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Audio: rbb24 Inforadio | 10.06.2022 | Vis a Vis mit Eva Kreienkamp | Quelle: dpa/B. Pedersen

Interview | BVG-Chefin Kreienkamp

"Die Welt hört nicht auf nach dem Neun-Euro-Ticket"

Die BVG verlor wegen Corona einige Kunden, doch es geht wieder bergauf. Nach dem Neun-Euro-Ticket will das Unternehmen neue Ticketmodelle testen. Im Interview spricht BVG-Chefin Kreienkamp auch über Rufbusse und selbstfahrende Fahrzeuge.

rbb: Frau Kreienkamp, den Ur-Berlinern wird nachgesagt, dass sie erst glücklich sind, wenn sie was zu meckern haben. Haben Sie auch schon was zum Meckern gefunden, wenn es um Busse und Bahnen geht?

Eva Kreienkamp: Das ist doch fies, so schlimm sind die Berliner doch nicht. Nein, wir haben ein super Angebot. An der einen oder anderen Stelle wünsche ich mir, dass es ein bisschen sauberer wäre. Ich fahre mit Bus und Bahn zur Arbeit und merke auch, wir haben wieder viel mehr Fahrgäste und einen hohen Qualitätsanspruch an unsere Takte, an unsere Pünktlichkeit. Und dann haben wir natürlich auch noch Menschen. Und manchmal werden wir ihrer noch nicht ganz Herr.

Die Sauberkeit ist nur eine der Herausforderungen, eine andere ist das Neun-Euro-Ticket. Sie haben gesagt: Was sollen wir mit preiswerten Tickets, wenn man nicht das Angebot ausweitet? Zuletzt haben Sie gesagt, das Ganze ist ein Experiment?

Für mich ist es ein spannendes Experiment. Es ist eine echte Disruption, das muss man schon so sagen. Eigentlich wie eine Art Bahncard für alle, das haben die Menschen auch verstanden und nutzen das jetzt. Das Neun-Euro-Ticket geht weg wie warme Semmeln und die Menschen fahren tatsächlich unterschiedliche Strecken, die sie vielleicht sonst nicht gefahren werden. Weil sie neugierig sind oder denken, Freunde besuchen ist auch was ganz schön. Pfingsten waren viele Leute unterwegs und das würfelt sich auch neu zusammen. Ich konnte mit einem Ticket auf der BVG-App bundesweit fahren. Das finde ich spannend.

Zur Person

Losgelöst vom Neun-Euro-Ticket. Normalisiert sich denn der Betrieb nach Corona wieder?

Seit letztem Sommer sehen wir durchaus, dass die Menschen ihre Abos wieder kaufen. Wir haben in der Zeit davor tatsächlich immer traurig auf die Kündigungen geguckt – und hatten noch nicht mal ein Argument dagegen. Aber seit letztem Sommer kommen unsere treuen Abonnenten nach und nach alle wieder. Darüber haben wir uns schon sehr gefreut.

Seit Ende Februar, Anfang März sind die Fahrgastzahlen auch wieder gestiegen. Das lag einfach daran, dass die Omikron-Zahlen nach unten gegangen sind. Einen großen Effekt bei den Zahlen hatte die Demo gegen den Krieg in der Ukraine. Da sind die Menschen mit einem gültigen BVG-Ticket zur Demo gefahren. Das war für uns so eine Art Zeichen dafür, dass die Menschen auch wieder rausgehen und auch öffentlich fahren.

Den zweiten großen Kick gab es mit dem Ende der Homeoffice-Pflicht, und seitdem sehen wir wirklich verstärkt wieder volle Fahrzeuge. Das finde ich gut. Wir sind dafür da, viele Menschen zu fahren und nicht nur vereinzelte. Deshalb wollen wir gerne unserer originären Aufgabe auch wieder nachgehen.

Die Frage ist, was kommt nach dem Neun-Euro-Ticket in Sachen Verkehrswende? Bei der BVG gibt es auch Überlegungen, so wird z.B. ein neues Ticketmodell getestet mit 1.000 Menschen, die das System ausprobieren. Wie läuft das bisher?

Das Modell heißt Check-In Check-out und funktioniert ähnlich wie die Luca-App. Das haben wir alle gelernt: Man geht irgendwo rein, meldet sich an und geht wieder raus und meldet sich ab. Die 1.000 Leute testen weiter, auch wenn gerade das neun Euro-Ticket das Ticket der Wahl ist. Aber wir wollen auch einfach sehen, funktioniert das, ist das einfach genug, hat es irgendwelche Holperer, fällt es mal aus aus irgendeinem Grund. Deshalb brauchen wir da auch weiter Informationen. Und die Welt hört nicht auf nach dem Neun-Euro-Ticket, sondern wir müssen ja trotzdem neue Produkte liefern. Und gerade da sehen wir, dass das Neun-Euro-Ticket, das einfach macht - wir werden so etwas sicherlich auch in der Zukunft liefern müssen.

