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Audio: Brandenburg aktuell | 03.02.2021 | Mona Ruzicka | Quelle: rbb/Brandenburg Aktuell

Brandenburger Studierende im Lockdown

Wenn Corona die beste Zeit des Lebens klaut

Das verheißungsvolle Studentenleben ist zusammengeschrumpft auf Online-Kurse in kleinen WG-Zimmern. Eine Belastung für viele Studierende – und jetzt steht auch noch eine schwierige Prüfungsphase an. Von Mona Ruzicka

Wo sonst Gläser über die Theke gehen, laut geredet und getanzt wird, sammelt sich seit Wochen nur etwas Staub. Verlassen sieht die Studentenkneipe "Pub à la Pub" in Potsdam aus, und so ganz ohne Gäste steht Eileen Bühnemann etwas verloren hinter der Theke. Sie studiert im 7. Semester Religionswissenschaft und Geschichte an der Universität Potsdam und ist im Vorstand des Vereins, der die Kneipe betreibt. "Das Studentenleben ist traurig geworden. Es ist ruhig geworden, einsam", sagt Eileen.

Der Studentin fehlen vor allem die sozialen Kontakte. Das Zusammensitzen zwischen den Vorlesungen, gemeinsam Lernen, die Partys und neue Leute kennenlernen. Nicht umsonst sagen viele Menschen, dass das Studium die beste Zeit ihres Lebens war – und meinen damit vermutlich nicht die grandiose Vorlesung über Steuerrecht oder den Kalten Krieg.

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Viele Studierende sitzen seit dem Herbst bis zu zehn Stunden am Tag vor dem Laptop. Für sie bedeutet das Mantra "bleibt daheim", dass ihr Alltag auf wenige Quadratmeter begrenzt ist, denn die meisten wohnen in kleinen WG- oder Wohnheimzimmern. Dazu kommen Probleme mit dem Online-Unterricht, berichtet Eileen. "Zurzeit ist es einfach nur Texte lesen, Essays schreiben, Texte lesen. Das spiegelt einfach nicht wieder, wie toll das Studium ist."

In einigen Kursen werden nur lieblose Power-Point-Folien hochgeladen, oft weil das technische Know-How fehlt. Der persönliche Austausch, die Möglichkeit Fragen zu stellen, fällt weg. Gleichzeitig steigen die Anforderungen teilweise, Eileen vermutet, weil Dozierende denken: "Die sitzen ja eh den ganzen Tag zu Hause."

Ohne Kontakte in einer neuen Stadt

Gerade für Erstsemester-Studierende ist die Situation belastend. Johann Plato kommt aus Rostock und studiert seit dem Herbst "Sound" an der Filmuniversität Babelsberg. Er sitzt in seinem kleinen Wohnheimzimmer, das er sich mit vielen Pflanzen gemütlich eingerichtet hat.

"Je mehr Online-Unterricht ich hatte, desto mehr kommt man in einen ungepflegten Alltag. Man gibt sich keine Mühe mehr und steht nur 10 Minuten vor der Vorlesung auf", sagt Johann, der eigentlich sehr diszipliniert wirkt. An der Uni war er ein paar Mal, doch es hat nicht gereicht, um wirklich soziale Kontakte aufzubauen. "Es tut natürlich weh, sich das einzugestehen, aber es geht nicht in dieser Zeit Freundschaften zu schließen", sagt Johann. "Highlights sind Projekte an der Uni, wo man doch mal wieder einen Kommilitonen trifft und spontan lacht. Aber das ist echt rar."

Es gibt Kurse für Erstsemester-Studierenden, die helfen sollen, besser ins Studium reinzukommen. Eileen Bühnemann leitet einen solchen Kurs, sie nennt sich liebevoll "Ersthilfekurs für Erstsemester". Sie weiß von manchen, die noch nie an der Universität waren. Wieso auch: Der Campus ist leer, es sei ein trauriger Anblick, findet Eileen. "Viele Erstsemester sind jetzt schon unmotiviert und sagen, dass sie nicht weiter studieren werden. Ich probiere ihnen zu sagen: 'Hey, Studium kann viel schöner sein!'"

Quelle: rbb

Psychische Probleme nehmen zu

Die Sorgen aufzufangen, das versucht auch Wega Fackeldey. Sie ist Therapeutin bei der psychologischen Beratungsstelle der Universität Potsdam und erlebt derzeit täglich, welche Auswirkungen der Lockdown auf Studierende hat. "Ein großes Problem ist die Kontaktlosigkeit, die schlägt den Leuten enorm aufs Gemüt", sagt sie. "Viele verlieren ihren Rhythmus und haben keine klare Struktur mehr in ihrem Alltag." Dazu kommen Zukunftsängste und finanzielle Sorgen, denn viele Studierende haben Nebenjobs verloren, leben von Bafög – oft sogar weniger als der Höchstsatz von 861 Euro – oder haben einen Studienkredit aufgenommen.

