Besonders wenige Praxen in Ostbezirken - Wie Berlin dem Hausärztemangel begegnet

Di 02.05.23 | 06:11 Uhr | Von Ann-Kristin Schenten
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Symbolbild: Wartende 2009 in Berlin. (Quelle: Imago Images)
Video: rbb24 Abendschau | 02.04.2023 | Norbert Siegmund | Bild: Imago Images

Der Ärztemangel ist kein Problem, das sich nur auf dem Land abspielt. Auch in Großstädten finden Patienten keine Hausarztpraxis. Besonders gravierend ist es in den Berliner Ostbezirken. Von Ann-Kristin Schenten

Annelies Roloff ist ein Extrembeispiel. Sie ist 85 Jahre alt und arbeitet immer noch in ihrer Hausarztpraxis in Lichtenberg, macht sogar Hausbesuche. "Ich habe viele Patienten seit 20, 30 oder 40 Jahren, die möchte ich nicht im Stich lassen. Ich weiß, dass viele umliegende Praxen keine Patienten mehr aufnehmen. Ich kann den Menschen das nicht antun", erzählte sie der rbb24 Abendschau im Februar.

Nun hat sie nach langer Suche eine Nachfolgerin gefunden. Ihre Praxis in Lichtenberg bleibt also bestehen, und Annelies Roloff kann in den Ruhestand gehen. In wenigen Jahren könnte ihr Einzelfall allerdings zur Regel werden: In den drei Berliner Ostbezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick sind über die Hälfte der Hausärztinnen und Hausärzte über 55 Jahre alt, 38 von ihnen haben sogar die 70 schon überschritten.

Das Risiko einer Niederlassung wollen nur wenige eingehen

"Man kann sich ausrechnen, was das für die nächsten Jahre bedeutet", sagt Susanne Hemmen. Sie ist Geschäftsführerin der KV-Praxen in Berlin. Zwei dieser Praxen gibt es bereits in Lichtenberg, eine dritte soll im Oktober in Marzahn-Hellersdorf entstehen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin verwaltet sie in eigener Trägerschaft.

Die Ärztinnen und Ärzte, die hier arbeiten, sind angestellt. Sie haben keine eigene Niederlassung, sind also nicht selbstständig. "Grundsätzlich sind immer weniger junge Ärzte bereit, sich auf das finanzielle Risiko einer Niederlassung einzulassen", sagt Susanne Hemmen. "Zum anderen ist es aber auch so, dass man erstmal schauen muss, wie man in einer Praxis ankommt. Man muss die Niederlassung erlernen. Das wollen wir mit den KV-Praxen ermöglichen. Wir wollen Wege aufzeichnen, wie man in die Niederlassung findet."

Hausärztin Christina Vargas (r.) mit einer Mitarbeiterin der KV-Praxis Karlshorst. (Quelle: rbb/Ann-Kristin Schenten)
Hausärztin Christina Vargas (rechts) mit einer Mitarbeiterin der KV-Praxis Karlshorst. | Bild: rbb/Ann-Kristin Schenten

"Woanders werden die Patienten abgewiesen"

Christina Vargas hat sich im Februar entschieden, als angestellte Hausärztin in eine der KV-Praxen zu wechseln. Die Praxis liegt in Karlshorst, versteckt zwischen Einfamilienhäusern, die hier in Sichtweite der Lichtenberger Plattenbauten stehen. "Woanders werden die Patienten abgewiesen, und dann werden sogar wir hier entdeckt, obwohl wir fernab der Hauptstraße liegen", scherzt Vargas. Die Entscheidung in Lichtenberg zu arbeiten, habe sie bewusst getroffen: "Ich hatte von der Mangelsituation gehört, dass viele Patienten in andere Städte reisen, um einen Hausarzt zu suchen. Ich habe dann nach einem Träger gesucht, der den Versorgungsaspekt in den Vordergrund stellt und bin so auf die KV-Berlin gestoßen."

