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Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 06.09.2022 | J.Paczkowski/A.König | Quelle: dpa/Jan Woitas

Protestmärsche gegen steigende Kosten

Der heiße Herbst ist da

Noch ist die Erinnerung an die Corona-Proteste wach, da rollt die nächste Welle auf das Land zu: gegen eine Explosion der Energiekosten und Preissteigerungen, für die viele der Ampelkoalition die Schuld geben. Von Olaf Sundermeyer

In Königs Wusterhausen laufen sie wieder. In Frankfurt (Oder) und in Brandenburg an der Havel sind sie auch wieder auf der Straße. Noch sind es erst ein paar hundert, die sich dort zum Protest gegen die Bundesregierung versammeln. In Sachsen aber sind es schon deutlich mehr.

Deshalb ist Jürgen Elsässer aus dem Havelland an diesem Montagabend nach Leipzig gefahren. Er ist Chefredakteur des "Compact-Magazins", dem wichtigsten Organ der außerparlamentarischen Protestbewegung von rechts: Seit Wochen führt er deren wesentliche Akteure zusammen, von den Querdenkern bis zu Parteigängern der AfD und schwört sie auf jenes Szenario ein, das er auch als Redner in Leipzig vorträgt - vor rund 1.500 Demonstranten aus dem regionalen, rechtsextremen Protestmilieu.

"Woche der Demokratie"

Querdenker und Montagsspaziergänger proben den Aufstand

Wenn die Preise weiter steigen, rechnet die Politik mit Straßenprotesten. In Berlin versammeln sich dieser Tage bereits Tausende, die für einen "heißen Herbst" sorgen wollen. Über ihre Demo am Montag konnte der rbb nur unter Polizeischutz berichten. Von Olaf Sundermeyer

Konzept für "heißen Herbst" liegt seit Monaten vor

Sie sind einem Aufruf der Organisation "Freie Sachsen" gefolgt. Auf der anderen Seite des Leipziger Augustusplatzes haben sich mehr als 4.000 Protestierer nach einem bundesweiten Aufruf der Partei "Die Linke" versammelt, zum "heißen Herbst gegen soziale Kälte". An ihre Adresse schickt der rechte Demonstrationsredner Elsässer seine Botschaft über den Platz: "Wo bleibt denn Euer Eintreten für die Stadt Schwedt, mit der Raffinerie PCK?"

Dann erinnert er daran, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) "Schwedt das russische Öl zum 31.12. abdrehen will. Und dann fährt östlich der Elbe kein Pkw mehr", behauptet Jürgen Elsässer, dessen Magazin der Verfassungsschutz Brandenburg als "rechtsextrem" einstuft. "Wenn die Regierung das Volk frieren lassen will für ihren verdammten Krieg gegen Russland, dann muss das Volk der Regierung einen heißen Herbst bereiten." Der Masterplan für diesen "heißen Herbst" liegt bereits seit August vor.

Er stammt von Götz Kubitschek, neurechter Publizist und einflussreicher Vordenker bei der außerparlamentarischen Rechten und in der AfD. In seinem Konzept über die Empörung im Herbst beschreibt er die Grundsätze des rechten Protests und der Wellen, denen dieser folgen solle: Nach der Bankenkrise, der Flüchtlingskrise, und der Corona-Krise sei nun "die Zerstörung der Beziehungen Deutschlands zu Russland nicht die erste, sondern die vierte zersetzende Welle, mit der unser Land zurechtkommen muss."

Demos jeden Dienstag geplant

200 Menschen bei Auftakt zu "heißem Herbst" in Frankfurt (Oder)

Die Linke hat zu einem "heißen Herbst" aufgerufen und will nun jede Woche gegen hohe Preise demonstrieren. Dienstags statt montags, um sich von rechts unterwanderten Demos abzugrenzen. Zum Auftakt war auch die Bundesvorsitzende vor Ort.

Eine Querfront aus Rechten und Linken

Bereits im Juli hatte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock öffentlich vor den möglichen innenpolitischen Folgen eines Gaslieferstopps gewarnt. Von drohenden "Volksaufständen" hatte sie für diesen Fall gesprochen, und damit den Anschiebern des rechten Straßenprotests ein griffiges Narrativ geliefert: Wie schon während der Corona-Krise, als Fotomontagen von Politikern und Wissenschaftlern in Sträflingskleidung als "Schuldige" stilisiert auf Pappschildern über die Demonstrationen der Querdenker getragen wurden, prangen in Leipzig nun die führenden Ampelgesichter: "A. Baerbock - schuldig", "C. Lindner - schuldig", "R. Habeck - schuldig", "O. Scholz - schuldig."

