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Quelle: dpa/M. Bihlmayer

Keine Maskenpflicht in Schulen und Einzelhandel

Wie locker wir uns wirklich machen sollten

Masken weg, Pandemie vorbei? Die neuen Lockerungen in Berlin und Brandenburg verleiten zu einer Reihe von Trugschlüssen. Haluka Maier-Borst versucht, einige davon richtig einzuordnen.

Trugschluss 1: Wir kriegen eh alle das Virus, wann ist jetzt auch egal.

Fangen wir mal mit den guten Nachrichten an und die hören Sie von einem, der gerade selbst mit milden Symptomen in der Isolation hockt. Ja, dank der Kombination aus Impfungen, Boostern und Omikron verläuft in der Regel eine Corona-Infektion inzwischen viel leichter als vor einem oder gar zwei Jahren. Und klar, verglichen mit den schlimmsten Momenten der Pandemie, namentlich dem Winter 2020/21, ist die Lage deutlich besser.

Wenn man aber die aktuelle Situation mit den gesamten letzten zwei Jahren vergleicht, sieht das schon anders aus. Auch wenn man davon ausgeht, dass wir in einer neuen Normalität leben und wir immer wieder Infektionswellen haben werden, ist die Lage alles andere als entspannt.

Aktuell sind deutlich mehr Patienten mit Corona auf den Normalstationen als im “Pandemie-Durchschnitt”. Und selbst wenn dort viele davon Corona nur als Nebenbefund haben, so liegen immer noch auch auf Brandenburger Intensivstationen so viele Corona-Patienten wie im Schnitt in den letzten zwei Jahren. Und das, obwohl wir inzwischen besser Intensivstationsaufenthalte verhindern können und frühere Virusvarianten problematischer waren.

Entsprechend ist es eben nicht egal, wann Sie und alle anderen erkranken. Kit Yates, mathematischer Biologe an der Universität Bath, sieht das gerade in seiner Heimat England: "Ein kleiner Teil einer sehr großen Zahl kann immer noch eine problematisch große Zahl ergeben. Aktuell ist unser Gesundheitssystem wieder ähnlich stark am Anschlag wie Ende letzten Jahres mit Delta, schlicht weil so viele Menschen gleichzeitig erkranken." Hinzu kommt außerdem in Großbritannien wie auch in Deutschland: Wenn viele Menschen gleichzeitig das Virus haben und sich aber pflichtbewusst isolieren, dann fehlt das Personal. In Krankenhäusern, in Altenheimen, in Schulen und in anderen Bereichen.

Yates hat darum in der Fachzeitschrift "British Medical Journal" massiv die britische Öffnungsstrategie kritisiert. Er warnt andere Länder davor, einen ähnlichen Weg einzuschlagen. "Wir haben die Pläne dazu vor ein paar Monaten gemacht, als die Fallzahlen am Sinken waren und jetzt versuchen wir mitten in den neuerlichen Anstieg alles genauso umzusetzen, ohne etwas anzupassen. Das ist keine clevere Idee ", sagt er. Yates plädiert dafür, einfache und relativ günstige Maßnahmen wie Masken in Innenräumen, kostenlose Tests und Möglichkeiten zum Homeoffice vorerst aufrechtzuerhalten. Das heißt für Sie: Wenn Sie eine Ansteckung rauszögern können, dann machen Sie das.

Trugschluss 2: Das Virus wird schwächer werden, das ist der Gang der Evolution.

Das Virus wird schwächer, das wird immer wieder behauptet, auch von Wissenschaftlern wie Klaus Stöhr. Der Virologe und Epidemiologe, ehemals tätig für die Weltgesundheitsorganisation (WHO), sagte vor zwei Wochen gegenüber der rbb-Abendschau: "Es hat es in der Geschichte der Atemwegserkrankungen noch nie gegeben, dass sich ein bereits langsam an den Menschen angepasstes Virus dramatisch in seiner Pathogenität verschärft."

Das sehen viele Expertinnen und Experten aber anders. So erklärte der britische Evolutionsbiologe Andrew Rambaut von der Universität Edinburgh zum Beispiel schon zum Jahreswechsel gegenüber dem Fachmagazin Nature [nature.com], es sei ein Mythos, dass zwangsläufig Viren immer milder werden.

