"Woche der Demokratie" - Querdenker und Montagsspaziergänger proben den Aufstand

Di 02.08.22 | 08:35 Uhr | Von Olaf Sundermeyer
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Querdenker, Coronaleugner und Pegida-Anh‰nger demonstrierten am Montag, den 01.08.2022 u.a. Unter den Linden und vor dem Reichstag in Berlin. (Quelle: imago images/Volker Hohlfeld)
Video: rbb24 Abendschau | Mo 01.08.2022 | | Bild: imago images/Volker Hohlfeld

Wenn die Preise weiter steigen, rechnet die Politik mit Straßenprotesten. In Berlin versammeln sich dieser Tage bereits Tausende, die für einen "heißen Herbst" sorgen wollen. Über ihre Demo am Montag konnte der rbb nur unter Polizeischutz berichten. Von Olaf Sundermeyer

Ralf Ludwig ist einer der engsten Weggefährten von Michael Ballweg. Auf der Bühne vor dem Reichstagsgebäude verliest der Rechtsanwalt eine Grußbotschaft des "Querdenken"-Gründers aus der Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim. Der Vorwurf gegen ihn lautet Betrug und Geldwäsche. Es geht um Spendengelder aus seinem Netzwerk.

In der Menge vor der Bühne sind einige Pappschilder zu sehen, auf denen die Freilassung von Michael Ballweg gefordert wird. Hier gilt er nicht als mutmaßlicher Betrüger, sondern als "politischer Gefangener des Systems". Er selbst vergleicht sich bereits mit Rudi Dutschke.

Es ist die zentrale Demonstration in dieser "Woche der Demokratie", wie die Berliner Organisatoren ihr Protestprogramm selbst nennen. Am Ende sind es etwa 6.500 Menschen, die von hier aus mit solchen Slogans durch Mitte vor die Hauptstadtredaktionen ziehen: "Journalisten: Hetzer! Schwätzer?", "Mietmäuler bei ARD&ZDF", "Lügenpresse auf die Fresse"

Die Stimmung ist feindselig

Es ist der laustarke Zusammenschluss von sogenannten Querdenkern mit den so genannten Montagsspaziergängern, die im vergangenen Winter zu Zehntausenden, zum Teil zu Hunderttausenden, dezentral, in verschiedenen Städten, auf die Straße gegangen sind: in Cottbus, Bernau, Brandenburg an der Havel, Bautzen, Meißen, Gera, Rostock, Hamburg und so weiter und so fort.

Sie fordern unter anderem "das Ende der Corona-Terrorherrschaft", wie sie es nennen, "das Ende der Kriegstreiberei" durch die Bundesregierung (in Bezug auf den Krieg in der Ukraine), das Ausscheiden aus der Nato, sowie die Überwindung der verfassungsmäßigen Ordnung in Deutschland. Bundeskanzler Scholz wünschen manche hier "in den Knast".

Die Stimmung ist feindselig gegen Medienvertreter: Wir als rbb-Fernseh-Team werden bedrängt, beschimpft, angegangen, müssen die Dreharbeiten zunächst abbrechen. Die wenigen Polizisten im Einsatz halten einen Mob auf Distanz, der sich um unser Team bildet. Unter den Wütenden sind auch Reichsbürger, die vom Rande einer ähnlichen, wenn auch zahlenmäßig viel größeren, Demonstration vor zwei Jahren die Stufen des Reichstags besetzt hatten. Die Bilder ihrer wehenden Reichsfahnen gingen um die Welt.

Die Fahnen sind weg, aber die Leute sind dieselben

Die Fahnen sind weg, seit Michael Ballweg angewiesen hat, auf den Demos darauf zu verzichten. Um den "Mainstream-Medien" keine Angriffsfläche zu bieten. Aber die Leute sind dieselben. Erfahren, selbstgewiss, aus gemeinsamen Protesterfahrungen zusammengewachsen. Viele hier haben Ärger mit der Justiz, seit sie sich dem Widerstand in Zeiten der Pandemie verschrieben haben. Das schweißt zusammen.

