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Video: rbb|24 | 18.09.2022 | Material: rbb24 Brandenburg aktuell | Quelle: dpa/ Gonzalez

Interview | Berliner Friedhofsverwalter

"Man muss neue Formen der Beisetzung finden"

Klassische Sargbestattungen werden immer seltener, große Friedhöfe leeren sich, der Friedhofszwang in Berlin besteht aber weiterhin. Friedhöfe müssen sich neu erfinden, um den Bedürfnissen ihrer Kund:innen weiter gerecht zu werden, sagt Thomas Höhne.

rbb|24: Herr Höhne, Menschen wollen verstorbene Angehörige in Diamanten gepresst als Ring tragen oder schicken die Asche ins Ausland, damit sie als Baum zurückkommt, den sie in ihren Garten pflanzen. Wie zeitgemäß sind Friedhöfe überhaupt noch?  

Thomas Höhne: Friedhöfe sind so zeitgemäß, wie die Menschen, die sich dort beisetzen lassen wollen oder müssen. Im Idealfall sollte es so sein, dass die Leute einen Friedhof freiwillig wählen und im Grunde genommen müssten sich alle (Friedhofsverwalter, Anm. der Redaktion) jetzt schon darauf einstellen, dass der Friedhofszwang abgeschafft wird und dass die Leute freiwillig zum Friedhof kommen. Dann ändert sich die Perspektive für alle Friedhöfe ganz entscheidend, denn sie müssen sich auf einmal überlegen: Was suchen die Menschen auf einem Friedhof?
Was könnte sie dazu bewegen, den Friedhof als letzte Ruhestädte auszuwählen?

zur person

Andere Länder geben den Menschen mehr Möglichkeiten. In Belgien etwa ist es üblich, die Asche eines Verstorbenen mit nach Hause zu nehmen. Das lässt der Friedhofszwang – die Pflicht, einen Verstorbenen auf einem Friedhof zu bestatten oder in einem extra dafür genehmigten Wald - nicht zu. Braucht es da auch mehr Freiheiten in Deutschland?

In der Europäischen Union ist der Zwang die absolute Ausnahme. Deutschland steht da ein bisschen allein da. Jedes Bundesland kann hier darüber entscheiden, ob Urnen auf dem Friedhof beigesetzt werden müssen oder nicht. Bisher hat Bremen als einziges Bundesland davon Gebrauch gemacht. Auf Antrag können die Urnen auch im eigenen Garten beigesetzt werden. Andere Bundesländer werden früher oder später nachziehen. Aber ich bin davon überzeugt, dass Friedhöfe als Orte der Begegnung, Orte der Kommunikation - wo man vielleicht auch eher auf andere Menschen stößt, die einem irgendwie auch Trost in einem Gespräch spenden können - viel zu bieten haben. Man muss natürlich ganz konkret dann auch neue Formen der Beisetzung finden, die an den Bedürfnissen der Menschen orientiert sind.

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Was ist so verkehrt daran, wenn ich mir die Urne meines/meiner Liebsten ins Wohnzimmer stellen würde? 

Die Leute machen sich in dem Moment natürlich nicht wirklich Gedanken darüber, was das denn für die nächsten Jahre bedeutet. Es gibt tatsächlich handfeste Nachteile. Zum Beispiel wird der verstorbene Mensch von einem öffentlichen sozialen Wesen zu einem privaten Wesen. Also der verstorbene Mensch wird der Öffentlichkeit entzogen, wenn er nicht auf einem öffentlichen Friedhof bestattet ist, sondern auf dem Kaminsims steht. Dieses Entziehen des Menschen in die Privatheit, quasi zum eigenen Privateigentum - vom eigenen Mann, der eignen Frau, dem eigenen Partner - das finde ich nicht gut. Wir erleben oft, dass Arbeitskollegen von Menschen, die in einer sogenannten Gemeinschaftsanlage beigesetzt werden, fünf Jahre später bei uns in der Verwaltung jemanden suchen. Und dann kommen sie noch mal rein, glücklich, dass sie ihn gefunden haben und da ein Name steht. Ich finde, dass der Friedhof, wenn er eine Qualität hat und auch Orte anbietet für die letzte Ruhestätte, die den Menschen gefallen, weiterhin Bestand haben wird und absolut konkurrenzfähig sein wird.

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Sie verwalten die Luisenkirchhöfe in Charlottenburg und bieten dort neben klassischen Bestattungen in Grabreihen auch naturnahe Bestattungen an. Was machen Sie anders als andere Friedhöfe?

Wir haben sehr schöne waldartige Felder. Ich habe eine Abteilung, die durch schöne, alte Buchen geprägt war, und auf der es nur noch sehr wenige klassische Sargbestattungen gab, umgestaltet zu einem richtigen Buchenwald.

Wie war die Resonanz darauf, dass dort dann auch Baumbestattungen vorgenommen werden konnten?

Von Anfang an ist das sehr gut angenommen worden. Der Vorteil für die Menschen: Es ist eine Baumbestattung im Wald, aber es ist in der Stadt gelegen und auch auf dem Friedhof in einer relativ ruhigen Gegend, so dass mir diese Angebote fast aus dem Stand aus den Händen gerissen worden sind.

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Was ist der Unterschied zu einem klassischen Wald, der für Urnenbestattungen genehmigt ist? Wie können Sie die Bedürfnisse der Menschen erfüllen?

