Protestmärsche gegen steigende Kosten - Der heiße Herbst ist da

Di 06.09.22 | 16:49 Uhr | Von Olaf Sundermeyer
  49
05.09.2022, Demonstration der rechtsextremen Freien Sachsen gegen die Energie- und Sozialpolitik der Bundesregierung (Quelle: dpa/Jan Woitas)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 06.09.2022 | J.Paczkowski/A.König | Bild: dpa/Jan Woitas

Noch ist die Erinnerung an die Corona-Proteste wach, da rollt die nächste Welle auf das Land zu: gegen eine Explosion der Energiekosten und Preissteigerungen, für die viele der Ampelkoalition die Schuld geben. Von Olaf Sundermeyer

In Königs Wusterhausen laufen sie wieder. In Frankfurt (Oder) und in Brandenburg an der Havel sind sie auch wieder auf der Straße. Noch sind es erst ein paar hundert, die sich dort zum Protest gegen die Bundesregierung versammeln. In Sachsen aber sind es schon deutlich mehr.

Deshalb ist Jürgen Elsässer aus dem Havelland an diesem Montagabend nach Leipzig gefahren. Er ist Chefredakteur des "Compact-Magazins", dem wichtigsten Organ der außerparlamentarischen Protestbewegung von rechts: Seit Wochen führt er deren wesentliche Akteure zusammen, von den Querdenkern bis zu Parteigängern der AfD und schwört sie auf jenes Szenario ein, das er auch als Redner in Leipzig vorträgt - vor rund 1.500 Demonstranten aus dem regionalen, rechtsextremen Protestmilieu.

Konzept für "heißen Herbst" liegt seit Monaten vor

Sie sind einem Aufruf der Organisation "Freie Sachsen" gefolgt. Auf der anderen Seite des Leipziger Augustusplatzes haben sich mehr als 4.000 Protestierer nach einem bundesweiten Aufruf der Partei "Die Linke" versammelt, zum "heißen Herbst gegen soziale Kälte". An ihre Adresse schickt der rechte Demonstrationsredner Elsässer seine Botschaft über den Platz: "Wo bleibt denn Euer Eintreten für die Stadt Schwedt, mit der Raffinerie PCK?"

Dann erinnert er daran, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) "Schwedt das russische Öl zum 31.12. abdrehen will. Und dann fährt östlich der Elbe kein Pkw mehr", behauptet Jürgen Elsässer, dessen Magazin der Verfassungsschutz Brandenburg als "rechtsextrem" einstuft. "Wenn die Regierung das Volk frieren lassen will für ihren verdammten Krieg gegen Russland, dann muss das Volk der Regierung einen heißen Herbst bereiten." Der Masterplan für diesen "heißen Herbst" liegt bereits seit August vor.

Er stammt von Götz Kubitschek, neurechter Publizist und einflussreicher Vordenker bei der außerparlamentarischen Rechten und in der AfD. In seinem Konzept über die Empörung im Herbst beschreibt er die Grundsätze des rechten Protests und der Wellen, denen dieser folgen solle: Nach der Bankenkrise, der Flüchtlingskrise, und der Corona-Krise sei nun "die Zerstörung der Beziehungen Deutschlands zu Russland nicht die erste, sondern die vierte zersetzende Welle, mit der unser Land zurechtkommen muss."

Eine Querfront aus Rechten und Linken

Bereits im Juli hatte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock öffentlich vor den möglichen innenpolitischen Folgen eines Gaslieferstopps gewarnt. Von drohenden "Volksaufständen" hatte sie für diesen Fall gesprochen, und damit den Anschiebern des rechten Straßenprotests ein griffiges Narrativ geliefert: Wie schon während der Corona-Krise, als Fotomontagen von Politikern und Wissenschaftlern in Sträflingskleidung als "Schuldige" stilisiert auf Pappschildern über die Demonstrationen der Querdenker getragen wurden, prangen in Leipzig nun die führenden Ampelgesichter: "A. Baerbock - schuldig", "C. Lindner - schuldig", "R. Habeck - schuldig", "O. Scholz - schuldig."

Für Jürgen Elsässer sind sie allesamt "Volksverräter", weil sie die Gaspipeline Nord Stream 2 nicht öffnen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Toten, die Zerstörung, das Leid, all das ist bei ihm gar kein Thema. Elsässer fordert eine Querfront aus Rechten und Linken, wie sie sich am vergangenen Wochenende bei einem Massenprotest in Prag gezeigt hat.

AfD-Fraktion lädt Wagenknecht zu Demonstration ein

Als verbindendes Element zwischen rechts und links erscheinen Hierzulande die Positionen der früheren Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht: "Es gibt keinen vernünftigen Grund, Nord Stream 2 nicht zu öffnen. Sollte darüber mehr Gas bei uns ankommen, nützt das den Menschen und der Industrie in Deutschland mehr als Putin", schrieb sie Mitte August auf Twitter.

