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Audio: Antenne Brandenburg | 10.05.2023 | Philipp Gerstner | Quelle: rbb

Aufnahme von Geflüchteten im Barnim

Weltoffen, aber erschöpft

Die Aufnahme von Asylbewerbern überfordert offenbar die Kommunen in Barnim, die um Hilfe von Bund und Land bitten. Vor Ort sind die Hilfsmöglichkeiten fast aufgebraucht, die Wohnungssituation ist angespannt.

Mohammed Shirbacha und Khalid Kahloon sind ein eingespieltes Team: Ohne große Absprachen lösen sie die sechs Meter langen Kanus aus ihrer Halterung und schleppen sie auf einen Anhänger, damit sie am Wochenende für eine Tour benutzt werden können. Shirbacha und Kahloon – beide mit grüner Jacke vom Kanuverleih, Jeans und dunkle Sneakers – helfen immer, wenn sie können, beim Kanuverleih Oderberg im Landkreis Barnim. Denn eine feste Arbeit haben beide Männer zurzeit nicht.

Vor sieben Jahren kamen Shirbacha und Kahloon aus ihrer Heimat Pakistan nach Oderberg, wie sie erzählen. Beide haben damals Asyl beantragt. Kahloon gehört zu einer verfolgten religiosen Minderheit, wie er sagt. Inzwischen habe er einen Aufenthaltstitel bekommen. Shirbacha sei "wegen eines posttraumatischen Ereignis" nach Deutschland gekommen, nun hat er eine Aufenthaltsgestattung. Damit darf er sich in Deutschland aufhalten, solange sein Asylverfahren noch läuft.

Die Pakistaner haben jeweils als Fliesenleger und Landwirt gearbeitet. In Oderberg gestaltet sich die Arbeitssuche schwer: "Ich will etwas machen, aber leider klappt es alles nicht", sagt Shirbacha. Er würde gerne eine Weiterbildung und eine Ausbildung machen. "Aber ich habe Probleme mit Lesen und Schreiben." Deswegen wolle er nochmal einen Deutschkurs machen, doch die Sprachschulen seien überfüllt.

Interview

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Allein in diesem Jahr werden nach Angaben der Landesregierung mehr als 25.000 Geflüchtete in Brandenburg aufgenommen. Am Mittwoch trifft sich beim Flüchtlingsgipfel Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit Vertretern der Landesregierungen. Scholz und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bekamen vor einem Monat Post aus dem Barnim.

In einem offenen Brief warnten die Bürgermeister und Amtsdirektoren aus dem Landkreis bereits davor, dass die Kommunen mit der Flüchtlingshilfe überlastet seien. "Offenkundig befinden wir uns in der größten Flüchtlingskrise seit dem Jahr 2015", hieß es in dem Brief. Man stehe zwar für ein "weltoffenes Land". Aber die Hilfemöglichkeiten seien im Landkreis nahezu aufgebraucht, die Wohnkapazitäten erschöpft. Bürgermeister und Amtsdirektoren baten um finanzielle und personelle Hilfe von Bund und Land.

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Hilfwillige inzwischen frustriert

Große Hilfe leisten derzeit auch Ehrenamtliche vor Ort. Eine von ihnen war Ines Förster vom Kanuverleih in Oderberg. 2016 half sie den Pakistanern Shirbacha und Kahloon, sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden – eine freiwillige Aufgabe mit hohem Zeitaufwand. "Behördengänge, Arztbesuche, Schule, Hausaufgaben. Es sind schon viele Sachen, wenn man nebenbei auch noch arbeitet. Man muss sich die Zeit nehmen. Habe ich auch gerne gemacht, aber es ist anstrengend", sagt Förster.

Die Arbeit sei oft frustrierend gewesen, sagt Förster. Trotz vieler Bemühungen habe sie ihr gewünschtes Ziel meist nicht erreicht. Inzwischen hat sie sich aus der Flüchtlingshilfe zurückgezogen. Oft bremsten lange Bearbeitungszeiten ihren Einsatz aus. Immerhin helfen ihr nun die beiden Pakistaner mit ihrer Arbeit im Kanuverleih – eine faire Geste.