Auch der Mann, der mit seiner Gruppe eine Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und den gewaltsamen Sturz der Regierung mit geplant haben soll, kommt aus diesem Personenkreis.

Die Polizisten bitten uns zu warten, bis Verstärkung kommt. Aus Sorge vor einer gewalttätigen Eskalation. Erst unter massivem Polizeischutz können wir weiter unsere Arbeit machen. Ralf Ludwig versucht die aufgebrachte Menge zu beruhigen: "Lasst Sie doch berichten, was und wie sie wollen", sagt er, und verweist auf die eigenen Medien, die alternativen, die zahlreich vor Ort sind, und "richtig berichten" würden.

Assoziationen mt NS-Propaganda

Dutzende Streamer, vor allem aber der Sender Auf1. Ein Netzangebot aus Österreich (206.000 Follower auf Telegram) mit Wurzeln in der rechtsextremen Bewegung, das ab sofort auch in Deutschland Fuß fassen will. Über Partner aus dem rechten Mediennetzwerk wie dem - laut Bundesverfassungsschutz - rechtsextremen Monatsmagazin "Compact" aus Falkensee vor den Toren Berlins.

Chefredakteur Jürgen Elsässer und seine Redaktion sind Stichwortgeber und Partner von Pegida und den radikalen ostdeutschen AfD-Landesverbänden. Elsässer hatte schon zum Auftakt der Protestwoche am Brandenburger Tor auf einem übergroßen Titelbild seine August-Ausgabe präsentiert, eine publizistische Maximalprovokation gegen die Bundesregierung: "Der Kaltmacher - Morgenthaus williger Vollstrecker", eine Titelgeschichte über Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). "Die geheimen Pläne für den Gas-Notstand (…). Was Morgenthau einst plante, setzt Habeck um: Die Zerstörung Deutschlands."

Das weckt unwillkürlich Assoziationen an die nationalsozialistische, antisemitische Propaganda nach Bekanntwerden eines Entwurfes von US-Finanzminister Henry Morgenthau 1944 zur Umwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat. Damals war die Rede von der "Versklavung Deutschlands" als "Plan des Weltjudentums". Ein Narrativ, das unter Verschwörungsgläubigen als "Morgenthau-Legende" überlebt hat. Hier findet es Anschluss. Und Wirkung.

...oder wahlweise "Wut Winter"

Längst sind die Väter der "Anti-Corona-Proteste" wie Ballweg, Ludwig oder auch der Berliner Anselm Lenz Teil der neurechten Protestmaschine von der AfD über Pegida bis "Compact". Lenz hatte mit seiner Gruppe "Demokratischer Widerstand" die ersten so genannten "Hygienedemonstrationen" im Frühjahr 2020 vor der Berliner Volksbühne initiiert. Vor wenigen Tagen war Lenz beim Institut für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda zu Gast, der wichtigsten neurechten Denkfabrik.

Dort wurden bereits die Strategien und Argumente entwickelt, über die die damaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry und Alexander Gauland im Sommer 2015 - auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise - einen "heißen politischen Herbst" proklamiert hatten, der dann auch Einzug hielt: Über Hunderte – zum Teil gewaltsame – Demonstrationen, nach denen es häufig zu Angriffen auf Flüchtlingen und Anschläge gegen deren Unterkünfte kam. Bald nun soll die Protestmaschine wieder Fahrt aufnehmen. Anselm Lenz und andere kündigten einen "heißen Herbst" an, wahlweise ist vom "Wut-Winter" die Rede.

Ob es dazu kommt, ist ungewiss. Die Aktivisten setzen auf eine Verschärfung von Pandemie, Krieg, Energieknappheit, Preissteigerungen und wirtschaftlicher Lage. Die Maschine läuft nach der Beendigung der Corona-Proteste im Februar allmählich wieder an: Zu beobachten beispielsweise auf der Sommertour von Wirtschaftsminister Habeck, der bei einem Auftritt in der vergangenen Woche in Bayreuth massiv gestört wurde.

