Es werde ... Werbung - Riesenposter verhüllt seit zwölf Monaten Haus in Berlin-Charlottenburg

Sa 12.11.22 | 16:18 Uhr | Von Max Kell und Sarah Mühlberger
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Ein riesiges Werbeplakat verhüllt die gesamte Hausfassade.
Video: rbb|24 | 12.11.2022 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: rbb

Seit mehr als einem Jahr ist die Fassade eines Wohnhauses in der Berliner Kantstraße von riesigen Werbeplakaten verhüllt. Angeblich, weil der Eigentümer renovieren muss. Doch passiert ist noch nichts - und die Genehmigung der Werbung längst abgelaufen. Von M. Kell und S. Mühlberger

Es ist dunkel in der Wohnung von Michael Künzel. Obwohl draußen gerade bestes Wetter ist und die Sonne scheint. Seit mittlerweile einem Jahr wohnt der Mieter einer Wohnung in der Charlottenburger Kantstraße hinter Werbeplakaten. Es sei wie im Gefängnis, sagt Künzel der rbb24 Abendschau. "Hier leben Menschen. Und die wollen rausgucken, die wollen Sonne haben, die wollen teilhaben am Leben und werden weggesperrt."

Das Haus befand sich lange in Privatbesitz, nach dem Tod der Eigentümerin verkauft die Erbengemeinschaft das Objekt höchstbietend. Der neue Besitzer, eine GmbH mit Sitz am Kudamm, kündigt dann vor einem Jahr an, dass das Dachgeschoss ausgebaut werden soll. Es wird ein Gerüst aufgebaut, dann werden die Werbeplakate aufgehängt – und mehr passiert nicht. Es habe ein einziges Schreiben gegeben, sagt Künzel. Darin wird der Baubeginn 8. November 2021 mitgeteilt – und die anvisierte Dauer bis zum 31. August 2022.

Keine Informationen vom Eigentümer

Seither sind weitere drei Monate vergangen – in denen die Mieter nichts vom Eigentümer hörten, wie Künzel beklagt. Nichts dazu, ob sich die Bauarbeiten eventuell verschleppt haben, ob es keine Angebote oder kein Material gegeben habe. "Wir hören gar nichts."

Gebaut worden sei bisher nicht. Einmal seien Maler vorbeigekommen, sonst nur die Arbeiter, die alle paar Wochen die Plakate wechseln. Das empörendste Motiv war Werbung für ein Kriegsspiel im Oktober, erzählt Künzel, mitten während des Ukraine-Kriegs, "Totenkopfgestalten mit Maschinenpistolen – das geht einfach nicht". Zudem sei das Plakat dunkelgrau gewesen, Künzels Wohnung dadurch einen ganzen Monat lang nur noch trübe.

Nachbarin Elke Morneweg hat denselben Ausblick wie Michael Künzel, sie formuliert ihre Perspektive so: "Ich fühle mich in meiner Lebensqualität stark beschränkt. Wenn es zumindest abwechselnd einen Monat eine Plakatwand gebe und einen Monat frei wäre, so dass man mal wieder das Gefühl hat: ich lebe. Aber das passiert ja auch nicht." Das könne man offenbar nicht erwarten, sagt Elke Morneweg, von jemandem, der mit der Werbung "gutes Geld" machen kann.

Lukratives Geschäft für Vermieter

Eine Werbeanlage an einem Baugerüst ist laut Berliner Bauordnung legal. Maximal sechs Monate im Jahr darf so ein Riesenposter hängen [gesetze.berlin.de]. Eine solche Außenwerbung ist nicht nur lohnend für die werbenden Unternehmen, sondern auch für Vermieter oder Eigentümer lukrativ. Mit einem Riesenposter können sie Einnahmen generieren - und so beispielsweise Mietminderungen ausgleichen. Denn wenn eine Werbeplane die Wohnung verdunkelt, empfiehlt der Berliner Mieterverein, die Miete zu mindern [berliner-mieterverein.de].

Auch deswegen machen seit Jahren immer wieder Fälle Schlagzeilen, in denen Hausbewohner massiv und lange unter der Verhüllung ihrer Häuser leiden. Tagsüber dunkel, abends dagegen durch die Beleuchtung der Werbeflächen viel zu hell in den Wohnungen: So erging es etwa Mietern in der Neuköllner Sonnenallee, seit ein Riesenposter ihr Haus verhüllte. Genehmigt war das jedoch nicht, und nach Medienberichten Anfang der Woche wurde die Werbefläche wieder abmontiert. Auch in Berlin-Friedrichshain mussten Hausbewohner monatelang unter Werbeplanen leben und auf Licht in ihren Wohnungen verzichten.