In Lichtenberg ist die Lage am schwierigsten

In den Bezirken Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick gibt es derzeit über 135 offene hausärztliche Sitze – Tendenz steigend. In Lichtenberg ist die Lage besonders gravierend, hier liegt der Versorgungsgrad bei etwa 78,6 Prozent. Bei unter 75 Prozent spricht man von Unterversorgung. Auf einen Hausarzt kommen da gut 2.000 Patienten, das seind deutlich mehr als normal. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung in den Randbezirken wächst.

"Die Patienten berichten, dass sie schon fünf bis sechs Praxen vor uns angefragt haben", sagt Christina Vargas. Entsprechend dankbar seien die Patienten. Dennoch ist es vermutlich eine Frage der Zeit, bis auch die KV-Praxis in Karlshorst Patienten abweisen muss. "Eine Praxis reicht natürlich nicht", sagt Susanne Hemmen von der KV-Berlin. "Aber wir können sagen, dass sich in Lichtenberg die Versorgungslage immerhin nicht verschlechtert hat. Wir haben in erster Linie das Ziel, die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu ergänzen."

Versorgungsgrad der Hausärzte in Berliner Bezirken nach Prozent. Stand 01.05.20223. (Quelle: rbb)

60.000 Euro Zuschuss für eine neue Praxis

Damit sich langfristig mehr Ärztinnen und Ärzte für die Ost-Bezirke entscheiden, wird eine Niederlassung hier mit bis zu 60.000 Euro bezuschusst. In den Innenstadtbezirken, wo es teils sogar eine Überversorgung von mehr als 100 Prozent gibt, wurde ein Zulassungsstopp verhängt.

Ein Blick auf die Statistiken der KV-Berlin offenbart allerdings: Auch im Berliner Westen, vor allem in Spandau, verschärft sich das Problem. Noch ist die Versorgungslage hier in einem akzeptablen Bereich - mit einer alternden Bevölkerung und damit auch alternden Ärzten wird sich der Ärztemangel aber wahrscheinlich ausweiten.

Programmtipp: rbb-Talk "Wir müssen reden"

Sendung: rbb24 Abendschau, 02.05.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Ann-Kristin Schenten

27 Kommentare

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  1. 27.

    " . Wie motivierd sind die Kollegen dann...... "

    einer der Hauptgründe für mangenlde Termine . Zu allem Überfluß wird dieses Budget jedes Quartal neu festgelegt

  2. 26.

    " Gesundheit ist eine Ware. Wer die haben will, soll so viel wie möglich bezahlen. "

    die GKV sollte ja gerade das ausschließen , eigentlich..........aber die Zeiten ändern sich ; früher behandelten sich Ärzte als Kollegen unentgeldlich oder haben Rechnungen zum Mindestsatz erstellt alles lange vorbei

  3. 25.

    " Laut FAZ sind nur 35 % der Studierenden Männer. "

    was man nicht weiß ist, ob die dann auch alle ärztlich tätig werden oder zB in die Pharmaindustrie gehen, guter Verdienst, Wochenenden frei, keine Notdienste etc

  4. 24.

    Das Problem besteht seit 30 Jahren. Unbestritten: gesundheitliche Versorgung kostet Geld. Dennoch wurden fast alle sog. Polikliniken in den (Ost)Bezirken geschlossen, Ärzte sind abgewandert. Dieses System war im bundesdeutschem System nicht rentabel und zu sozialistisch. Das Ergnis sieht man heute.

  5. 23.

    Laut FAZ sind nur 35 % der Studierenden Männer. Frauen arbeiten häufiger nicht Vollzeit, besonders dann, wenn sie finanziell unabhängig sind. Warum nicht eine Quote von z.B. 40 % für Männer ?

  6. 22.

    Dann wäre es schön, wenn man obige Grafik nur aus Sicht der KV-Patienten nachmal darstellen könnte.

  7. 21.

    -Spitzenreiter Zehlendorf-Steglitz mit üver 130 % Versorgundsgrad.

    Weil dort mehr Eltern privat versichert sind und auch deren Kinder privat versichert sind?

  8. 20.

    UKB, 4. Hausarzt in 6 Jahren weg. Bin mit 76 auf Dauermedikation angewiesen. Wie komme ich jetzt an meine Medikamente? Soll ich das UKB wegen unterlassener Hilfeleistung verklagen???

