sie fast auch ein Länderspiel erreicht.

Das war ein sehr prägender Moment meiner Karriere. Ich sollte gegen Chile spielen. Dann hätte es an mir und meiner Performance gelegen, auch mit Hinblick auf die Weltmeisterschaft in Brasilien.

Stattdessen erlitten Sie im Abschlusstraining eine Oberschenkelverletzung, die sich über mehrere Wochen hinzog. Der WM-Zug fuhr ohne Sie ab. Haben Sie während des Turniers jemals gedacht: Verdammt, da hätte ich dabei sein können?

Ja. Und es hat, so ehrlich kann ich heute sein, auch weh getan. Und dann werden sie auch noch Weltmeister. Man weiß nie, was passiert wäre. Aber es gab die Chance. Nichtsdestotrotz habe ich gelernt, damit umzugehen. Es macht ja keinen Sinn, dem noch jahrelang hinterher zu weinen. So ist der Fußball. Es gibt Höhen und Tiefen. Das war beides zugleich. So nah beieinander ist das manchmal im Fußball.

Neun Jahre später sind Sie 31 und für den Moment vertragslos. Nachdem Sie sich zunächst mit Privat-Coaches fit gehalten haben, trainieren Sie nun beim Viertligisten VfB Lübeck mit. Ist das nicht ein komisches Gefühl, wenn eigentlich alles ist wie immer, und trotzdem wissen Sie, dass Sie am Wochenende auf keinen Fall spielen werden, egal wie gut Sie drauf sind?

Auf der einen Seite bin ich sehr froh, dass ich die Möglichkeit habe, in Lübeck mitzutrainieren und Gas zu geben. Ich liebe es, wieder in der Kabine zu sein, mit den Jungs zu quatschen. Auf der anderen Seite genieße ich das Wochenende. Ich freue mich auf den Moment, wenn ein Verein kommt und sagt: Wir haben derbe Bock auf Dich und wir würden das im Sommer gerne machen. Dann stehe ich zu 100 Prozent dahinter und freue mich auf die Spiele. Aber gerade genieße ich die Freiheit, zu sagen: Männer, war eine geile Woche, aber jetzt zählen meine Kids und meine Frau.

Was soll im Sommer im Idealfall passieren?

Ich will mich nicht festlegen, bin offen für alles. Ich weiß, was ich kann und dass die nächsten Jahre noch seriöser Fußball drin ist. Aber ich weiß auch, dass viele Leute erstmal sehen müssen, dass ich funktioniere. Durch die Zeit in Katar haben mich viele nicht mehr auf dem Schirm. Deswegen ist das für mich auch eine ganz gute Geschichte in Lübeck.

Wie lange soll es noch weitergehen?

Vier Jahre auf gutem Niveau habe ich auf jeden Fall noch im Tank. Ich fühle mich gerade sehr, sehr gut, mir macht's Spaß. Aber man weiß nie. Wenn es am Ende zwei Jahre sind, sind es zwei Jahre.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Ilja Behnisch, rbb Sport.

Beitrag von Ilja Behnisch

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