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Audio: Inforadio | 11.01.2021 | Maria Ossowski im Gespräch mit Klaus Lederer | Quelle: imago images/Bildgehege

Interview | Kultursenator Klaus Lederer

"Was uns da verlorengeht, können wir noch gar nicht absehen"

Corona hat die Kulturszene hart getroffen. Schauspieler, Tänzer und Musiker haben ihre Jobs verloren, Kulturstätten stehen vor dem Aus. Berlins Kultursenator Lederer will sich auf Bundesebene für Unterstützung einsetzen - er kann sich auch Umverteilung vorstellen.

rbb: Herr Lederer, in den Diskussionen um den Lockdown rutscht die Aufmerksamkeit für die Kulturinstitutionen immer weiter nach hinten. Einzelhandel, Reisen, Gastronomie - all das scheint wichtiger. Wie wollen Sie die Not der Kultur oder auch deren Bedeutung in diesen Zeiten wieder nach vorne holen?

Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linke) | Quelle: dpa/Christophe Gateau

Klaus Lederer: Im Augenblick habe ich schon das Gefühl, dass die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten sich daran erinnert haben, dass es eine Kulturgarantie im Grundgesetz gibt. Noch kein Staatsziel, aber immerhin eine Kunstfreiheit und damit zumindest auch ein Teilhabe-Recht, das der Staat zu gewährleisten hat. Und wir sind als Kulturministerinnen und Kulturminister beauftragt worden, Öffnungsszenarien zu erarbeiten. Das tun wir derzeit auch.

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Man muss aber der Ehrlichkeit halber hinzufügen, dass die dramatische Situation in den Intensivstationen derzeit dominiert. Man wird wohl erst in der zweiten Januarhälfte einschätzen können, wie sich Weihnachten und Neujahr auf die Inzidenz-Zahlen auswirken oder welche Wirkung möglicherweise das Eindringen der Mutationen aus Großbritannien auf die hiesige Entwicklung der Pandemie hat.

Dass da derzeit Öffnungsszenarien im Kultursektor erst mal unter dem ganz großen Vorbehalt stehen, dass überhaupt etwas geöffnet werden kann, ist natürlich nachvollziehbar.

Dennoch ist die Not der Kulturschaffenden, aber auch von uns, die wir sie ja sehr gerne wahrnehmen, groß. Wie können wir klarmachen: Da gibt es noch einen Sektor, der ist wirtschaftlich so wichtig - über 100 Milliarden Bruttowertschöpfung - wie können wir das wieder vorholen?

Nur durch Lautstärke, glaube ich. Wir haben ja in der Kultusministerkonferenz im vergangenen Jahr immer wieder versucht, Druck auszuüben - nicht nur auf die Ministerpräsidenten-Runde, sondern auch auf den Wirtschaftsminister, auch auf den Finanzminister.

Ich halte es nach wie vor für einen Skandal, dass diejenigen, die ja nicht zuletzt durch die Agenda 2010 in eine solch prekäre Situation gebracht worden sind, jetzt im Grunde behandelt werden wie Erwerbslose und ihnen gesagt wird: Dann geht doch mal Hartz IV beantragen. Ich sehe auch die große Gefahr, dass das perspektivisch mit einer Verarmung im Kultursektor einhergehen wird. Es werden sich Menschen möglicherweise auch für etwas ganz anderes entscheiden. Was uns da verloren geht, können wir zum derzeitigen Zeitpunkt noch gar nicht absehen.

Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten haben Ihnen einen Auftrag gegeben. Die Kulturminister treffen sich, aber nur zweimal im Jahr. Wie kann das funktionieren?

Das ist natürlich überhaupt nicht die Arbeitsform derzeit, sondern es gibt einen ganz intensiven Austausch zwischen den Kulturverwaltungen aller Länder, auch mit dem Bund. Ich gedenke das auch nicht zu ändern.

Wir bereiten uns jetzt auf eine Situation vor, in der wir - wenn es tatsächlich eine deutliche Absenkung der Ansteckungszahlen gibt - Stück für Stück die Kulturbereiche wieder ans Netz bringen können.

