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Video: rbb|24 | 12.11.2022 | Material: rbb24 Abendschau | Quelle: rbb

Es werde ... Werbung

Riesenposter verhüllt seit zwölf Monaten Haus in Berlin-Charlottenburg

Seit mehr als einem Jahr ist die Fassade eines Wohnhauses in der Berliner Kantstraße von riesigen Werbeplakaten verhüllt. Angeblich, weil der Eigentümer renovieren muss. Doch passiert ist noch nichts - und die Genehmigung der Werbung längst abgelaufen. Von M. Kell und S. Mühlberger

Es ist dunkel in der Wohnung von Michael Künzel. Obwohl draußen gerade bestes Wetter ist und die Sonne scheint. Seit mittlerweile einem Jahr wohnt der Mieter einer Wohnung in der Charlottenburger Kantstraße hinter Werbeplakaten. Es sei wie im Gefängnis, sagt Künzel der rbb24 Abendschau. "Hier leben Menschen. Und die wollen rausgucken, die wollen Sonne haben, die wollen teilhaben am Leben und werden weggesperrt."

Das Haus befand sich lange in Privatbesitz, nach dem Tod der Eigentümerin verkauft die Erbengemeinschaft das Objekt höchstbietend. Der neue Besitzer, eine GmbH mit Sitz am Kudamm, kündigt dann vor einem Jahr an, dass das Dachgeschoss ausgebaut werden soll. Es wird ein Gerüst aufgebaut, dann werden die Werbeplakate aufgehängt – und mehr passiert nicht. Es habe ein einziges Schreiben gegeben, sagt Künzel. Darin wird der Baubeginn 8. November 2021 mitgeteilt – und die anvisierte Dauer bis zum 31. August 2022.

Keine Informationen vom Eigentümer

Seither sind weitere drei Monate vergangen – in denen die Mieter nichts vom Eigentümer hörten, wie Künzel beklagt. Nichts dazu, ob sich die Bauarbeiten eventuell verschleppt haben, ob es keine Angebote oder kein Material gegeben habe. "Wir hören gar nichts."

Gebaut worden sei bisher nicht. Einmal seien Maler vorbeigekommen, sonst nur die Arbeiter, die alle paar Wochen die Plakate wechseln. Das empörendste Motiv war Werbung für ein Kriegsspiel im Oktober, erzählt Künzel, mitten während des Ukraine-Kriegs, "Totenkopfgestalten mit Maschinenpistolen – das geht einfach nicht". Zudem sei das Plakat dunkelgrau gewesen, Künzels Wohnung dadurch einen ganzen Monat lang nur noch trübe.

Nachbarin Elke Morneweg hat denselben Ausblick wie Michael Künzel, sie formuliert ihre Perspektive so: "Ich fühle mich in meiner Lebensqualität stark beschränkt. Wenn es zumindest abwechselnd einen Monat eine Plakatwand gebe und einen Monat frei wäre, so dass man mal wieder das Gefühl hat: ich lebe. Aber das passiert ja auch nicht." Das könne man offenbar nicht erwarten, sagt Elke Morneweg, von jemandem, der mit der Werbung "gutes Geld" machen kann.

Lukratives Geschäft für Vermieter

Eine Werbeanlage an einem Baugerüst ist laut Berliner Bauordnung legal. Maximal sechs Monate im Jahr darf so ein Riesenposter hängen [gesetze.berlin.de]. Eine solche Außenwerbung ist nicht nur lohnend für die werbenden Unternehmen, sondern auch für Vermieter oder Eigentümer lukrativ. Mit einem Riesenposter können sie Einnahmen generieren - und so beispielsweise Mietminderungen ausgleichen. Denn wenn eine Werbeplane die Wohnung verdunkelt, empfiehlt der Berliner Mieterverein, die Miete zu mindern [berliner-mieterverein.de].

Auch deswegen machen seit Jahren immer wieder Fälle Schlagzeilen, in denen Hausbewohner massiv und lange unter der Verhüllung ihrer Häuser leiden. Tagsüber dunkel, abends dagegen durch die Beleuchtung der Werbeflächen viel zu hell in den Wohnungen: So erging es etwa Mietern in der Neuköllner Sonnenallee, seit ein Riesenposter ihr Haus verhüllte. Genehmigt war das jedoch nicht, und nach Medienberichten Anfang der Woche wurde die Werbefläche wieder abmontiert. Auch in Berlin-Friedrichshain mussten Hausbewohner monatelang unter Werbeplanen leben und auf Licht in ihren Wohnungen verzichten.

Besonders lohnenswert für Eigentümer sind die Werbeflächen, wenn die Wohnhäuser an zentralen Orten stehen - und dadurch von vielen Menschen gesehen werden. Auch das Wohnhaus in der Kantstraße liegt an einer vielbefahrenen Kreuzung. Werbeeinnahmen von hohen vier- bis fünfstelligen Beträgen pro Woche sind hier problemlos möglich.

Antrag auf Verlängerung der Genehmigung abgelehnt

Vom Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf gab es zwar eine Genehmigung für die Plakate. Allerdings nur bis August. "Es gab einen Antrag zu verlängern", sagt Stadtrat Fabian Schmitz-Grethlein (SPD), "das haben wir abgelehnt. Und trotzdem hängt das da noch."

Der Werbetreibende, der die Plakate aufgehängt habe, halte sich nicht an geltende Regeln, sagt der Charlottenburger Stadtrat. "Das muss man deutlich sagen. Wir sind dabei, das Verwaltungsverfahren zu betreiben, aber diese Verfahren brauchen eben ihre Zeit." Man müsse auch dem Eigentümer und dem Nutzer die Gelegenheit geben, die Plakate selber zu beseitigen, so Schmitz-Grethlein. Wenn das nicht passiere, werde man es anordnen, wenn das wiederum nicht passiert, werde das Bezirksamt irgendwann ein Bußgeld erheben.

Ob es sich um vorgeschobene Baumaßnahmen handelt, um ein Gerüst aufzustellen, wollte die rbb24 Abendschau von der zuständigen Hausverwaltung wissen. Doch die reagierte auf mehrere Anfragen nicht.

 

Sendung: rbb24 Abendschau, 11.11.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Max Kell und Sarah Mühlberger

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