  9. 19.

    Der Grund ist der ganz einfache Kapitalismus. Gesundheit ist eine Ware. Wer die haben will, soll so viel wie möglich bezahlen. Bei Google gibt es zwischen news eine " gesponserte" Anleitung für Ärzte:" machen Sie Ihre Patienten zu Privat Patienten. " Das sagt doch alles.

  10. 18.

    Allgemeinmediziner haben in Berlin eine Auszahlungsquote von 80% der abgerechneten Leistung.
    D.h.. eigentlich stehen 100 Euro auf der Rechnung, der Arzt bekommt aber nur 80 Euro..

    Bei Kinderärzten war es 2022 so, dass bei erreichen der Budgetgrenzen, die drüberliegende Leistung mit ca 15 % bezahlt wurde.. Also siegt der Kollege 6 Kinder und für ein Kind bekommt er Geld. Wie motivierd sind die Kollegen dann......

    Und bitte nun nicht ... Eid des Hippokrates schreiben......

  11. 17.

    Heute sind gut 30% der niedergelassenen Ärzte über alle Fachrichtungen hinweg in Anstellung,
    auch der Anteil Teilzeit-arbeitender Ärzte wird immer mehr.

    Der Frauenanteil unter den Niedergelassenen steigt und ist jetzt bei über 50%.

    Angestellte Ärzte arbeiten für Stundenlohn, da ist die Neigung evt. geringer ausgeprägt zum feierabend hin noch ein paar Patienten mehr zu behandeln. DAs war eher für den selbstständigen Arzt interessant. aber auch nur, wenn er die Budgetgrenzen sind überzogen hat..

  12. 16.

    In Berlin wuchs die Anzahl von "Vollzeitärzten" in Praxen in den letzten 10 Jahren um 22 Köpfe auf ca 325 Kinderärzte.
    Der Zuwachs an Kindern und Jugendlichen in 10 Jahreb über 100000 mehr......

  13. 15.

    Bei Kinderärzten ist Lichtenberg-Hohenschönhausen mit 80% Versorgungsgrad Schlusslicht, Spandau 82%, reinickendorf / Marzahn /Treptow-Köpenick alls knappp über 90 %.
    Spitzenreiter Zehlendorf-Steglitz mit üver 130 % Versorgundsgrad.

  14. 14.

    Stimmt so nicht. Ärzte rechnen Leistungsziffern ab, die im EBM dem einheitlichen Bewertungsmaßstab enthalten sind. Die Sind in Ost und West gleich.

  15. 13.

    "im platten Land" ...
    Ich bin mit Brandenburger Ärztemangel durcheinander gekommen.
    Aber ändert nichts an meiner Meinung, ob Ostteil oder Brandenburg.

  16. 12.

    Wenn sich der Anteil der Privatpatienten "im platten Land" nicht erhöht, werden sich auch kaum neue Ärzte finden.
    Einfach kaum lukrativ und Investitionen in Praxis, neue Technik/Geräte ect. rechnen sich nicht.

  17. 11.

    Bezieht sich die Grafik oben mit der teilweisen Überversorung im Zentrum auf Kassenpatienten, Privatpatienten oder beides?

  18. 10.

    "einen finanziellen Anreiz bekommen, sich im Ostteil niederzulassen." Sie meine sowas wie eine 'Buschzulage'?

  19. 9.

    Eigentlich gibt es für Kassenpatienten überhaupt nirgends Arzttermine... für Privatpatienten oder Selbstzahler ist das wiederum nicht so. Das finde ich eigentlich noch absonderlicher als die "Verrentungswelle" der kalkulierbar älter werdenden Ärzteschaft....

  20. 8.

    wohl wahr Frau Nonnemacher, aber das Problem besteht ja schon seit mehr als 10 Jahren und in Berlin hat man doch irgendetwas vor paar Jahren erlassen, das Ärzte einen finanziellen Anreiz bekommen, sich im Ostteil niederzulassen. Solange aber immer noch Gehaltsunterschiede und Verdienste zwischen Ost und West bestehen, wird sich wohl kein Arzt-in im Ostteil niederlassen

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