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Video: rbb24 Abendschau | 02.04.2023 | Norbert Siegmund | Quelle: Imago Images

Besonders wenige Praxen in Ostbezirken

Wie Berlin dem Hausärztemangel begegnet

Der Ärztemangel ist kein Problem, das sich nur auf dem Land abspielt. Auch in Großstädten finden Patienten keine Hausarztpraxis. Besonders gravierend ist es in den Berliner Ostbezirken. Von Ann-Kristin Schenten

Annelies Roloff ist ein Extrembeispiel. Sie ist 85 Jahre alt und arbeitet immer noch in ihrer Hausarztpraxis in Lichtenberg, macht sogar Hausbesuche. "Ich habe viele Patienten seit 20, 30 oder 40 Jahren, die möchte ich nicht im Stich lassen. Ich weiß, dass viele umliegende Praxen keine Patienten mehr aufnehmen. Ich kann den Menschen das nicht antun", erzählte sie der rbb24 Abendschau im Februar.

Nun hat sie nach langer Suche eine Nachfolgerin gefunden. Ihre Praxis in Lichtenberg bleibt also bestehen, und Annelies Roloff kann in den Ruhestand gehen. In wenigen Jahren könnte ihr Einzelfall allerdings zur Regel werden: In den drei Berliner Ostbezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick sind über die Hälfte der Hausärztinnen und Hausärzte über 55 Jahre alt, 38 von ihnen haben sogar die 70 schon überschritten.

Ärztemangel in Brandenburg

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Das Risiko einer Niederlassung wollen nur wenige eingehen

"Man kann sich ausrechnen, was das für die nächsten Jahre bedeutet", sagt Susanne Hemmen. Sie ist Geschäftsführerin der KV-Praxen in Berlin. Zwei dieser Praxen gibt es bereits in Lichtenberg, eine dritte soll im Oktober in Marzahn-Hellersdorf entstehen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin verwaltet sie in eigener Trägerschaft.

Die Ärztinnen und Ärzte, die hier arbeiten, sind angestellt. Sie haben keine eigene Niederlassung, sind also nicht selbstständig. "Grundsätzlich sind immer weniger junge Ärzte bereit, sich auf das finanzielle Risiko einer Niederlassung einzulassen", sagt Susanne Hemmen. "Zum anderen ist es aber auch so, dass man erstmal schauen muss, wie man in einer Praxis ankommt. Man muss die Niederlassung erlernen. Das wollen wir mit den KV-Praxen ermöglichen. Wir wollen Wege aufzeichnen, wie man in die Niederlassung findet."

Hausärztin Christina Vargas (rechts) mit einer Mitarbeiterin der KV-Praxis Karlshorst. | Quelle: rbb/Ann-Kristin Schenten

"Woanders werden die Patienten abgewiesen"

Christina Vargas hat sich im Februar entschieden, als angestellte Hausärztin in eine der KV-Praxen zu wechseln. Die Praxis liegt in Karlshorst, versteckt zwischen Einfamilienhäusern, die hier in Sichtweite der Lichtenberger Plattenbauten stehen. "Woanders werden die Patienten abgewiesen, und dann werden sogar wir hier entdeckt, obwohl wir fernab der Hauptstraße liegen", scherzt Vargas. Die Entscheidung in Lichtenberg zu arbeiten, habe sie bewusst getroffen: "Ich hatte von der Mangelsituation gehört, dass viele Patienten in andere Städte reisen, um einen Hausarzt zu suchen. Ich habe dann nach einem Träger gesucht, der den Versorgungsaspekt in den Vordergrund stellt und bin so auf die KV-Berlin gestoßen."

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In Lichtenberg ist die Lage am schwierigsten

In den Bezirken Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick gibt es derzeit über 135 offene hausärztliche Sitze – Tendenz steigend. In Lichtenberg ist die Lage besonders gravierend, hier liegt der Versorgungsgrad bei etwa 78,6 Prozent. Bei unter 75 Prozent spricht man von Unterversorgung. Auf einen Hausarzt kommen da gut 2.000 Patienten, das seind deutlich mehr als normal. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung in den Randbezirken wächst.

"Die Patienten berichten, dass sie schon fünf bis sechs Praxen vor uns angefragt haben", sagt Christina Vargas. Entsprechend dankbar seien die Patienten. Dennoch ist es vermutlich eine Frage der Zeit, bis auch die KV-Praxis in Karlshorst Patienten abweisen muss. "Eine Praxis reicht natürlich nicht", sagt Susanne Hemmen von der KV-Berlin. "Aber wir können sagen, dass sich in Lichtenberg die Versorgungslage immerhin nicht verschlechtert hat. Wir haben in erster Linie das Ziel, die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu ergänzen."

Quelle: rbb

60.000 Euro Zuschuss für eine neue Praxis

Damit sich langfristig mehr Ärztinnen und Ärzte für die Ost-Bezirke entscheiden, wird eine Niederlassung hier mit bis zu 60.000 Euro bezuschusst. In den Innenstadtbezirken, wo es teils sogar eine Überversorgung von mehr als 100 Prozent gibt, wurde ein Zulassungsstopp verhängt.

Ein Blick auf die Statistiken der KV-Berlin offenbart allerdings: Auch im Berliner Westen, vor allem in Spandau, verschärft sich das Problem. Noch ist die Versorgungslage hier in einem akzeptablen Bereich - mit einer alternden Bevölkerung und damit auch alternden Ärzten wird sich der Ärztemangel aber wahrscheinlich ausweiten.

Programmtipp: rbb-Talk "Wir müssen reden"

"Wir müssen reden"

Sendung: rbb24 Abendschau, 02.05.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Ann-Kristin Schenten

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