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Quelle: imago images/Ikon Images

Eltern in Haft

"Kinder lieben ihre Eltern - auch wenn sie Fehler machen"

Wenn die Mutter oder der Vater ins Gefängnis muss, ist das für viele Kinder hart. Möglichkeiten für Familien, sich in Haftanstalten zu treffen, sind - vor allem für inhaftierte Männer - zeitlich stark begrenzt oder nicht kindgerecht. Von Anna Bordel

Für Siad* war sofort klar, dass er seinen Kindern sagen wird, wieso er sie nicht mehr täglich sehen kann: nämlich weil er in Haft muss. Das vor ihnen zu verheimlichen, vielleicht eine Ausrede dafür erfinden, kam für den 38-Jährigen nicht in Frage. Siad verbüßt seit April 2022 eine Strafe in der Justizvollzugsanstalt Heiligensee, im offenen Vollzug. Gefährliche Körperverletzung, Volksverhetzung, Beleidigung - einige Delikte seien zusammengekommen. Für ihn sei die Haft jedoch eigentlich ein Glücksfall gewesen, sagt er. "Die Straftaten habe ich alle unter Alkoholeinfluss begangen", erzählt Siad. "Draußen hätte ich nie ein Jahr lang nicht getrunken."

Wenn Elternteile ins Gefängnis müssen, hat das für Kinder sehr oft schwerwiegende Folgen. Wie viele Kinder aber genau betroffen sind, ist nur für inhaftierte Frauen klar. In den Justizvollzugsanstalten für Frauen leben rund 200 Frauen, von denen nach Angaben der JVA etwa die Hälfte Kinder hat. In den Berliner Justizvollzugsanstalten für Männer sitzen, laut Belegungsstatistiken der Haftanstalten, derzeit knapp 3.000 Menschen ein - wie viele von ihnen Kinder haben, ist nicht erfasst.

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Beratung für betroffene Mitarbeiter wichtig

Eine Koordinierungsstelle für Kinder von Inhaftierten will diese Datenlücke nun schließen und hat - direkt nach ihrer Einrichtung im Dezember 2022 - alle JVAs gebeten, die Elternteile in Haft zu zählen.

Eingerichtet wurde die Koordinierungsstelle von der Justizverwaltung und der Jugendverwaltung des Senats, finanziert wird sie von der Auridis-Stiftung, mit dem Ziel, die Situation für Kinder von Inhaftierten zu verbessern. Erreichbar sei die Stelle unter anderem über eine Hotline, sagt Leiterin Anja Seick. An diese könnten sich Betroffene wenden, egal ob das Familien seien, Mitarbeiter der Jugendhilfe oder des Strafvollzugs. Gerade in der Kinder- und Jugendhilfe sei das Thema inhaftierter Eltern noch wenig präsent, sagt Seick. Daher sei es ein wichtiges Ziel, Fachkräfte aus der Justiz und der Jugendhilfe zu schulen.

Offene Fragen und Forderungen gebe es viele, sagt Seick. Welche Angebote könnten einem Kind helfen, das ein Elternteil in Haft hat? Wie kann dem Vater oder der Mutter in Haft geholfen werden, ein gutes Verhältnis zu seinem Kind aufzubauen oder zu behalten? Wie könnten die Kontrollen und Räume in Haftanstalten kinderfreundlicher werden?

Siad hatte zu seinen Kindern immer viel Kontakt, wie er sagt, auch wenn er von seiner Frau seit sechs Jahren getrennt lebe. "Bevor ich reingegangen bin, habe ich sie eigentlich fast jeden Tag gesehen", erzählt er. Die Bindung zu seinen Kindern habe er auch durch die Haft nicht verloren. Darauf sei er stolz - auch wenn es am Anfang hart gewesen sei.

Siads Kinder sind neun und zehn Jahre alt. Vor allem für seinen Sohn sei es erstmal schwer gewesen, dass sein Vater ins Gefängnis musste, erzählt der 38-Jährige. "Er hatte Angst, dass er mich nie wieder sieht und dass es schlimm für mich wird. Da hat er schon viel geweint." Mit der Zeit habe sich sein Sohn aber beruhigt und sei, glaubt Siad, sogar daran gewachsen. "Er ist viel stabiler jetzt", sagt er. Siad ist sich sicher, dass es dem Kind auch geholfen hat, dass er seinen Vater in der Haftanstalt besuchen und sehen konnte, dass es dort nicht schlimm für ihn ist. Und auch zu merken, dass er seinen Vater trotzdem sehen und sprechen kann.

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Besuchszeiten im geschlossenen Vollzug sehr eingeschränkt

Im Gefängnis waren Siads Kinder allerdings nur zwei Mal. "Die Räume sind sehr klein und es gibt nur wenige Spielsachen - man kann da nicht viel machen", erzählt Siad. Ein Mal habe die Besuchszeit zwei Stunden gedauert, das sei angesichts der Möglichkeiten zu lang gewesen. Danach aber hätten Mitarbeiter der Organisation "Freie Hilfe Berlin e.V." die Treffen mit seinen Kindern organisiert, zu denen er dann auch die Haftanstalt hätte verlassen dürfen. "Die Nummer des Trägers habe ich von einem Mitinsassen bekommen. Das hat wirklich gut geklappt, dafür bin ich sehr dankbar", sagt Siad. Sieben Monate lang sei das so gelaufen, dann habe er auch an den Wochenendtagen jeweils für mehrere Stunden rausgedurft.