Damit beweist die Szene ihre Kampagnenfähigkeit. Mit ihrem Protest gewinnt sie die mediale Deutungshoheit über politische Auftritte. Politiker und Journalisten werden als Feindbilder markiert und diffamiert, im Netz beleidigt und bedroht, bei öffentlichen Auftritten ausgebuht. Schon längst überlegen Spitzenpolitiker deshalb, ob ähnliche öffentliche Auftritte deshalb überhaupt noch sinnvoll sind. Reporter verzichten auf Berichterstattung, meiden Proteste mit Konfliktpotenzial für sich selbst, Kamera-Teams bleiben auf Distanz.

Sendung: rbb24 Abendschau, 01.08.2022, 19:30 Uhr

 

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Beitrag von Olaf Sundermeyer

95 Kommentare

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  1. 95.

    Den Namen haben sich die Typen selber gegeben.
    Ich selber muss mich in meinem Job verschieden Fachbereichen beschäftigen. Da spreche ich mittlerweile von Crossover. Ich finde es bedenklich das extrem Gruppen Begriffe für Zwecke besetzen können und so den Anschein eines Alleinstellungsmerkmals nach außen darstellen. Das erinnert an gewisse Methoden von Diktaturen sowohl von links als auch von rechts. Prüfen Sie dieses Mal an alten Berichten aus der DDR und Nazideutschland!

  2. 94.

    Das Problem ist eher, dass wissenschaftlicher Konsens als "Mainstream" abgewertet wird. Wenn ich behaupten würde, dass 2 plus 2 fünf ergibt, wäre das keine alternative Meinung abseits des sogenannten "Mainstreams", sondern schlichtweg falsch.

  3. 93.

    Man hat Angst vor 6000 Demonstranten ,wie lächerlich. Macht bessere Politik dann erledigt sich dieses Problem von ganz alleine. Abes wenn man Ideologischen in seiner Blase eingesperrt ist hat man natürlich Probleme

  4. 89.

    Guter Artikel, der deutliche Worte für die Schieflage findet, die sich entwickelt hat.
    Die C-Proteste sind aufgrund ihrer Aggressivität ein soziologisches Problem. Dahinter stecken bei jedem Einzelnen Geschichten des Scheiterns, die nicht verarbeitet wurden. DAS ist die Lücke im System.

  5. 88.

    Genau Ihrer Meinung. Zumal es "die Medien" gar nicht braucht, um sich ein Bild zu machen. Man kann sich eine solche Demo ja einfach mal anschauen. Und dann sein eigenes Urteil bilden.

  6. 87.

    Mein Protest gegen die Quer(denker):
    Ich bleibe zu Hause.

  7. 86.

    Danke für den aktuellen Lagebericht, Herr Sundermeyer, auch wenn Sie damit meine Ansicht über diese sogenannte Protestbewegung bestätigen.
    Machen Sie bitte weiter so. Eine Einschränkung der Pressefreiheit wie in China, Polen, Russland, Ungarn und der Türkei etc. darf es nicht geben. Ich lese dann doch lieber die "Lügenpresse" und Derrechterand statt Compakt, Tichys Einblick und anderen Fake-News-Medien.

  8. 85.

    Lügenpresse? Schlagt doch diese Querdenker mit ihren eigenen Waffen. Einfach nichts mehr berichten über diese Demos. Einfach in den Nachrichten nicht erwähnen. Einfach totschweigen. Dann finden diese Querdenker einfach nicht mehr medial statt. Das wäre der Obergau für diese Seltsame Bewegung. Sie demonstrieren und niemand schaut hin.

  9. 84.

    Hat die Politik oder haben die Medien vielleicht auch eigene Fehler gemacht,die eine Radikalisierung begünstigen?

  10. 83.