Für die Demonstration ihrer Partei in Leipzig wurde sie von den Organisatoren zunächst ein- und später wieder ausgeladen. Anlass für die AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, Sahra Wagenknecht zu einer Demonstration zum gleichen Thema an diesem Abend nach Magdeburg einzuladen.

Parlamentarischer Arm des rechten Straßenprotests

Sie folgte dieser Einladung nicht, dafür aber mehr als 2.000 Menschen, die unter dem Motto "Preisexplosion stoppen" mit der AfD auf die Straße gingen. Der Soziologe David Begrich vom Verein "Miteinander" aus Magdeburg twitterte am Morgen nach den Demonstrationen sein Fazit: "Von der Mobilisierung in Ostdeutschland wird politisch profitieren, wer die Forderung nach Öffnung von Nord Stream 2 und dem Ende der Sanktionen gegen Russland vertritt."

Dort hatte die AfD, die sich längst als parlamentarischer Arm des rechten Straßenprotests versteht, schon früh mit der Vereinnahmung von Sahra Wagenknecht und ihren pro-russischen Positionen Erfolg: Im Zuge der Annexion der ukrainischen Krim durch Russland im ostdeutschen Wahljahr 2014, und den daraufhin verhängten Sanktionen gegen Moskau: Der damalige Landeschef der Brandenburger AfD, Alexander Gauland, hatte die Anhänger der Linken in diesem Zusammenhang vor der Landtagswahl als potenzielle AfD-Wähler identifiziert. Ihnen schrieb er im Wahlkampf einen offenen Brief: In den ersten Zeilen lobte er Sahra Wagenknecht und umgarnte die "liebe(n) Wähler der Partei 'Die Linke'" mit dem Bekenntnis: "trotz aller Meinungsverschiedenheiten verbindet uns manches (…) die Sanktionspolitik gegenüber Russland halte ich genauso falsch wie sie."

AfD-Kampagne: "Unser Land zuerst!"

Sein Plan ging auf. Die AfD sammelte bei ihrem ersten Einzug in den Potsdamer Landtag 20.000 Wähler der Linken ein. Seither steigen die Ergebnisse der AfD im Osten. Die der Linken sind drastisch abgefallen. Und die Hinwendung der AfD nach Russland wurde Teil ihres politischen Kerns. Davon könnte sie jetzt wieder profitieren: Je stärker sich das anfängliche, allgemeine Entsetzen über den russischen Angriff auf die Ukraine mit der Dauer des Krieges in Deutschland abmildert, bei gleichzeitiger Betroffenheit der Menschen unter dem Eindruck des Preisschocks.

Darauf setzt das Konzept der Empörung im Herbst von Götz Kubitschek. Dort heißt es: "Die Aufgabe der AfD ist der friedliche, aber vehemente Kampf um Mehrheiten, und nun kann und wird sie darüber Gehör finden. Der Augenblick ist da, das Zeitfenster öffnet sich." In dieser Woche nun wollen die beiden AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla ihre Kampagne in Berlin vorstellen: "Unser Land zuerst!" heißt sie, und erinnert zumindest im Slogan an die Kampagne im Nachbarland: "Tschechische Republik zuerst", hinter der sich ganz Rechte und ganz Linke versammeln.

Sendung: rbb24, 06.09.2022, 13:00 Uhr

Die Kommentarfunktion wurde am 06.09.2022 um 20:37 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Olaf Sundermeyer

49 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 49.

    Thomas:
    "Antwort auf [Fred] vom 06.09.2022 um 18:37
    Aber da müssten dann schlagartig alle neuen Turbinen ausfallen, werden sie auch sukzessive."

    Irgendetwas wird Putin schon einfallen! Z.B. dass er Drohnen braucht zur Überwachung der Leitungen, die aber so konstruiert sein müssten, dass er die auch im Angriffskrieg gegen die Ukraine einsetzen kann. Oder irgendeine andere absurde Idee aus diesem kranken Diktatorhirn.

    Thomas:
    "Aber inzwischen würde uns Putin sein Gas über Nordstream 2 teuer verkaufen, nur um der Welt zu zeigen, dass wir übers Stöckchen springen."

    Dass glaubt doch niemand mehr, nachdem Putin & Co. angekündigt haben, dass es deren Ziel ist, uns einen kalten Winter zu bescheren, um uns für die fehlende Unterstützung seines imperialen Angriffskrieges abzustrafen! Von Putin kommt definitiv kein Gas mehr! Das hat er schon bei anderen Ländern vorgeführt. Und nun sind wir dran! Solange wir seinen Krieg nicht unterstützen, wird es kein Gas geben!