Besonders lohnenswert für Eigentümer sind die Werbeflächen, wenn die Wohnhäuser an zentralen Orten stehen - und dadurch von vielen Menschen gesehen werden. Auch das Wohnhaus in der Kantstraße liegt an einer vielbefahrenen Kreuzung. Werbeeinnahmen von hohen vier- bis fünfstelligen Beträgen pro Woche sind hier problemlos möglich.

Antrag auf Verlängerung der Genehmigung abgelehnt

Vom Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf gab es zwar eine Genehmigung für die Plakate. Allerdings nur bis August. "Es gab einen Antrag zu verlängern", sagt Stadtrat Fabian Schmitz-Grethlein (SPD), "das haben wir abgelehnt. Und trotzdem hängt das da noch."

Der Werbetreibende, der die Plakate aufgehängt habe, halte sich nicht an geltende Regeln, sagt der Charlottenburger Stadtrat. "Das muss man deutlich sagen. Wir sind dabei, das Verwaltungsverfahren zu betreiben, aber diese Verfahren brauchen eben ihre Zeit." Man müsse auch dem Eigentümer und dem Nutzer die Gelegenheit geben, die Plakate selber zu beseitigen, so Schmitz-Grethlein. Wenn das nicht passiere, werde man es anordnen, wenn das wiederum nicht passiert, werde das Bezirksamt irgendwann ein Bußgeld erheben.

Ob es sich um vorgeschobene Baumaßnahmen handelt, um ein Gerüst aufzustellen, wollte die rbb24 Abendschau von der zuständigen Hausverwaltung wissen. Doch die reagierte auf mehrere Anfragen nicht.

 

Sendung: rbb24 Abendschau, 11.11.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Max Kell und Sarah Mühlberger

47 Kommentare

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  1. 47.

    Man schaue mal nach "kultureller Angemessenheit" des Grundrechts auf Wohnen (z. B. Institut für Menschenrechte).

    -> Der UN-Fachausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat zentrale Dokumente zur Auslegung des Rechts auf Wohnen herausgegeben.

    Wer passiv seine Rechte nur auf dem Papier ruhen lässt, statt sie aktiv einzufordern, muss sich nicht wundern. Auch nicht, wenn er eines Tage in einem Staat aufwacht, in dem diese Rechte abgeschafft worden sind.

    Also, auf, Leute! Werdet aktiv!

  2. 46.

    Und da weiß sich keiner selbst zu helfen?

  3. 45.

    Sorry RBB, aber die Überschrift suggeriert etwas, was nicht Gegenstand des aktuellen Problems ist. Bis einschließlich August war das Ding genehmigt. Warum eigentlich solange? Das wäre doch mal zu klären? Dass es nun nicht so schell geht, es mit Zwang zu entfernen, dürfte jedem klar sein, der schon mal einen Rechtsstreit geführt hat. Aber wenn das Bezirksamt mehr als sechs Monate genehmigt hat, sollte das mal hinterfragt werden. Offenbar muss ja da eine Verlängerung erlaubt worden sein.

  4. 44.

    Hier hing es ja ohne Baugeschehen wesentlich länger.
    Warum schreiten die Behörden da nicht zeitnah ein?
    In der Sonnenallee hat das vor einigen Tagen ja geklappt.
    Offenbar geht es also, wenn man möchte. Warum möchte man in Charlottenburg nicht?

  5. 43.

    "Etwas mehr Infos wären schon gut @ rbb" steht alles in dem und in dem eingebundenen Beitrag ....

  6. 42.

    "Eine Werbeanlage an einem Baugerüst ist laut Berliner Bauordnung legal. Maximal sechs Monate im Jahr darf so ein Riesenposter hängen [gesetze.berlin.de]"

  7. 41.

    Sie sind offenbar wirklich nicht von dieser Welt. Zum einen kann man leider heutzutage nicht einfach ausziehen, weil es einfach keine Wohnungen gibt. Zum anderen ist das Verhängen von Mietwohnungen mit Riesenpostern, so dass der Mieter im Dunkeln sitzt, wohl kaum ein Angebot zu nennen.

    Und: Einnahmen durch verhüllte Mietshäuser kommen dem Eigentümer zugute, mindern aber ganz bestimmt nicht die umlegbaren Sanierungskosten.

    Hier sind ja wieder wahre Kenner am Start. :-)

  8. 39.

    Ist das denn tatsächlich gesetzeskonform? Wenn ja, sind das menschenfeindliche Gesetze, die eine zwölfmonatige Verhüllung eines Wohnhauses erlauben.
    Wenn nein, müssen die Berliner Behörden sofort handeln.

  9. 38.