Schon länger arbeitet die psychologische Beratungsstelle in Potsdam an der Kapazitätsgrenze. Doch seit dem Lockdown müssen Bedürftige bis zu sechs Wochen auf einen Einzeltermin warten, es melden sich immer mehr. Da ist zum Beispiel ein Student, der schon in der Vergangenheit depressiv und mediensüchtig war. Eigentlich hatte er seine Erkrankung gut im Griff, hielt sich von Computern und Smartphones fern. Durch das Online-Studium hatte er kaum mehr die Wahl und musste sich ein Tablet kaufen. Nun ist er wieder verloren zwischen Videos auf YouTube und Netflix.

"Wenn man eine Anleitung für einen Rückfall basteln würde, dann sähe der so aus", sagt er. "Die Aufforderung alles online zu machen, ist für mich ein riesengroßer Hohn." Solche schwerwiegenden Erkrankungen sind Einzelfälle unter Studierenden, doch der Lockdown kann psychische Krankheiten triggern, sagt die Psychologin Fackeldey.

Widerstand gegen Präsenzprüfungen

Dadurch, dass in den nächsten Wochen Prüfungen anstehen, wird die Situation nicht einfacher. Einige Klausuren werden an Brandenburger Universitäten in Präsenz geschrieben, mit bis zu 50 Personen in einem Raum. Prüflinge, die mehrere Klausuren schreiben müssen, haben innerhalb weniger Wochen dadurch schnell hundert bis zweihundert potentielle Risikokontakte.

Eine große Belastung für Studierende, die zur Risikogruppe gehören oder Kontakt zu Vorerkrankten haben, wie Lina M. Sie studiert Geschichte an der Uni Potsdam und ist selbst an Asthma erkrankt, ihre Mutter sogar schwer. "Ich sehe es als unnötiges Risiko", sagt sie. Zwar haben Studierende die Möglichkeit bekommen, Prüfungen erst zu einem späteren Zeitpunkt abzulegen. Doch dazu sagt Lina: "Das ist schon seit dem Sommersemester so und irgendwann würden sich die Klausuren dann einfach häufen, eine wirkliche Option ist das nicht." Wie Lina sorgen sich viele Studierende, dass sich ihr Abschluss jetzt verzögern könnte.

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Beim Allgemeinen Studierendenausschuss in Potsdam sind mehr als 500 Mails zu dem Thema eingegangen. Die Sorgen sind vielfältig: drei Stunden Klausur mit Maske seien unzumutbar, die Anreise mit dem ÖPNV zu gefährlich oder es fehle die Betreuung des Kindes während der Prüfung. Kurz vor der Hauptprüfungsphase – und mitten in der Lockerungsdebatte – scheint das Thema Studierende überall zu bewegen. Fachschaften aus Berlin und Frankfurt (Oder) wollen mit Protestbriefen und Petitionen Präsenzprüfungen verhindern.

Datenschutzbedenken wegen Zugriff auf Kameras

Das Brandenburger Ministerium für Wissenschaft und Forschung hält an den Präsenzprüfungen fest, ähnlich wie ihre Berliner Kolleg*innen. Nicht zuletzt, weil die Voraussetzungen für Online-Prüfungen oft dürftig sind, auch noch ein Jahr nach Pandemie-Beginn.

Das Internet fällt in einigen Potsdamer Wohnheimen immer wieder aus, gerade dann, wenn viele im Netz gleichzeitig Prüfungen schreiben. Eileen Bühnemann ist deshalb froh, dass sie die Möglichkeit hat, ihre Klausuren an der Universität zu schreiben. Wirklich Ruhe hat sie Wand an Wand mit Anderen eben auch nicht. Außerdem stehen Datenschutzbedenken im Raum. Dozierende haben Zugriff auf Computermikrofone und -kameras, um Betrug zu verhindern. An einer Brandenburger Hochschule soll das soweit geführt haben, dass Prüflinge ihre Privaträume komplett abfilmen sollten.

Immerhin werden die Semester seit Beginn der Corona-Pandemie nicht auf die Regelstundenzeit angerechnet. Ein kleiner Trost, denn bei vielen bleibt das Gefühl, dass die besten Jahre ihres Lebens durch Corona ein Stück weit zerstört wurden.

Sendung: Brandenburg aktuell, 03.0.2021, 19:30 Uhr

Beitrag von Mona Ruzicka

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