Für Jürgen Elsässer sind sie allesamt "Volksverräter", weil sie die Gaspipeline Nord Stream 2 nicht öffnen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Toten, die Zerstörung, das Leid, all das ist bei ihm gar kein Thema. Elsässer fordert eine Querfront aus Rechten und Linken, wie sie sich am vergangenen Wochenende bei einem Massenprotest in Prag gezeigt hat.

rbb-Bürgertalk "Wir müssen reden"

Staatssekretär Kellner gibt Bestandsgarantie für Raffinerie in Schwedt

Politiker und Bürger haben am Dienstag über die Zukunft der Raffinerie in Schwedt diskutiert. Vom Bund kamen dabei optimistische Signale, während es für den Brandenburger Wirtschaftsminister wie auch die Bürger noch viele offene Fragen gibt.

AfD-Fraktion lädt Wagenknecht zu Demonstration ein

Als verbindendes Element zwischen rechts und links erscheinen Hierzulande die Positionen der früheren Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht: "Es gibt keinen vernünftigen Grund, Nord Stream 2 nicht zu öffnen. Sollte darüber mehr Gas bei uns ankommen, nützt das den Menschen und der Industrie in Deutschland mehr als Putin", schrieb sie Mitte August auf Twitter.

Für die Demonstration ihrer Partei in Leipzig wurde sie von den Organisatoren zunächst ein- und später wieder ausgeladen. Anlass für die AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, Sahra Wagenknecht zu einer Demonstration zum gleichen Thema an diesem Abend nach Magdeburg einzuladen.

Parlamentarischer Arm des rechten Straßenprotests

Sie folgte dieser Einladung nicht, dafür aber mehr als 2.000 Menschen, die unter dem Motto "Preisexplosion stoppen" mit der AfD auf die Straße gingen. Der Soziologe David Begrich vom Verein "Miteinander" aus Magdeburg twitterte am Morgen nach den Demonstrationen sein Fazit: "Von der Mobilisierung in Ostdeutschland wird politisch profitieren, wer die Forderung nach Öffnung von Nord Stream 2 und dem Ende der Sanktionen gegen Russland vertritt."

Dort hatte die AfD, die sich längst als parlamentarischer Arm des rechten Straßenprotests versteht, schon früh mit der Vereinnahmung von Sahra Wagenknecht und ihren pro-russischen Positionen Erfolg: Im Zuge der Annexion der ukrainischen Krim durch Russland im ostdeutschen Wahljahr 2014, und den daraufhin verhängten Sanktionen gegen Moskau: Der damalige Landeschef der Brandenburger AfD, Alexander Gauland, hatte die Anhänger der Linken in diesem Zusammenhang vor der Landtagswahl als potenzielle AfD-Wähler identifiziert. Ihnen schrieb er im Wahlkampf einen offenen Brief: In den ersten Zeilen lobte er Sahra Wagenknecht und umgarnte die "liebe(n) Wähler der Partei 'Die Linke'" mit dem Bekenntnis: "trotz aller Meinungsverschiedenheiten verbindet uns manches (…) die Sanktionspolitik gegenüber Russland halte ich genauso falsch wie sie."

Bei Bürgerversammlung

Lautstarke Proteste gegen Kanzler Scholz in Neuruppin

AfD-Kampagne: "Unser Land zuerst!"

Sein Plan ging auf. Die AfD sammelte bei ihrem ersten Einzug in den Potsdamer Landtag 20.000 Wähler der Linken ein. Seither steigen die Ergebnisse der AfD im Osten. Die der Linken sind drastisch abgefallen. Und die Hinwendung der AfD nach Russland wurde Teil ihres politischen Kerns. Davon könnte sie jetzt wieder profitieren: Je stärker sich das anfängliche, allgemeine Entsetzen über den russischen Angriff auf die Ukraine mit der Dauer des Krieges in Deutschland abmildert, bei gleichzeitiger Betroffenheit der Menschen unter dem Eindruck des Preisschocks.

Darauf setzt das Konzept der Empörung im Herbst von Götz Kubitschek. Dort heißt es: "Die Aufgabe der AfD ist der friedliche, aber vehemente Kampf um Mehrheiten, und nun kann und wird sie darüber Gehör finden. Der Augenblick ist da, das Zeitfenster öffnet sich." In dieser Woche nun wollen die beiden AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla ihre Kampagne in Berlin vorstellen: "Unser Land zuerst!" heißt sie, und erinnert zumindest im Slogan an die Kampagne im Nachbarland: "Tschechische Republik zuerst", hinter der sich ganz Rechte und ganz Linke versammeln.

Sendung: rbb24, 06.09.2022, 13:00 Uhr

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Beitrag von Olaf Sundermeyer

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