    Ihre Aussage ist unbestritten und ja, als Mieter hätte ich ebenfalls geprüft ob da was zu machen ist, ggf. auch ggn die Genehmigung des Bezirkes. Ich wollte nur ausdrücken, dass die Hürden für einen sofortigen Eingriff des Bezirkes vermutlich relativ hoch sind, das rechtssichere Verfahren nun aber leider etwas dauert. Willkür will ja auch niemand.

  10. 37.

    Sorry, das ist Fake.

    Ich verweise auf die Anzahl mietrechtlicher Prozesse, die Gerichte sind hier absolut überlastet.

    Viele Mieter klagen (auch unberechtigt), oftmals sogar auf Kosten der Steuerzahler im Rahmen von Prozesskostenhilfe - ist ja umsonst.

  11. 36.

    Würde dort ein Senats Mitglied wohnen, wäre dort kein Werbe Plakat .

  12. 34.

    Geht ja drunter und drüber hier. Im Normalfall ist es einfach. Das Gerüst gehört einer Gerüstbaufirma. Der Eigentümer duldet dass dort eine Werbung angebracht werden kann und eine weitere Firma, die auf Außenwerbung spezialisiert ist, hat einen Kunden, der dort werben will. Die vertraglichen Situationen sind hier nicht im Bericht erwähnt. Die Genehmigung zur Werbung holt natürlich die Werbefirma ein. Es gibt also reichlich Verantwortliche. Und es gibt sowohl Einnahmen aus der Verpachtung der Fläche. Könnte der Gerüstbauer oder der Eigentümer erhalten. Und Einnahmen aus der Werbung, erhält die Werbefirma. Etwas mehr Infos wären schon gut @ rbb

  13. 33.

    Ich finde es ist eine Verbesserung NICHT auf die Sonnenallee schaunen zu müssen. So sind der Dreck, der furchtbare Autoverkehr, und das tägliche Chaos vor dem Fenster wenigstens nicht mehr sichtbar. Ob es aber auch gegen die Abgase, den Krach und den Staub hilft? So ist das Plakat ein guter Grund endlich wegzuziehen. Schlechter als dort kann es nicht mehr werden. Neukölln olè! Neukölln ade!

  14. 32.

    Warum ist solch eine Werbeplane (und Strahler in der Nacht) an Mietshäusern überhaupt erlaubt, wenn man sieht, wie so etwas ausufert. Natürlich gibt es das Eigentumsrecht, aber dem entgegen steht doch in diesem Fall das viel höhere Grundrecht des Menschen auf z.B. körperliche Unversehrheit (Art. 2)Kein Licht, keine Sonne, keine Luft zum Atmen, kein Schlaf, Depressionen in Folge etc. und der freien Entfaltung der Persönlichkeit.

    Ich verstehe nicht
    1. Wie ein Eigentümer so dreist und geldgierig sein kann und eine solche Werbeplane ein Jahr hängen lässt, auch noch ohne wirklich zu bauen und ihm ganz egal ist, was die Mieter, die ja Miete zahlen davon halten.
    2. Wie ein Staat soetwas überhaupt erlauben kann und nicht sofort verbietet!!

  15. 31.

    Dunkelheit am Tag und Helligkeit in der Nacht sind gesundheitsschädlich!
    Ich hätte als Mieterin schon längst den Rechtsweg beschritten. Leider traut sich das kaum jemand, obwohl wir doch in einem Rechtsstaat leben.

  16. 29.

    "Was würde denn einem Mieter passieren, der sich ganz unbürokratisch 'Licht" verschafft ??" Der würde vermutlich ne Anzeige wegen Sachbeschädigung und ne Schadenersatzforderung bekommen.
    "Ich bewundere die Geduld der Betroffenen." Ja, allerdings. Die sollten sich wenigstens die Miete mindern, dafür gibt's Auskunft im Mietrecht. Wenn's ans Geld geht, werden manche Vorgänge beschleunigt.

  17. 28.

    "Selten so einen Quatsch gelesen." Ich auch nicht: "Wie sollen denn die Baumaßnahmen dadurch günstiger werden...." Die Werbefirma bezahlt dafür an den Eigentümer, diese Einnahme muss er bei den Kosten, wenn er die auf die Miete umlegt, berücksichtigen.
    "Es ist nichts dagegen zu sagen, dass so etwas gemacht wird wenn auch tatsächlich gebaut wird."
    "Gehts noch? Ich möchte nicht einen einzigen Tag hinter so einer Plane verbringen müssen." Das wird Ihnen u. U. nicht erspart bleiben, wenn z. B. Sandstrahl-Arbeiten ausgeführt werden.
    "Wir alle werden uns durch sämtliche Instanzen dagegen wehren." Dazu brauchen Sie zunächst nur das Mietrecht; Miete mindern im zulässigen Rahmen und erstmal Luft holen und abwarten.

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