Ähnlich äußerte sich auch Paul Hunter von der Universität East Anglia, Experte für Gesundheitsschutz. Dem Coronavirus sei es herzlich egal, ob es Leute umbringt oder nicht, solange es sich bereits weiter überträgt, bevor es einen infizierten Menschen umbringt. "Krankheiten werden nicht immer weniger virulent. Manchmal werden sie es, manchmal nicht", sagte Hunter dem Magazin New Scientist [newscientist.com].

Natürlich hoffen wir alle, dass keine gefährlichere Variante mehr auftaucht. Aber das Auftreten der Varianten Alpha, Beta und Delta zeigt, dass leichter übertragbare Varianten mitunter eben auch häufiger zu schweren Verläufen und Toten führen können. Dass Corona einfach zu einem gemeinen Schnupfen wird, ist alles andere als sicher.

Trugschluss 3: Impfungen schützen gegen Omikron nicht, nur die natürliche Immunisierung hilft noch.

Richtig ist, dass der Schutz der Boosterimpfung gegen symptomatische Omikron-Infektionen zwei bis vier Wochen nach der Impfung bei etwa 60 Prozent liegt und dann rapide abnimmt. Nach etwa drei Monaten liegt der Schutz nur noch bei 30 Prozent, wie britische Daten zur Impfung zeigen [gov.uk.]

Deutlich besser sieht es aber eben bei dem Schutz gegen schwere Verläufe aus. Selbst mit zwei Impfungen beträgt laut Daten aus Katar der Schutz gegen schwere Verläufe etwa 70 bis 80 Prozent für mindestens sieben Monate und steigt im Anschluss einer Booster-Impfung auf mehr als 90 Prozent [medrxiv,org].

Entsprechend macht es sehr wohl nach wie vor Sinn, sich gegen Corona impfen zu lassen. Zudem zeigen verschiedene Studien, dass eine Omikron-Infektion nur dann gegen andere Varianten schützt, wenn man zuvor schon geimpft war [sigallab.net]. Und auch für diejenigen, die zwar für Impfungen sind, aber mit dem Booster noch auf einen angepassten Impfstoff warten wollen, sei gesagt: Lassen Sie sich lieber jetzt mit den Impstoffen boostern, die es schon gibt. Erste Studien zeigen nämlich, dass der Versuch, Impfstoffe an Omikron anzupassen und effektiver als aktuelle Versionen zu machen, bisher nicht erfolgreich war [nature.com].

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Trugschluss 4: Wir müssen jetzt auch wieder mal zum Alltag zurückkehren.

Ja, wir sind pandemiemüde. Ja, die Omikron-Variante ist vielleicht sogar so ansteckend, dass sie sich gar nicht oder nur mit drastischen Maßnahmen eindämmen lässt, die wir nicht mehr wollen und angesichts milderer Verläufe nicht angezeigt sind. Trotzdem warnt Kit Yates davor, gedanklich auf den Reset-Button zu drücken: "Dass wir lernen müssen mit dem Virus zu leben, heißt doch eben nicht, dass wir einfach so tun, als wäre das Virus gar nicht da und könnten leben als wäre es 2019."

Dass zum Beispiel in Großbritannien die Zahl der kostenlosen Tests zurückgefahren wird, hält er für falsch. Das Ganze sei vergleichbar mit dem Wetter. Da sage auch niemand, nur weil man ein Unwetter als solches nicht verhindern kann, dass man aufhören solle, Vorhersagen zu machen. "Weil wir Vorhersagen haben, weil wir besser messen, können wir uns doch gegen das Schlimmste rüsten", sagt Yates.

Viele Forscherinnen und Forscher finden, dass wir grundsätzlicher über unseren Umgang mit Viren im Alltag nachdenken sollten. Denn bessere Belüftung in Innenräumen sei zum Beispiel ein Punkt, der auch gegen andere Krankheiten wie die Grippe helfen würde. So vergleicht die britische Epidemiologin Christina Pagel diese Überlegung mit Hygienefortschritten im 19. Jahrhundert. "Die Leute damals haben erkannt wie wichtig sauberes Wasser ist und wir merken gerade, wie wichtig saubere Luft ist", erklärte sie gegenüber dem New Scientist [newscientist.com].

Yates findet derweil, dass in einem Punkt Deutschland bereits sehr vorbildlich dazugelernt habe: "Dass Leute zu Hause bleiben können, wenn sie sich krank fühlen und es mehr die Möglichkeit zum Homeoffice gibt – das ist etwas, das wir Briten uns von den Deutschen abschauen sollten – auch unabhängig von Corona."

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Beitrag von Haluka Maier-Borst

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