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Quelle: dpa/Carsten Koall

Psychologe zum Umgang mit dem Klimawandel

Warum Schuldgefühle dazu führen können, dass der Klimawandel verleugnet wird

Die Klimakrise berührt die Menschen emotional. Viele haben Angst vor der Zukunft - andere blocken ab und verdrängen das Thema. Alles sei möglich, sagt der Umweltspsychologe Gerhard Reese, und warnt vor Radikalisierung.

rbb|24: Herr Reese, mittlerweile leugnet nur noch eine Minderheit den menschengemachten Klimawandel. Dass er schwerwiegende Folgen für die Lebensgrundlagen der Menschheit haben wird, wenn ihm nicht Einhalt geboten wird, ist ebenfalls kaum noch umstritten. Versetzt dieses Wissen Menschen in Panik, so wie Greta Thunberg es fordert?

Gerhard Reese: Große Panik sehe ich da bisher nicht. Es gibt allerdings durchaus eine Gruppe von Menschen, die mit sehr großer Sorge und einer gewissen Form von Angst auf die Klimakrise reagiert. Gerade letzte Woche gab es auch eine neue Studie, finanziert von der Nichtregierungsorganisation Avaaz, die 10.000 16- bis 25-jährige in verschiedenen Ländern untersucht hat. Eine Mehrheit gibt an, dass sie wachsende Sorgen und Angst vor der Klimakrise und deren Konsequenzen haben.

Zur Person

Gerhard Reese

Welche psychologischen Bewältigungsstrategien für diese Ängste beobachten Sie?

Es gibt ganz grob eingeteilt zwei Fraktionen. Einmal gibt es die, die die Klimakrise und deren Konsequenzen verdrängen. Da greifen verschiedene Mechanismen. Zum Beispiel die Verantwortung von sich weg oder auf andere zu schieben, oder die Krise herunterzuspielen und zu sagen, dass es schon nicht so schlimm werden wird. Das ist zwar nicht die Leugnungs-Ecke, aber schon die, die das nicht ganz so ernst nimmt.

Zweitens gibt es diejenigen, die aktiv werden. Das ist auch etwas, was man in Studien wie der noch nicht veröffentlichten "Anxiety and Xlimate Chance" der Universität Koblenz-Landau (Anm. d. Redaktion: Gerhard Reese ist Mit-Autor der Studie) sehen kann. Dass diese Sorge gar nicht unbedingt zu Ohnmacht führen muss, sondern dass sie Menschen auch dazu motivieren kann, aktiv zu werden, etwa im Rahmen einer Bewegung oder in der Bereitschaft, bestimmte politische Maßnahmen stärker zu unterstützen.

Beim Klimastreik gehen viele Kinder und Jugendliche auf die Straße und fordern ihr Recht auf Zukunft ein. Was macht das mit der Elterngeneration?

Das hängt sehr stark davon ab, wie die Eltern eingestellt sind. Es ist ja nicht so, dass sich die Elterngeneration per se nicht klimaschützend verhalten will. Da gibt es – wie in jeder Alterskohorte – Unterschiede. Unter den heute 50 bis 70-Jährigen beispielsweise gibt es ja auch ganz viele, die schon in den 80er Jahren der Umweltbewegung aktiv waren.

Wenn wir von liebenden Eltern ausgehen, unterstützen sie natürlich die Anliegen ihrer Kinder. Aber da gibt es unter Eltern natürlich eine riesige Bandbreite von Reaktionen.

Es soll auch Eltern geben, die vermeiden, mit ihren Kindern über das Thema zu sprechen.

Das ist dann vermutlich ein Thema für einen Familientherapeuten. Denn wenn man über dieses Thema nicht spricht, wird man auch über viele andere Themen nicht sprechen. Da ist die Klimakrise vielleicht kein spezifisches Phänomen.

Aber könnte es nicht sein, dass Eltern sich schuldig an der Klimakrise fühlen und deshalb so agieren?

Ja, das kann schon sein. Aber selbst das Gefühl von Schuld kann ja Menschen auch motivieren, ihr Verhalten zu ändern. Doch Schuld kann natürlich auch dazu führen, dass man abblockt, ein Thema von sich wegschiebt und solchen Gesprächen aus dem Weg geht.

Was macht das alles mit Kindern – so groß zu werden ist ja schon eine spezielle Kindheit?

Das ist richtig. Da das sehr speziell ist, gibt es dazu bisher auch kaum Forschungen. Man kann nur zurückgreifen auf Forschungen aus anderen Konfliktsituationen. Es wachsen seit Jahrhunderten Kinder in lebensbedrohlichen Situationen auf. Man weiß, dass es für sie wichtig ist, dass sie irgendeine Form von funktionierendem sozialem Umfeld haben. Und dass es wichtig ist, dass Kinder ernst genommen und gehört werden – sie und ihre Anliegen also auf Augenhöhe betrachtet werden. Das ist etwas, was bei der Klimakrise bisher nicht passiert. Wir sehen ja, dass die Politik die Sorgen der Fridays for Future-Demonstranten und Demonstrantinnen bisher nicht ganz ernst nimmt.

Da habe ich persönlich schon die Sorge, dass das zu neuem politischen Verdruss führen kann. Und bei anderen vielleicht sogar zu einer Form der politischen Radikalisierung.

Was raten Sie Menschen, die unter Zukunftsängsten wegen des Klimawandels leiden?

Mein Rat ist, sich mit anderen Menschen zusammenzutun, denen es ähnlich geht. Die also ein gemeinsames Ziel, nämlich den Klimaschutz, verfolgen. Mit ihnen kann man agieren, auf die Straße gehen und konzertierte Aktionen initiieren. Damit man zum einen das Gefühl hat, nicht allein zu sein und zum anderen das Gefühl von kollektiver Wirksamkeit erfährt. Wer sich zusammentut merkt, dass man etwas bewirken kann.

Gibt es vielleicht in der Gesellschaft besonders große Ängste bei denen, die an ihrem Leben nichts ändern wollen?

Es gibt Forschungen, beispielsweise von der Universität Uppsala in Schweden, die darauf hindeuten, dass Klimaleugner oft Menschen sind, die Sorge vor der Veränderung ihres Status Quo haben. Das sind oft dann gleichzeitig Leute, deren Status Quo vorteilhaft ist im Vergleich zu anderen Menschen. Gerade Menschen, die Sorge haben, sie könnten etwas verlieren oder müssten auf irgendwas verzichten, wollen da nicht so aktiv werden.

Aber ich würde da keine allgemeine Tendenz herauslesen. Denn es gibt eine ganz große Anzahl von Menschen, die zu Veränderung bereit sind. In Deutschland gibt es in sehr vielen Umfragen eine Mehrheit von Menschen, die mehr Klimaschutz wollen.

Wir als Nachrichtenredaktion stellen fest, dass sich regelmäßig unter unseren Nachrichten zum Klimawandel oder um Klimastreik die fiesesten Kommentare ansammeln. Was bewegt Menschen, solche Sachen zu schreiben?

Ich vermute, manche fühlen sich bedroht oder haben das Gefühl, dass das eigene Selbstbild bedroht ist. Aber ich glaube, es gibt da auch einfach eine Reihe von Trollen, die Stunk machen wollen. Bei denen inhaltlich gar nicht so viel dahinter steckt, die ihre Meinung dann aber zu einer lauten Minderheit aufblähen. Letztendlich bietet das Internet dadurch, dass man anonym agieren kann, eben auch die Möglichkeit, mal richtig auf die Kacke zu hauen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Sendung: Inforadio, 24.09.2021, 7:45 Uhr

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