    Schon sehr gewagt, die sogenannten Querdenker, auf eine Stufe mit Luther, Musk, Besos etc. zu stellen. Es greift sehr verkürzt und missbraucht die Leistungen anderer für eigenes, in Teilen, egoistisches, hedoistisches Verhalten, Agieren. Welchen Beitrag leisten die aktuellen sogenannten Querdenker für die Gesellschaft konkret? Im Gegensatz zu Luther, Musk Besos etc.

  11. 82.

    Ganz abgesehen davon, dass es Synonyme gibt, wie divergentes, laterales, paralleles, um die Ecke Denken gibt, hat der Gründer von Querdenker711, ein Abklatsch der rechtsextremen Verschwörungsfanatistenbewegung QAnon, dafür gesorgt, dass der Begriff seitdem negativ besetzt ist.
    Welcher logisch denkende Mensch, dem Demokratie und gleiche Grundrechte für alle viel bedeuten, will sich mit denen schon auf eine Stufe stellen?

  12. 81.

    Liebe Karin,gebe dir meine volle Zustimmung.Aufeinander zugehen,das ist wohl dringend geraten.Sowohl die Politiker als auch die,da schreien und Krawall veranstalten,müssen noch ganz viel lernen.

  13. 80.

    "Aber bestimmt wird dieser Kommentar nicht veröffentlicht.
    Eine andere Meinung soll nirgendwo eine Bühne bekommen, alles wird zensiert."
    Und was schreiben sie nun? Gibt es die von Ihnen behauptete Zensur vielleicht nicht? Oder könnte es sein, dass Kommentare nicht veröffentlicht werden, wenn sie gegen die Netiquette (Regeln) verstoßen oder ggf. denselben Inhalt haben wie zig andere Posts auch (Die Redaktion behält sich vor, einzelne Kommentare nicht zu veröffentlichen.) Stellen Sie sich vor, dass Kommentare nicht veröffentlicht werden, passiert auch Anderen und wittern deshalb nicht gleich Zensur.)

  14. 79.

    Also denn sagen sie mir mal bitte wie es denn mit solch ein vermurksten Staat weiter gehen soll.
    Es sind einfach viele Leute dabei, gehen Vollzeit arbeiten, haben Kinder und das Geld reicht vorne und hinten nicht bei einer 40h woche, weil die ach so guten möchte gern Politiker doch lieber die Reichen reicher machen wollen und bei den ärmeren noch mehr aus der Tasche ziehen wollen.

  15. 78.

    Ich finde es so schlimm das die Menschen nicht mehr miteinander reden können oder wollen.Es wird nur noch angeschrien und gepöbelt.Keiner ist mehr in der Lage zuzuhören oder anzuhören.Die,die da schreien und keine andere Meinung mehr hören wollen diskreditieren sich damit selbst und müssen sich nicht wundern das sie keiner hören will.Ob die nun alle aus dem sogenannten Osten kommen sei aber dahingestellt .

  16. 77.

    Entschuldigung - nicht die Medien entscheiden - die Redaktionen in ihrer allfälligen Konferenz entscheiden über Berichterstattungen zu Themen - nicht DIE Medien im Allgemeinen bitte.

  17. 76.

    Eigenverantwortung war und ist immer noch aktuell - wenn Sie sich aus der EV entrissen gefühlt haben oder noch fühlen, könnten Sie eher ein Problem mit sich und Ihrer Wahrnehmung haben. Und wenn Sie denken, es würde irgendwas mit wem hier "gemacht" - sollten Sie vielleicht einen Blick in echte Diktaturen werfen - aber da wollen Sie ja auch nicht leben. Echt blöd was?
    Was mich stören sind aggressives sowie tumbes Verhalten und Niederschreien anderer, die nicht der gleichen Meinung sind. Und eben dieses Verhalten legt die große Mehrheit der "Montags-" und "Anti-Corona-Regelung" Demonstrierenden an den Tag. Schade - denn damit zerstören sie das, was in Jahrzehnten aufgebaut wurde: echte Meinungsvielfalt mit lösungsorientiertem und am Anderen interessierten Diskurs.

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