Interview | Kuratoren der Secessionen-Ausstellung - "Frauen waren weniger repräsentiert, weil es weniger malende Künstlerinnen gegeben hat"

Sa 24.06.23 | 16:39 Uhr
Undatierte Aufnahme der deutschen Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz (Quelle: dpa/Bifab)
Bild: dpa/Bifab

Im Fokus der neuen Ausstellung in der Alten Nationalgalerie stehen die Namen großer Künstler wie Klimt und Liebermann. Doch auch Frauen waren Teil der Secessions-Bewegungen - zum Teil inoffiziell.

rbb: Was hat die Secessionisten und Secessionistinnen miteinander verbunden?

Ralph Gleis: Die Secessionisten waren wie alle Künstlerinnen und Künstler am Ende des 19. Jahrhunderts an dem gesellschaftlichen Umschwung interessiert. Es war die Hochphase der Industrialisierung. Die gesellschaftlichen Veränderungen waren bahnbrechend. Und natürlich waren die Secessionisten als aufmerksame Beobachter in allen Stilen mit diesen Themen verbunden.

Zur Person

Ursula Storch und Ralph Gleis, Kuratoren der neuen Ausstellung in der Alten Nationalgalerie (Quelle: rbb)
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Ralph Gleis und Ursula Storch sind die Kuratoren der Ausstellung "Secessionen Klimt, Stuck, Liebermann". Die Schau läuft bis 22. Oktober 2023 in der Alten Nationalgalerie [smb.museum]

Das zeigt sich sowohl im Porträt, im neuen Blick auf den Menschen, wie auch in solchen Themen wie: Was ist Freizeitgestaltung, was hat man eigentlich im Arbeitsleben für Verhältnisse? Auch das neue Verhältnis zur Natur kann man darunter fassen. Themen, die vorher einfach nicht bildwürdig waren.

Künstlerinnen waren zu dieser Zeit noch stark unterrepräsentiert. Welche Vorbehalte gab es gegen Frauen in der Kunst im 19. Jahrhundert?

Ursula Storch: Die Schwierigkeit war zu der Zeit, dass es eben für Frauen normalerweise nicht möglich war, an einer Akademie zu studieren. Sie durften zum Beispiel auch keine Aktstudien machen. Sie waren sehr eingeschränkt, teilweise auf privaten Frauen-Malschulen, die es immer wieder gegeben hat. Das heißt aber, dass für sie viele Themen in der Folge ausgeschlossen waren. Und sie waren natürlich auch in Ausstellungen weniger repräsentiert, ganz einfach, weil es weniger malende Frauen oder eben Künstlerinnen gegeben hat.

Ralph Gleis: Viele Künstlerinnen flüchteten daraufhin ins Ausland, wo man sich einfacher ausbilden lassen konnte, etwa Maria Slavona. Sie ging nach Paris und war ein korrespondierendes Mitglied der Berliner Secession. Erst in den Secessionen wurden den Frauen mehr Möglichkeiten eingeräumt, auszustellen.

Dies war ihnen eigentlich überall gegeben: in München, Wien und Berlin. In Berlin gibt es noch die Besonderheit, dass man auch offizielles Mitglied werden konnte. Das war in den anderen Secessionen qua Statut nicht vorgesehen.

Welche Künstlerinnen sind aus dieser Zeit bekannt?

Ralph Gleis: Aus der Berliner Secession bekannt sind zum Beispiel Sabine Lepsius, Dora Hitz und Käthe Kollwitz.

Ursula Storch: In der Ausstellung kann man auch eine Arbeit von Ilse Twardowski Conrat sehen. Conrat war eine Bildhauerin aus Wien. Bildhauerinnen waren noch einmal seltener als Malerinnen. Diese körperlich schwere Arbeit mit Marmor erschien zur damaligen Zeit natürlich völlig unweiblich.

Wir sehen in der Ausstellung eine Büste von Johannes Brahms, die Ilse Twardowski Conrat gemacht hat. Es gab damals in Wien einen großen Wettbewerb für ein neues Brahms-Denkmal, an dem sie sich auch beteiligt hat. Leider hat sie den Wettbewerb nicht gewonnen. Das Denkmal wurde letzten Endes von einem männlichen Künstler gemacht und realisiert.

