Secessionen-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie - Judith ist wieder da

Sa 24.06.23 | 16:37 Uhr | Von Marie Kaiser
Ein Mitarbeiter der Alten Nationalgalerie hängt das Gemälde "Judith" von Gustav Klimt auf (Quelle: AP/Markus Schreiber)
Bild: AP/Markus Schreiber

So viel Klimt war noch nie in Berlin. 60 Werke des Begründers der Wiener Secession sind in der Schau "Secessionen" zu sehen. Die Ausstellung zeigt insgesamt 220 Arbeiten. Doch leider kommen die Künstlerinnen viel zu kurz. Von Marie Kaiser

Ein bisschen fühlt es sich an, als würde man einen Tempel betreten, in dem uns Gustav Klimts "Judith" als Hausgöttin empfängt. Das mit Blattgold verzierte Ölgemälde kommt vor einer schwarzen Stellwand besonders gut zur Geltung und leuchtet uns förmlich entgegen. Mit Schlafzimmerblick, sinnlich geöffnetem Mund und einer halb versteckten und einer entblößten Brust strahlt die Judith etwas geheimnisvoll verführerisches aus.

Klimt malte die "Judith" 1901. Das Gesicht impressionistisch gemalt, der dunkle Hintergrund symbolistisch. Jetzt ist "Judith" das Cover-Girl der Secessionen-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie. Zuletzt war die "Judith" 1905 zu Gast in Berlin und löste bei den Berliner Secessionisten Jubelstürme aus. Allein dass dieses wertvolle Gemälde als Leihgabe des Wiener Belvedere-Museums nun überhaupt wieder in Berlin zu sehen ist, ist eine Sensation.

Kampfansage an die etablierte Kunstszene

Der "Judith" werden in der Alten Nationalgalerie zwei echte Göttinnen zur Seite gestellt. Rechts blickt uns die "Pallas Athene" von Gustav Klimt, die der Begründer der Wiener Secession auf der 1898 ersten Secessions-Ausstellung in Wien gezeigt hat. Links thront die "Pallas Athene" des Münchner Malers Franz von Stuck, der die griechische zum Symbol der Secession erhob. Als Schutzgöttin der Weisheit, der Kunst und des Kampfes war die Athene auch eine Kampfansage an die damalige etablierte Kunstszene.

Edvard Munch wurde in Berlin einfach abgehängt

Der Begriff "Secession" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "Abspaltung" oder "Absonderung". Genau darum ging es den Künstlern damals. Die Ausstellung zeigt, wie die Bewegung 1892 in München ihren Ursprung nahm. Wien und Berlin folgen fünf und sieben Jahre später mit eigenen Abspaltungsbewegungen von einem Kunstbetrieb, den sie als altbacken empfanden.

Die Künstler der Secession kämpften für eine neue Freiheit in der Kunst, wollten fortschrittlicher, moderner sein und internationaler arbeiten. Wie nötig das war, zeigt ein Vorfall aus dem Jahr 1892 in Berlin. Damals wurden im Verein Berliner Künstler die Arbeiten des norwegischen Maler Edvard Munchs einfach abgehängt, weil der Wegbereiter der modernen Malerei den akademischen Kunstbetrieb von damals überforderte.

Ein elitärer Künstlerclub

Die Ausstellung zeigt, wie der Begriff "Secession" innerhalb von wenigen Jahren zu einer Marke wurde, mit dem auf farbenfrohen Plakaten für Ausstellungen geworben wurde und die auch international für Aufsehen sorgte. "Secession" wurde zu einer Art Gütesiegel der Avantgarde und zu einem Qualitätsmerkmal. Denn in diesem Künstlerclub ging es durchaus elitär zu.

Die Vereinsvorsitzenden entschieden darüber, wer der Secession angehören durfte und wer nicht avantgardistisch und einfallsreich genug war. Die drei wichtigsten Protagonisten der Secessionen Klimt, Stuck und Liebermann sind eindeutig die Stars der Ausstellung.

