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Audio: rbb24 inforadio | 08.07.2022 | Stefan Kapferer und Andreas Oppermann | Quelle: Patrick Pleul/dpa

Interview | Netzbetreiber 50 Hertz

"In zehn Jahren wollen wir 100 Prozent der Stromnachfrage aus Erneuerbaren decken"

Wegen des Krieges in der Ukraine ist die Sorge um Eröl, Gas und Strom groß. Darauf soll unter anderem mit dem schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien reagiert werden. Der CEO des Netzbetreibers 50 Hertz sagt im Interview, wie das gelingen soll.

rbb|24: Herr Kapferer, 50 Hertz bildet das Rückgrat für die Stromversorgung in Ostdeutschland. Im ersten Quartal stammten 70 Prozent des Stroms im ostdeutschen Netz aus erneuerbaren Energien. Hat sich dieser Trend jetzt fortgesetzt?

Stefan Kapferer: Ja. Ostdeutschland bleibt Vorreiter in Gesamtdeutschland. Auf ganz Deutschland hochgerechnet sind es knapp 50 Prozent in ganz Deutschland. Im Osten sind es weiter etwa 70 Prozent.

Stefan Kapferer, CEO von 50 Hertz | Quelle: Thierry Roge/picture alliance/belga

Woran liegt das? Wo kommt der erneuerbare Strom her?

Wir sehen einen anhaltend hohen Zubau an Erzeugungskapazitäten - im Moment vor allem im Photovoltaik-Bereich. Eine interessante Vergleichszahl: Wir haben im ersten Quartal in Ostdeutschland mehr neue Kapazitäten ins System integriert als im ganzen Jahr 2019. Das ist schon eine wahnsinnig hohe Steigerung.

Das geht so weiter. Das sehen wir bereits in den Ausbau-Anträgen, die die Verteilnetzbetreiber vorliegen haben. In den kommenden Jahren kommen Offshore-Anlagen in der Ostsee dazu. Und deswegen bleibt der Trend ungebrochen.

50 Hertz

Und bis wann könnte Ostdeutschland komplett erneuerbar sein?

Als Unternehmen streben wir das Jahr 2032 an. Also in zehn Jahren wollen wir 100 Prozent der Stromnachfrage aus Erneuerbaren decken.

Ob das klappt, hängt am Ende von vielen Faktoren ab: Sind wir beim Ausbau der Erneuerbaren so erfolgreich, wie das geplant war? Die Bundesregierung hat gerade für den Bereich der Onshore-Windanlagen Erleichterungen auf den Weg gebracht. Und Deutschland hat auch sehr ambitionierte Pläne für den Ausbau von Windenergieanlagen auf hoher See.

Nicht zuletzt wird das aber auch vom Stromverbrauch abhängen. Wir gehen bisher davon aus, dass der Stromverbrauch sich in Ostdeutschland in den kommenden zehn Jahren um rund 30 Prozent steigern wird. Das liegt zum einen daran, dass die Industrie in der Produktion zunehmend auf Strom anstatt auf fossilen Energieträger setzen wird. Autos werden vermehrt mit Strom angetrieben und elektrischer Strom wird mehr zum Heizen eingesetzt werden.

Aber das ist nur eine Prognose. Das ist das, was wir derzeit abschätzen können. In den kommenden Jahren kann sich das ändern. Ich bin aber sehr optimistisch, dass wir das in kommenden zehn Jahren schaffen werden.

Bei 50 Hertz hieß es vor einigen Jahren noch, dass der Strombedarf niemals zu 100 Prozent aus Erneuerbaren gedeckt werden könne. Damals sprach man maximal von 35 Prozent. Bei mehr würden sonst die Netze kollabieren. Was hat sich getan?

Zuerst muss man festhalten, dass auch wenn wir 100 Prozent der Stromnachfrage mit Erneuerbaren abdecken, es natürlich auch weiterhin Kapazitäten für Kraftwerksleistung geben wird. Am Anfang könnte das auf Gas-Basis geschehen. Später könnte auf grünen Wasserstoff gewechselt werden. Auf diese Kraftwerksleistung können wir immer dann zurückgreifen, wenn beispielsweise eine kalte Dunkelflaute anliegt oder es anderweitige Steuerungsprobleme im Netz gibt.