Nicht alle Inhaftierten haben die Möglichkeit, ihre Kinder zumindest kurzzeitig außerhalb der Haftanstalt zu treffen. Wer im geschlossenen Vollzug ist, kann seine Kinder nur innerhalb der festen Besuchszeiten sehen. Bei den Männern sind es drei Mal im Monat für eine Stunde, bei den Frauen etwas häufiger. Das sei viel zu wenig, meint Seick von der Koordinierungsstelle. Die Kinder müssten ihre Eltern häufiger sehen können, vielleicht auch mal mit der Möglichkeit, gemeinsam zu kochen oder zu essen - also etwas Alltägliches zu machen, sagt Seick.

Im Gefängnis können Familien auch feiern

Die Berliner Justizverwaltung hat das Thema inhaftierte Eltern und deren Kinder in den letzten Jahren stärker in den Fokus genommen. Seit 2018 finanziert der Senat Hilfsorganisationen wie die "Freie Hilfe Berlin e.V.". Deren Mitarbeiter organisieren beispielsweise Treffen zwischen Kindern und ihrem inhaftierten Elternteil - in Haftanstalten und auch außerhalb, sofern dies möglich ist. In einigen Haftanstalten bieten sie Vater-Kind-Gruppen an. "Da wird gebastelt, gespielt und getobt. Da kann auch Geburtstag oder Weihnachten gefeiert werden", erzählt Lena Würger vom Verein "Freie Hilfe Berlin".

Vertreter der Justizvollzugsanstalt seien bei diesen Treffen nicht dabei, damit die Männer bei diesen Treffen vor allem Väter sein könnten und nicht Inhaftierte, sagt Würger. Die Justizanstalten würden sich zwar bemühen, Kinderbesuche angemessener zu gestalten, dennoch müsse gerade in Haftanstalten für Männer noch viel getan werden. "Bei Frauen wird das Muttersein automatisch mitgedacht, bei Männern das Vatersein nicht", kritisiert Lena Würger.

Doch nicht nur die äußeren Umstände spielen eine Rolle. Siad zufolge scheuen sich viele der mit ihm inhaftierten Väter, ihre Kinder zu treffen, sei es in der Haftanstalt oder über Träger wie "Freie Hilfe". "Viele haben Angst, dass denen über die Schulter geguckt wird, und sie dafür verurteilt werden, was sie für Väter sind", sagt Siad. "Ich hatte keine Angst davor, ich habe ja nichts zu verbergen, ich bin wie ich bin. Was soll ich da verstecken."

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Viele Eltern halten Haft vor Kindern geheim

Anja Seick, Leiterin der Koordinierungsstelle für Kinder von Inhaftierten, kennt das Problem. Es sei wichtig, wie man mit Kindern darüber spricht, dass ein Elternteil in Haft muss, betont sie. "Wir raten dazu, mit offenen Karten zu spielen." Oft würden Eltern das Thema Haft geheim halten und Ausreden erfinden, wie dass der Papa im Krankenhaus oder bei der Armee ist. Das sei aber oft sogar beängstigender für die Kinder. "Häufig wissen Kinder auch mehr, als wir denken. Vielleicht bekommen sie zum Beispiel bei einem Telefonat etwas mit. Solange ihre Eltern aber nicht direkt mit ihnen sprechen, haben sie keinen Ansprechpartner".

Häufig stecke bei Eltern die Angst dahinter, dass das Kind ausgegrenzt werde, sobald in der Schule oder Kita bekannt würde, dass ein Elternteil in Haft ist. Daher sei es auch wichtig, mit diesen Stellen zu sprechen, rät Seick. Oft würden Väter oder Mütter auch befürchten, dass sie vom Kind ablehnt würden, weil sie in Haft sind - hier könnte sie aber beruhigen, sagt Seick: "Das habe ich noch nie erlebt. Kinder lieben ihre Eltern, auch wenn sie Fehler machen."

Wenn Siad seine Kinder mittlerweile am Wochenende draußen trifft, unternehmen sie häufig was - gehen ins Kino, ins Schwimmbad oder besuchen seine Eltern. "Einmal ist meine Ex-Frau verreist, und ich war mit meinen Kindern gemeinsam bei ihr zuhause. Wir haben da einen Filmabend gemacht, das war richtig gut", erzählt Siad. wenn er Anfang Februar seinen ersten Abend nicht in die Haft zurückkehren muss, weiß er auch schon, mit wem er ihn verbringen wird: mit seinen Kindern.

* Name geändert

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.01.2023, 10:20 Uhr

Beitrag von Anna Bordel

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