Ruhestätten in Westpolen - Viadrina-Projekt erforscht jüdische Friedhöfe

Do 17.02.22 | 12:43 Uhr
Wissenschaftler im jüdischen Friedhof
Audio: Antenne Brandenburg | 17.02.2022 | Robert Schwaß | Bild: rbb/Robert Schwaß

In Westpolen sind viele jüdische Friedhöfe verwahrlost oder nur zum Teil erhalten. Ein wissenschaftliches Team der Frankfurter Viadrina-Universität hat sie analysiert und eine Online-Datenbank erstellt. Von Robert Schwaß

Ein wissenschaftliches Team der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt hat 46 jüdische Friedhöfe in Polen analysiert. Bis 1945 gehörten diese zur historischen Provinz Brandenburg. Viele sind heute verwahrlost, zerstört oder nur noch zum Teil erhalten. Eine Online-Datenbank gibt Auskunft über den aktuellen Zustand.

Begonnen habe das Forschungsprojekt bereits 2019, erzählt Magdalena Abraham-Diefenbach, die an der Europa-Universität am Lehrstuhl für Denkmalkunde lehrt. "Im Falle der jüdischen Friedhöfe in dieser Region gibt es oft keine Nachfahren von Menschen, die dort begraben sind, da diese entweder durch die Nazis im Holocaust ermordet wurden oder emigrierten", erzählt Abraham-Diefenbach. Deshalb gehe es bei dem Projekt auch darum, die Erinnerung aufrecht zu erhalten, so die Wissenschaftlerin.

Akribisch erfasste das Forschungsteam die Namen aller noch erhaltenen Grabsteine der Friedhöfe auf den Gebieten der ehemaligen Provinz Brandenburg östlich der Oder. Seit 1945 gehört das Gebiet größtenteils zur Woiwodschaft Lebus und teilweise zu Westpommern in Polen. Das Projekt entstand in Gemeinschaft mit der Universität Potsdam, welche bereits eine umfassende Datenbank zu jüdischen Friedhöfen im Land Brandenburg erstellt hat.

Alte jüdische Friedhöfe oft in Vergessenheit geraten

Eine Online-Karte verschafft einen ersten Überblick über Zustand und Lage der jüdischen Friedhöfe. Viele wurden über die Jahrzehnte überbaut, von einigen zeugen nur Fundamente der Friedhofsmauern im Wald. Diese Anlagen könne man auf ersten Blick kaum erfassen, erzählt Abraham-Diefenbach. Einige wie der Jüdische Friedhof in Skwierzyna (Schwerin a.d. Warthe) sind bis heute in gutem Zustand. Dort gebe es über 700 erhaltene Grabsteine.

Nicht alle der untersuchten Friedhöfe wären noch bis 1945 aktiv gewesen, erklärt Abraham-Diefenbach. "In einigen jüdischen Gemeinden gab es bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine so starke Emigration, dass die Friedhöfe im 20. Jahrhundert nicht mehr benutzt wurden." Wiederum andere wurden in der Nazi-Zeit geschändet. Nach Kriegsende hatten die Menschen in den nun polnischen Gebieten östlich der Oder oft keinen Bezug zu den jüdischen Friedhöfen. Viele Anlagen verwahrlosten zunehmend. Während auf anderen Ruhestätten nach Ablauf von Ruhefristen Grabstellen teilweise neu belegt werden, gilt auf jüdischen Friedhöfen ewige Totenruhe.

Friedhof in Słubice ist eine der ältesten jüdischen Ruhestätten Mitteleuropas

Zu den im Forschungsprojekt dokumentierten Anlagen gehört auch der Jüdische Friedhof in Słubice. Er liegt auf einem Hügel hinter dem Basar, knapp vier Kilometer hinter der deutschen Grenze. Die Ruhestätte existiert seit dem 13. Jahrhundert und gehört zu den ältesten jüdischen Friedhöfen Mitteleuropas, erzählt Roland Semik. "Bis 1945 wurden hier Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Frankfurt (Oder) begraben." Semik, eigentlich gelernter Jurist, ist ehrenamtlicher Denkmalschützer im Landkreis Słubice. Auch er will die Geschichte des Friedhofes bekannter machen.

Semik ist der Einzige vor Ort, der Schlüssel für die Grabstätte hat. Auf Anfrage führt er seit kurzem auch Besuchergruppen über das verwilderte Gelände. "Von den alten Friedhofsmauern sind nur noch Fundamente zu sehen." Semik zählt auf, was zwischen Bäumen und Gestrüpp noch da ist. "Ungefähr 80 von ehemals mehreren 1000 Grabsteinen sind noch erhalten." Ein alter Waschbrunnen wurde im letzten Jahr auf dem Gelände eines örtlichen Steinmetzes entdeckt.

Denkmalaktivist will Jüdischen Friedhof erfahrbar machen

Die Nazi-Zeit überstanden große Teile der ehemals Frankfurter Friedhofsanlage weitgehend unbeschadet. In der Nachkriegszeit geriet der Jüdische Friedhof im dann polnischen Słubice zunehmend in Vergessenheit. "In den 70ern gab es auch Vandalismusfälle", weiß Semik. Ein Teil des Friedhofes wurde ab 1978 mit einem Hotel überbaut, bedauert der Friedhofswächter. Als dieses um die Jahrtausendwende als Night Club fungierte, sorgte das für einen internationalen Skandal. Das Hotel ist inzwischen abgerissen.

Seit 2007 ist die Warschauer Stiftung zum Schutz des jüdischen Erbes Eigentümer des Geländes. Semik kümmert sich vor Ort um die Pflege. Im März soll es eine Frühjahrsputzaktion auf dem Jüdischen Friedhof geben. Mit der Aktion will Semik den historischen Ort mehr ins Bewusstsein der Słubicer und Frankfurter Bevölkerung rücken.

Sendung: Antenne Brandenburg, 17.02.2022, 14:30 Uhr

Jüdischer Hof

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