Aber richtig ist, dass es kein Problem mehr ist, ein Netz zu steuern, wenn die Sonne sehr intensiv scheint, wenn der Wind konstant weht. Dann kann ein Netz auch mit 100 Prozent Erneuerbaren verlässlich und sicher betrieben werden.

Die eigentliche Herausforderung ist, alles zu regulieren, wenn sich Wetterlagen sehr schnell ändern. Wenn insbesondere starke Windfronten übers Land ziehen, kann es schwierig sein, zu prognostizieren, ob morgen um 12 Uhr eine starke Stromerzeugung durch Wind anliegt oder diese erst um 14 Uhr einsetzt und vorher vielleicht Flaute ist.

Aber was sich in den letzten Jahren dramatisch verbessert hat, ist die Prognosefähigkeit. Wir haben sehr viel genauere Wetterdaten. Wir können sehr viel genauer regional einschätzen. Scheint beispielsweise in der Uckermark die Sonne, haben wir in der Lausitz eine ordentliche Windsituation. Das hat sich deutlich verbessert, das heißt, wir investieren als Unternehmen sehr viel mehr Zeit in die Prognose, nicht nur den Echtzeitbetrieb.

Und das Zweite, was sich wesentlich verbessert hat, ist die digitale Steuerung des Systems. Früher konnte man es mit dem Telefon steuern, weil da hatten sie ein paar große Kraftwerke in der Lausitz, in Hamburg oder an der Ostsee. Dann hat man da angerufen, hat mit denen am Tag vorher alles besprochen und dann liefen die so, wie wir das benötigten.

Heute brauchen wir die digitale Steuerung, was die Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen angeht. Das hat sich in den letzten Jahren auch deutlich weiterentwickelt.

Aktuell wird wieder über Braunkohle und deren Verstromung diskutiert. Kann das in der jetzigen Gas-Krise tatsächlich helfen? Könnten die Stromnetze das vermehrte Grundlast-Angebot aufnehmen?

Wir sollten bedenken, dass Einspeisevorrang für die Erneuerbaren besteht. Solange diese produziert werden, verdrängen die immer die konventionellen Energieträger aus dem System.

Auch die Frage, wieviel Strom verbraucht wird, ist wichtig. Generell gesprochen: Jede Maßnahme zum Stromsparen ist hilfreich, um das Stromnetz-System sicher zu fahren und die klimapolitischen Ziele zu erreichen.

Aber Kohlekraftwerke sind für uns kein Problem, sondern am Ende ein Baustein einer sicheren Energieversorgung für den Fall, dass wir sehr, sehr wenig Gas zur Verstromung haben werden. Und darauf stellen wir uns als Übertragungsnetzbetreiber derzeit ein. Deswegen sind wir mit der Leag und den Braunkohle-Kraftwerksbetreibern im Austausch, dass das System auch im nächsten Winter sicher ist.

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Werden wir dann bald vermehrt Windparks sehen, bei denen die Räder trotz starkem Wind stillstehen werden?

Das wird durch Kohlestrom im Netz nicht passieren ist. Das habe ich eben gesagt: So etwas passiert nur dann, wenn es Netzengpässe gibt, die es nicht möglich machen, diesen Strom abzutransportieren.

Aber wir haben selbst in den sehr windreichen Monaten im Januar und Februar dieses Jahres sehr wenig Anlagen abregeln müssen. Unsere Regelzone hier in Ostdeutschland ist traditionell eine Export-Zone. Wir exportieren sogar übers Jahr gerechnet mehr Strom nach Dänemark, als wir von Dänemark importieren. Und das gilt natürlich erst recht für andere Teile Deutschlands, für Polen und Tschechien.

Apropos Export: Tesla in Grünheide, Intel in Magdeburg - angeblich kommen diese großen US-Konzerne auch wegen der hohen Verfügbarkeit von grünem Strom in unsere Region. Steckt also in Windparks und Photovoltaikanlagen eine Chance für eine richtige Reindustrialisierung ganz Ostdeutschlands?