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"Konkurrenz" auf dem Wohnungsmarkt

An vielen Stellen wird klar, dass das kommunale Hilfssystem längst überlastet ist. Davor warnt Jörg Matthes, der Direktor des Amtes Britz-Chorin-Oderberg. Zwar gebe es im ländlichen Bereich einen hohen gesellschaftlichen Zusammenhalt, doch inzwischen sei die Wohnungssituation angespannt, günstiger Wohnraum sei im Barnim kaum noch zu finden. "Es gibt eine gewisse Konkurrenzsituation von Einheimischen, die Wohnungen suchen, und Geflüchteten, die genauso in die Wohnungen müssen, um integriert zu werden." Es müsse schneller gebaut werden, so der Amtsdirektor.

Matthes fordert auch, dass die Investitionspauschale für die Kommunen erhöht wird. "Mit dem Geld, das wir bekommen, können wir nicht bauen." Für den erforderlichen Neubau bekomme das Amt vom Land eine Investitionspauschale von 2.300 Euro pro neuen Unterkunftsplatz. Die Kosten dafür Platz würden sich aber im unteren fünfstelligen Bereich bewegen, sagt er. "Die Differenz müssen dann die Kommunen aufbringen über die Kreisumlage, und deshalb haben wir ein ganz großes finanzielles Problem."

Maximilian Wonke , Bürgermeister von Panketal (SPD) | Quelle: rbb

Jugendclub statt Flüchtlingsunterkunft

In Panketal, 45 Kilometer südwestlich von Oderberg, ist die Lage auch angespannt. Hier im Berliner Speckgürtel finden Geflüchtete leichter einen Job, dafür ist der Wohnraum aber deutlich teurer als in Gemeinden auf dem Land. Viele Flüchtlinge sind hier in privaten Haushalten untergebracht. Zwar werden in Panketal auch neue Wohnung gebaut. Bei einem Quadratmeterpreis von 15 Euro seien sie aber zu teuer, um sie für die Geflüchteten anzumieten, sagt Bürgemeister Maximilian Wonke (SPD) "Es ist vielleicht nicht zielführend, die teuerste Art der Unterbringung zu wählen.“ In Panketal gebe es aktuell nur vier freie Wohnungen, die die Gemeinde anbieten könnte.

Im Gespräch für eine neue Flüchtlingsunterkunft war deswegen eine ehemalige Kita. Doch der Bürgermeister will lieber, dass dort ein Jugendclub entsteht. Seit 15 Jahren diskutieren er und andere Kommunalpolitiker über den Bedarf nach einem Jugendclub. Das täte den Jugendlichen in Panketal gut. Es sei irgendwann nicht mehr vermittelbar, dass man wieder weitere Jahre auf den Jugendclub warten müsse.

Bürgermeister hofft auf Lösung auf EU-Ebene

Der Bürgermeister begibt sich mit seinen Plänen in ein Dilemma, doch er ist der Meinung, dass Lösungen gefunden werden müssen, die auf längere Zeit gedacht sind. "Wenn die EU es nicht schafft, die Flüchtlingsströme irgendwie zu regulieren, haben wir auf der kommunalen Ebene die Herausforderung, dass der Wohnraum noch knapper wird, als er im Moment ist", sagt Wonke. Im vergangenen Jahr seien eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, die man versorgen muss. "Das können wir nach meinem Empfinden nicht dauerhaft durchhalten", sagt Panketals Bürgermeister.

Mohammed Shirbacha und Khalid Kahloon haben inzwischen die Hilfe für Menschen wie sie selbst in die Hand genommen. Die Pakistaner helfen anderen Neuankömmlingen im Barnim, sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden, wie sie sagen. Die Jobsuche wollen sie trotzdem nicht aufgeben. Und im Kanuverleih gibt es immer wieder viel zu tun.

Sendung: Antenne Brandenburg, 10.05.2023, 14:10 Uhr

Beitrag von Philipp Gerstner und Juan F. Álvarez Moreno

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