Aber wir wissen schon, dass es ein paar Parameter gibt, die entscheidend sein werden für die Frage, in welcher Reihenfolge welche Einrichtungen ans Netz gehen. Alle sind sich einig, dass die kulturelle Jugendbildung einen besonderen Stellenwert hat. Alle wissen, dass Aktivitäten in Einrichtungen mit guten Belüftungsanlagen oder im Freien, wo Crowd-Management, wo Kontrolle der Besucherströme gut möglich ist, eher möglich sein werden als - nehmen wir mal das bitterste Beispiel - in der Clubkultur, die seit März zu ist. Und die, das wissen auch unsere Berliner Clubbetreiberinnen und Clubbetreiber, noch sehr, sehr lange zu sein wird.

Wo liegt Ihr Ziel als Vorsitzender der Kulturministerkonferenz? Ist das jetzt nur Corona oder gibt es zum Beispiel auch noch eine Weiterführung der Kolonialismus-Debatte?

Die ist ja eine Dauerdebatte, und deswegen muss sie auch weiter geführt werden. Und es wird sicherlich angesichts vieler verschiedener Vorkommnisse ein dauerhaftes Thema sein, gegen Diskriminierung und Herrschaftsverhältnisse in Kultureinrichtungen vorzugehen.

Wie können Sie unterstützen, dass die vielen Solo-Selbständigen, die vielen Oratoriensänger, die Clubbetreiber, eine gemeinsame Lobby bilden, um in Zukunft ein bisschen stärker auftreten zu können?

Erstmal müssen wir über die Pandemie kommen. Und ich sehe ja schon wieder, wie die Debatten dann laufen, wenn man wieder der Ansicht ist, dass das dann eben jetzt leider mal nicht geht, weil das Geld nicht mehr da ist.

Insofern ist das ein ganz zentrales Thema. Natürlich ist die Kulturszene auch eigenwillig: Die Sparten schauen oftmals nicht so sehr über ihren Spartenrand.

Aber ich glaube, dass es eine Chance gibt, dass Kulturschaffende merken, dass sie es für sich allein nicht hinkriegen. Und miteinander können Sie sich stärker Gehör verschaffen.

Wie können Sie auch föderal agieren, damit die kommunalen Kassen angesichts der finanziellen Belastungen nicht sofort anfangen, Theater und andere Institutionen zu schließen?

Das braucht eine gesellschaftliche Debatte um die Pandemie-Folgekosten. Und es braucht eine Debatte darum, auf welchen Schultern die tatsächlich zu stemmen sind. Ich bin nun ein Linker und habe die Forderung nach einer gerechten Besteuerung, insbesondere horrender, obszön großer Vermögen, einem anderen Umgang mit den Plattformen, die jetzt die großen Krisengewinner sind, aber auch einer adäquaten Erbschaftssteuer.

Ich sehe nichts dagegen, wenn Leute, die eine Million Euro Barvermögen oder mehr haben, beispielsweise 6.000 Euro zu einem einmaligen Corona-Beitrag beitragen, um einen Teil der jetzt aufgenommenen Schulden zu tilgen.

Wenn alle Gemeinwesen, inklusive der Kommunen mit dieser Last auf dem Rücken in die Pandemie-Nachbearbeitung gehen sollen, dann wird das nicht gutgehen.

Sie sagten, dass die Kultur wahrscheinlich stufenweise eröffnet wird. Aber ich stelle mir vor, es gibt - ganz fiktiv – am 1. Mai ein Riesenfest, wenn alle wieder aufmachen, können Sie sich so ein Fest vorstellen?

Mir gefällt die Idee außerordentlich gut. Ich fürchte nur, wir werden keine Situation eines Tages X haben, an dem die Dinge wieder öffnen, sondern wir werden sehr unterschiedliche Inzidenz-Entwicklungen in den verschiedenen Bundesländern haben. Und wir werden ein schrittweises Wiederanfahren des Kulturbereichs haben. Aber bei einem schlage ich sofort ein: Man muss es feiern, wenn es wieder geht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Maria Ossowski. Der Text ist eine gekürzte und redigierte Form des Gesprächs. Das gesamte Interview können Sie hören, wenn Sie auf das Audiosymbol im Aufmacherbild klicken.

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