Wir sind davon überzeugt und man sieht es auch. Sie haben die Beispiele genannt. Wir haben selbst vor zwei Jahren - als wir uns das 100-Prozent-Ziel gegeben haben - als Unternehmen gesagt, dass grüne Energie für eine starke Wirtschaft steht, weil wir auch in Gesprächen mit den Unternehmen feststellen, dass das eine Standortfrage wird.

Auch für die hier schon ansässigen Unternehmen – wie zum Beispiel in der Stahlproduktion in Hennigsdorf oder das Chemie-Dreieck in Leuna – ist das von Bedeutung. Hier stellt sich bei den Industrieprozessen die Frage, ob man Gas oder andere fossile Brennstoffe schrittweise durch grünen Strom oder zukünftig grünen Wasserstoff auf der Basis von Erneuerbaren ersetzen kann. Da sind wir Partner dieser Industrieunternehmen. Und wer die erfolgreiche Ansiedlungs-Pipeline der letzten Jahre in Brandenburg - aber auch den anderen ostdeutschen Ländern - betrachtet, kann sehr klar feststellen, dass das eine Wertsteigerung der Region ist.

In Brandenburg entstehen in der Lausitz und rund um Tesla in Grünheide eine Reihe von Batteriefabriken. Kann der hierfür notwendige Strombedarf gedeckt werden?

Grundsätzlich gibt es hier keinen Strommangel. Ostdeutschland ist Strom- Exportgebiet, das heißt, wir können auch noch mehr Stromverbraucher in unserem Netzgebiet vertragen. Wir haben eine sehr genaue Analyse gemacht, wo mit einem Anstieg des Stromverbrauchs gerechnet werden muss. Dazu gehört der Bereich südöstlich von Berlin, das Gebiet um Grünheide. Traditionell, wenn so eine Großansiedlung erfolgt, kommt es in anderen Bereichen zu Nachholeffekten. Dazu gehört die Region um Leuna, aber auch andere Gebiete in unserem Netzgebiet. Magdeburg kommt jetzt mit Intel dazu.

Ich glaube, die entscheidende Frage wird sein, wie schnell wir jeweils die Netzanschlüsse für solche industriellen Großverbraucher herstellen können. Das war natürlich für Intel eine wichtige Frage, wie schnell der Konzern Zugriff auf die Strommengen habe, die gebraucht wird. Jetzt ist in Magdeburg der Vorteil, dass unsere Leitung am Gelände vorbeiführt, wo Intel sich ansiedelt. Man darf annehmen, dass das durchaus für Intel auch ein Argument war, sich für diesen Standort zu entscheiden.

Aber ich glaube, und da sind wir auch mit der brandenburgischen Landesregierung im intensiven Austausch, dass wir insgesamt ein Interesse daran haben müssen, dass wir auch prüfen, ob wir in bestimmten Regionen vielleicht auch Netzanschlüsse auf Vorrat bauen müssen, weil wir wissen, dass es dort weitere industrielle Ansiedlung geben könnte.

Investieren Sie eigentlich auch selbst in Speichertechnologien?

Nein, das dürfen wir gesetzlich gar nicht. Aber wir sind natürlich aktiv dabei, die Möglichkeiten zu nutzen, die es mit Partnern gibt. So haben wir in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg Power-to-Heat-Anlagen realisiert. Das sind Anlagen, wo man überschüssigen, erneuerbaren Strom in Wärmespeichern nutzt. Dafür gibt es eine entsprechende Regelung, die inzwischen auch auf ganz Deutschland ausgedehnt ist.

Wir sind in Kooperation mit einem großen Wärmepumpen-Hersteller, um zu erforschen, wie man Wärmepumpen netzdienlich nutzen kann. Wir reden mit der Tochter eines großen deutschen Automobil-Herstellers über die Frage, wie man Elektrofahrzeuge mit ihren Batterien im System gut einbinden kann. Wir als 50 Hertz dürfen selbst aber keine entsprechenden Anlagen betreiben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Stefan Kapferer führte Andreas Oppermann. Dieser Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Interview können Sie oben im Beitrag im Player hören.

Sendung: rbb24 inforadio, 08.07.2022, 10:10 Uhr

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