Wir haben als Branche eine Ticketvielfalt geschaffen, die zu mindestens für Gelegenheitsfahrer schwierig ist. Sie verstehen das zum Teil nicht, und ich kann sogar verstehen, dass sie es nicht verstehen. Dafür müssen wir gute Lösungen finden. Es kann sein, dass wir so etwas wie Mobilitätsbudgets anbieten. Wir sind da gerade im Gespräch, zum Beispiel wie können wir die App 'Jelbi' noch mehr einbinden. Kann man zu einem BVG-Abo noch Add ons bekommen, wie Freiminuten oder – stunden bei den Carsharings, Rollern oder Fahrrädern. Das wäre dann ein Paket, das man gut verstehen könnte auf der Fahrgastseite und auf der Ticketing-Seite. Wenn wir die Mobilitätswende ernst nehmen wollen, haben wir natürlich auch die Frage, wo ist unser Angebot vielleicht noch nicht ganz so gut. Das ist da, wo wir in Berlin dünner besiedelt sind. Bei manchen Linien haben wir 20-Minuten-Takte. Und das ist natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Das heißt, da müssen wir hin. Und da wollen wir auch wirklich ÖPNV-Offensive machen.

Der Rufbus soll ja im Sommer kommen – läuft alles nach Plan?

Sommer oder Herbst, so in dieser Größenordnung kommt der Rufbus, für den wir noch einen schicken Namen suchen. Das ist ein 'on-Demand-Angebot': "Ich brauche dich Bus, dann komm‘ bitte zu mir". Dafür werden wir ein einfaches Tarifsystem haben. Letztlich ist es ein Zubringerdienst zur nächsten U-Bahn oder der nächsten Straßenbahn, damit von dort aus dann weitergefahren werden kann. Das ist das 'Erste-letzte-Meile-Prinzip'. Ich kann noch nicht definitiv sagen, ob der Rufbus im August oder September startet – so kommen wir in diese Sommer-Herbst-Diskussion.

Experimentiert wird auch noch an anderer Stelle, wie z.B. die selbst fahrenden Busse in Tegel, die dort unter der Schirmherrschaft der Senatsverwaltung getestet werden. Ist für Sie dieses autonome Fahren mehr spielerisches ausprobieren oder gibt es einen ernsten Hintergrund?

In einer irgendwie gearteten Zukunft - ich kann nicht genau sagen, ob im nächsten Jahr oder in drei Jahren - werden wir mehr autonom fahrende Fahrzeuge sehen. Deutschland ist da führend. Es gibt eine Gesetzgebung dafür: Wie müssen die Fahrzeuge sein? Wie können Sie auch gut eingesetzt werden? Und für uns ist es für die Zukunft durchaus auch eine Zubringermöglichkeit für das Gesamtnetz. Wann das genau sein wird, das kann ich tatsächlich noch nicht sagen.

In Ergänzung und eben auch gerade da, wo das Angebot nicht so gut ist, möchte ich so etwas sehen, dass wir Menschen mit solchem kleinen Gefährt irgendwohin bringen können. Mindestens interessant ist das für große Fahrzeuge wie Busse, die hintereinandergeschaltet werden. Es gibt dann einen Bus vorne dran und meinetwegen zwei hinterher, die in einer Form von digitaler Kupplung aneinander gepackt werden und dann quasi so viele Menschen befördern können wie eine Straßenbahn. Das wären interessante Modelle, von denen ich mir hoffe, dass die Entwicklung auch dahingeht.

Aber die noch nicht in irgendeiner Weise terminiert sind, Sie schauen sich mit Interesse an, was da so gerade auch Markt oder möglicherweise gerade entwickelt wird?

Ja, wir schauen uns das mit großem Interesse an. Aber wir sind da nicht diejenigen, die alle Tests machen können. Wir haben eine große Transformation vor uns, von fossil Angetriebenen zu elektrisch. Da ist unser Busbereich schon sehr gut mit ausgelastet. Deshalb machen wir solche kleinen Experimentierfelder wie eben diese Seemeile am Tegeler See. Wir sagen, die anderen sollen ein bisschen experimentieren. Und wenn wir dann so weit sind, sind wir dabei.

Die BVG ist auf einer anderen Schiene sehr erfolgreich, nämlich was Social Media angeht. Die Kampagne "Weil wir dich lieben" ist seit Jahren ein preisgekrönter Renner. Wie lange trägt einen so eine ironische Haltung oder denken Sie schon darüber nach, wie eine neue Kampagne aussehen müsste?

Wir entwickeln weiter. Im letzten Jahr haben wir eine andere Tonalität entwickelt, die auch weiterhin sehr freundlich, sehr zugewandt ist. Aber die Themen werden andere. Wir hatten das Herzstillstands-Thema oder zur Corona-Zeit hatten wir den sehr schönen Spot 'Allein, allein' gemacht, um deutlich zu machen, dass wir uns wieder Fahrgäste wünschen und nicht unsere Fahrer alleine in der Gegend herumfahren sollen. Wir haben das Hanfticket gemacht und das ist sehr gut angekommen. Wir haben jetzt auch einen neuen Film gemacht, um Berlin wieder zu entdecken. Das ist ein bisschen eine andere Hinwendung zu den Menschen, und das halte ich auch für den richtigen Weg. Und ich bin da auch sehr stolz auf unsere Marketing- und Vertriebsleute, dass sie es geschafft haben, so eine Art sanften Übergang zu machen, dass wir weiterhin unsere Fahrgäste lieben, wir aber mehr ihnen zugewandt sind.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch mit Eva Kreienkamp führte Thorsten Gabriel, rbb Landespolitik, für rbb24 Inforadio. Dieser Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Interview können Sie oben im Beitrag im Audio hören.

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.06.2022, 09:45 Uhr

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