Es gibt dicke, alte Buchen, es gibt aber auch den sehr romantischen Kontrast zu alten Erdbegräbniswänden. Man hat Durchblicke, Ausblicke aus diesem Naturbereich auf das, was einen historischen Friedhof ausmacht. Dieses Spannungsfeld finden Leute auch sehr interessant. Das Thema der Offenheit ist uns zu einem Leitthema geworden. Offenheit bedeutet Licht, Luft, Sonne. Es bedeutet aber auch, dass ich mir freiwillig einen Ort aussuchen kann, wo ich das Gefühl habe: Das passt zu meinem Verstorbenen, zu den Wünschen, die er zu Lebzeiten geäußert hat. Wir haben dann angefangen, Sehnsuchtslandschaften anzubieten: Heidelandschaften, aber auch mediterrane Landschaften wie einen Ölberg oder die Alpen. Was diese Orte verbindet und ausmacht ist, dass sie Ruhe ausstrahlen. Man kommt dort tatsächlich zur Ruhe. Das hat mehrere Gründe. Es ist das Licht, aber auch alle anderen Sinne werden angesprochen. Es gibt viele Kräuter, einen enormen Insektenreichtum. Das spricht sich einfach rum und mittlerweile ist auch unser Einzugsgebiet größer geworden.

Neben der Schönheit für die Sinne: Wie sehr spielt denn auch eine Rolle, dass solche Orte einfach pflegeleichter sind als klassische Gräber für Särge oder Urnen?

Das spielt tatsächlich die ausschlaggebende Rolle. Gerade Ältere sagen, sie möchten ihren Kindern, ihren Enkeln nicht zur Last fallen. Dieses Pflegefreie ist das Entscheidende bei all diesen naturnahen Angeboten, da ist von vornherein die Pflege der Grabställe gleich inbegriffen. Alles was sonnig ist, kostet dann ein bisschen mehr. Alles, was etwas schattiger ist, ist günstiger. Man kann aber auch durch eine geschickte Pflanzenauswahl dafür sorgen, dass der Pflegeaufwand geringer wird und die Kosten für die Angehörigen dadurch verringern.

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Wenn wir nach Brandenburg schauen, wie sieht es da aus? Ist die Bestattungskultur ähnlich wie in Berlin?

Kurz gesagt: Je urbaner das Umfeld, desto ausgeprägter das Bedürfnis nach naturnahen Beisetzungsarten. Andererseits ist es so, dass sich auch in Brandenburg im ländlichen Raum oder auch in den in den kleineren Städten viele Menschen für Bestattungen in Wäldern entscheiden. Oder im Domforst - einer der größten Kirchenwälder in Deutschland, der zum Dom in Brandenburg/Havel gehört. Dennoch ist diese Nachfrage in Berlin tatsächlich noch ausgeprägter, so dass die Leute den Friedhöfen in der Stadt den Rücken zu kehren.

Infos

Der Tag des Friedhofs an diesem Sonntag will das Gegenteil und die Menschen wieder auf die Friedhöfe locken. Es wird viel geboten von Konzerten bis zum Poetry Slam. Gibt es eine Grenze, wie belebt ein Friedhof sein darf?

Das sind punktuelle Veranstaltungen. Insofern empfinde ich das auf jeden Fall immer als Belebung. Ich denke, dass sich das irgendwie einstellen wird auf eine Art von Veranstaltungen, die von der Mehrzahl der Friedhofsbesucher als angenehm empfunden wird. Zum Beispiel ist aus einer Friedhofskapelle, die ich nicht mehr brauche, das Jazzschloss geworden. Also ich habe das an junge Jazzpianisten und Jazzmusiker für sehr wenig Geld vermietet. Ich wollte in einem Experiment herausfinden, wie Menschen auf dem Friedhof darauf reagieren, dass man dort Musik hört, obwohl die Kapelle dicke Mauern hat. Mittlerweile wird das von allen als eine Bereicherung empfunden. Ich bin sehr viel mit Menschen unterwegs, die eine Grabstelle aussuchen, und bei der Stellenauswahl zeige ich ihnen die verschiedenen Atmosphären. Viele sind einfach begeistert und finden es tröstlich, dass so etwas auf einem Friedhof möglich ist.

Wie hat sich mit der Offenheit der Menschen auch Ihre Arbeit auf den Friedhöfen verändert?

Ich glaube, dass der Mensch selbst mit seinen Bedürfnissen die Grenzen setzt und diese Bedürfnisse, die verändern sich einfach im Laufe der Zeit. Ich glaube, dass die Leute das Gefühl haben müssen, sie sind dort willkommen. Das gilt für alle Menschen jeglicher Couleur und das bedeutet, dass auch muslimische Grabstellen angeboten werden müssen. Da herrscht leider ein wirklich eklatanter Mangel. Das ist die große Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte.

Wie werden unsere Friedhöfe in 20 oder 30 Jahren aussehen und wie müssen sie sich vielleicht bis dahin auch verändern?

Ich glaube, die sind nur dann erfolgreich, wenn das Ganze eine Qualität hat. Wenn das, was angeboten wird, auch auf Dauer funktioniert. Im Moment wird da vieles ausprobiert. Was gut angenommen wird, das wird sich über die Zeit auch bewähren. Wenn es nur auf Effekt ausgerichtet ist, dann wird es keinen Bestand haben. Ein Friedhof ist immer noch ein Ort, der dann erfolgreich ist, wenn er Ruhe ausstrahlt, und wenn er Halt gibt, tatsächlich auch Trost spendet, und wenn man gerne dorthin kommt. Das ist die Aufgabe für die Zukunft: Dass die Friedhöfe Orte sind, wo man das Gefühl hat, hier wird sich gekümmert, es sind schöne Orte, es
sind Orte der Vielfalt und der Abwechslung, aber trotzdem Orte, die einen einfach runterbringen. Wo man merkt: Hier werde ich friedlich. Das müssen die Leute an den Orten einfach selbst erleben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Thomas Höhne sprach Christina Rubarth für rbb|24.

Sendung: rbb24 Abendschau, 18.09.2022, 19:30 Uhr

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