Über die Secessions-Bewegungen

- Künstler:innengruppe, die sich 1898 als Protest gegen den starren Kunstbetrieb des Kaiserreichs gründete

- Prominente Mitglieder: u.a. Max Liebermann und Käthe Kollwitz

- Brachten avantgardistische Kunst verschiedener Stilrichtungen nach Berlin

- Auch in anderen Städten gab es Secessions-Bewegungen, zum Beispiel in Wien und in München

- Auflösung der Berliner Secession im Jahr 1937

Welches Standing hatten die Künstlerinnen unter ihren männlichen Kollegen?

Ralph Gleis: Also für die Berliner Secession kann man schon sagen, dass es eine Wertschätzung für die Künstlerinnen gab. Es war ein Zeichen der Gleichrangigkeit, dass sie von Beginn an Mitglied sein durften . Ein bisschen hat es gedauert, bis die Frauen auch die Jurys mit besetzen konnten - Käthe Kollwitz ist da ein Beispiel.

Und man merkt, dass diese Frauen am Umbruch zur Moderne, an dieser Zeitenwende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert, ganz stark nach vorne drängen und in den Secessionen auch die Bühne erkennen, die sie dort geboten bekommen. Und das war in akademischen Ausstellungen immer nur bedingt der Fall.

Viele Künstlerinnen flüchteten ins Ausland, wo man sich einfacher ausbilden lassen konnte.

Ralph Gleis, Kurator

Wie schwierig war es im Vorfeld der Ausstellung, Bilder von weiblichen Künstlerinnen in den Sammlungen zu finden?

Ralph Gleis: Die Ausstellung ist wie eine Entdeckungsreise - auch für unsere Besucherinnen und Besucher. Je nachdem, wo man herkommt, kennt man vielleicht die Namen nicht. Der in Wien bekannte Max Kurzweil ist wiederum in Berlin nicht so bekannt. Aber diese sehr lokal eingeschränkte Bekanntheit trifft insbesondere auch auf die Künstlerinnen zu.

Das ist uns auch aufgefallen, dass man zum Beispiel über die Künstlerin Emilie von Hallavanya aus München wenig weiß oder, dass wir Elena Luksch-Makowsky – obwohl eine große Künstlerin in Wien – heute nicht mehr kennen. Und das war zur Zeit der Secession anders.

Wir mussten das wieder neu entdecken. Das ist auch die Einladung an die Besucherinnen und Besucher, dass man in der Ausstellung die Künstlerinnen in ihren jeweiligen Themen - die genauso vielfältig sind wie die der männlichen Kollegen - entdecken kann. Allerdings ist der Proporz einigermaßen wie früher. Es gibt einfach weniger Künstlerinnen aus dieser Zeit, die mit den Kunstwerken überliefert sind. Und so ist es auch in der Ausstellung.

Eines der ausgestellten Bilder kommt von der Künstlerin Dora Hitz. Es hängt direkt gegenüber von einem Max Liebermann Gemälde. Was hat diese Anordnung zu bedeuten?

Ralph Gleis: "Die Kirschenernte" von Dora Hitz ist eines der Hauptwerke der Nationalgalerie. Und es war auch ganz bewusst ein Ankauf, den Mäzenatinnen - also Fördererinnen - hier initiiert haben. Sie wollten gerne, dass die Künstlerin nicht nur durch Porträts oder durch Kinder-Bildnisse hier in der Nationalgalerie vertreten ist, sondern eben durch ein großes, wirklich auch den Männern ebenbürtiges Gemälde.

Und das ist, glaube ich, hier sehr gut gelungen. Dora Hitz war ein Gründungsmitglied der Berliner Secession. Sie war schon gleich von Beginn an dort, hat aber auch vorher als erste Frau in der Künstlervereinigung die "XI" - einer der Secession vorausgehenden Gruppe - eine bedeutende Rolle gehabt. Es ist schon eine bewusste Hängung, dass dem großen Max Liebermann nun auch die große Dora Hitz hier gegenüberstellt ist, die eine prominente Stellung auch innerhalb der Berliner Secession hatte. Nicht ganz wie Max Liebermann, der ja lange Zeit Präsident und der Übervater der Berliner Kunstszene war. An dieser großen figurenreichen Szene merkt man, dass es ein kapitales Werk ist und auch seinen Platz im Reigen der männlichen Kollegen behauptet.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Charlotte Pollex für rbb Kultur - Das Magazin

Sendung: rbb Kultur - Das Magazin, 24.06.2023, 18:30 Uhr

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