Infos im Netz

Insgesamt 60 Werke von Klimt sind zu sehen, so viele waren nie zuvor in Berlin, darunter 45 in Berlin selten gezeigte Zeichnungen. Klimt war prägend für Wien und wird oft mit dem Jugendstil in Verbindung gebracht. Franz von Stuck war entscheidend für die Secession in München und gilt als Vertreter des Symbolismus. Max Liebermann war entscheidend dafür, dass die Secessions-Bewegung in Berlin ankam und steht für den Impressionismus.

In 13 Themenräumen zeigt die Ausstellung, dass diese Künstler viel mehr verbindet als trennt und dass sie auch jenseits dieser Schubladen künstlerisch aktiv waren. Neben den Superstars der Secession Klimt, Stuck und Liebermann sind auch Arbeiten von 78 anderen Künstlern und Künstlerinnen wie Lovis Corinth, Max Klinger, Käthe Kollwitz, Sabine Lepsius, Max Slevogt oder Lesser Ury zu sehen.

Nur 15 von 220 Kunstwerken von Frauen

Doch die Frauen sind in dieser Ausstellung vor allem als Motive präsent. Als Musen und Verführerinnen, als Aktmodelle. Nicht als Künstlerinnen. Von 220 Kunstwerken stammen nur 15 aus der Hand von Frauen. Mit einer Aktion auf den Treppenstufen vor der Alten Nationalgalerie hat das Bündnis "fair share for women artists" am Donnerstagabend gegen dieses Ungleichgewicht protestiert.

Die Vizedirektorin des Wien Museums Ursula Storch, die die Ausstellung gemeinsam mit dem Direktor der Alten Nationalgalerie Ralph Gleis kuratiert hat, reagierte auf die Kritik von "fair share". Mit der Erklärung, die Ausstellung spiegele zahlenmäßig ungefähr das Verhältnis wider, das bei der Secession vor 120 Jahren üblich gewesen sei. Daran hätte man sich orientiert. Aber warum eigentlich? War die Idee eine historische Secessionen-Schau nachzubilden? Wäre es nicht deutlich reizvoller gewesen, eine Ausstellung zu zeigen, die kuratorisch auch im Jahr 2023 angekommen ist? Und den zahlreichen Künstlerinnen der Secession endlich den Platz einräumt, den sie damals schon verdient hätten? Denn natürlich saßen in den entscheidenden Positionen der Secessionen-Vereine Männer, die darüber entschieden, welche Kunstwerke ausgewählt wurden. Und es ist ja hinreichend erforscht, dass diese eher dazu neigten und neigen, ihresgleichen zu fördern.

Frauen durften Aktmodelle sein, aber keine Aktmalerinnen

Immerhin waren die Berliner Secession im Gegensatz zur Wiener und Münchner Bewegung eine der ersten Künstlervereinigungen, bei der Künstlerinnen nicht nur ausstellen durften, sondern auch als Mitglieder aufgenommen wurden. Im Vorfeld der Ausstellung hat die Alte Nationalgalerie extra ein Gemälde einer der Mitbegründerinnen der Berliner Secession angekauft. Das Gemälde "Dame in Weiß" der Malerin Ernestine Schultze-Naumburg.

Das ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Aber gerade weil Frauen als Motive der Gemälde in dieser Ausstellung so präsent sind, wäre es höchst interessant gewesen, die Rolle der Frau in der Kunst der damaligen Zeit zum Thema zu machen und zu reflektieren. Zum Beispiel anhand eines Gemäldes der Münchner Malerin Anna Hillermann in der Ausstellung.

In einem "Selbstbildnis im Atelier" hat sich Hillermann 1900 bei der Arbeit an der Staffelei gemalt. Im Hintergrund leuchtet die hellzarte Haut eines weiblichen Aktmodells mit entblößter Brust. Dieses Bild muss damals skandalös auf die Betrachter gewirkt haben, denn Frauen durften zwar als Aktmodelle den Künstlern zur Verfügung stehen. Den Künstlerinnen wurde es im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen aber verwehrt, selbst Aktzeichenkurse an Akademien zu besuchen.

In einem Selbstbildnis wie diesem steckt also ein Aufbegehren. Was ließen sich für interessante Künstlerinnengeschichten aus der Münchener, der Wiener und der Berliner Secession erzählen. Eine verschenkte Chance.

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.06.2023, 16:55 Uhr

Beitrag von Marie Kaiser

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