  2. 48.

    Was hat der rbb Skandal mit den Demonstrationen der Rechtsextremen zu tun? Äpfel mit Birnen.

  3. 47.

    Dass die AfD gern Putin und seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine durch Kauf von Erdgas von Putin unterstützen will, wundert mich bei diesen Rechtsradikalen überhaupt nicht. Für Sie sind imperialistische Angriffskriege eine legitime Option!

    Dass aber die Wagenknecht nach Nordstream 1 mit 0% Auslastung jetzt noch Putin die Gelegenheit geben will, auch auf Nordstream 2 0% Auslastung zu zelebrieren, das läst mehr denn je an ihrem Verstand zweifeln. Wozu brauchen wir 2 Leitungen, wenn schon eine Leitung nicht ausgelastet wird. Hat die Wagenknecht nicht gehört bzw. gelesen, dass das Ziel Putins ist, uns einen kalten Winter zu bescheren, also weder über Nordstream 1 noch über Nordstream 2 oder sonstirgendwie Gas zu liefern??? Putin will doch nur, dass wir ihn anbetteln, und dass er uns dann Vorgaben machen kann, dass wir die Sanktionen aufheben und seinen Angriffskrieg untertsützen müssten, damit er uns wieder Gas liefert. Kein vernünftiger Mensch kann das untertsützen!

  4. 46.

    Die Mehrheit ist in dieser Hinsicht ein Phantom.
    So viele Menschen, so viele Meinungen. Und das ist auch wunderbar so.

    Nur Machtbesessene schauen immer nur und von vorherein nach Mehrheiten, wo sie doch letztlich nur ein Notnagel bei tatsächlichen Entscheidungen sind. Die werden in den Parlamenten getroffen.

  5. 45.

    Die Partei die Linke überlässt mit ihrer derzeitigen Ausrichtung der unbedingten Annäherung an bestimmte Regierungs(-"tauglichkeits"-)positionen den Rechten politischen Raum. Wenn Elsässer genüsslich auf Schwedt zeigt, trifft er hier einen wunden Punkt. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine bestreitet kaum jemand, die Politik der Sanktionen und des Stopps des Ölimports zum Jahresende wird aber von der Bundesregierung gemacht, die Auswirkungen im Inland in Kauf nehmend. Hier, wie in vielen Medien praktiziert, einfach auf "Putins Propaganda" zu verweisen, wirkt etwas hilflos. Wie die Krisenpolitik der Regierung auch. Ich denke, viele Leute im Osten haben da feine Antennen für. Mal gucken wie der Herbst wird...

  6. 44.

    Aber da müssten dann schlagartig alle neuen Turbinen ausfallen, werden sie auch sukzessive. Aber inzwischen würde uns Putin sein Gas über Nordstream 2 teuer verkaufen, nur um der Welt zu zeigen, dass wir übers Stöckchen springen.

  7. 43.

    Gibt man den "Rechten" nicht viel zu viel Macht, wenn man nur wegen ihnen auf das Recht zu Demonstrieren verzichtet? Müssen wir alles hinnehmen, weil eventuell jemand mit der falschen Gesinnung mitläuft. Ich denke nein. Die Mitte ist viel stärker als die Randgruppen und sollte nicht aus Angst vor Schubladen auf ihr Recht auf Meinungsäußerung verzichten, denn so werden die Ränder gestärkt.

  8. 41.

    "gegen eine Explosion der Energiekosten und Preissteigerungen,"

    In der Ukraine kommt es zu anderen Explosionen; vielleicht demnächst sogar bei / in einem AKW

  9. 40.

    Heißer Herbst ist gut. Dann brauchen wir weniger Gas zum Heizen.

  10. 39.

    Nur warum pocht dann die Politik auf die Lieferung durch NS1 und sanktioniert gleichzeitig Russland? Hä?

    Allen Kritikern, Putinisten, Verschwürungstheoretikern würde der Wind aus den Segeln genommen, wenn man NS2 aufmachen würde, darf man aber anscheinend nicht ... statt dessen gehen florierende Unternehmen zu Grunde. Man sollte sich normalerweise auch fragen, wen es am meisten freut/nützt, dass nun 50 Jahre deutsche Gaspartnerschaft mit Russland am Ende gehen.

  11. 38.

    Hey man, da sind Sie aber ganz schlecht orientiert: Putin selbst gestand freimütig Zahlungen an den Front National ein, die Chefin desselben begründete die Annahme mit nicht erhaltenen Krediten durch
    französ. Banken. AdD-Personal reiste zu "Wahlbeobachtungszwecken" auf die Krim - auf Einladung der Russen.
    Naaaa - alles klar?!
    Beste Recherche-Grüße -
    Rajko Petrow, Bln.-R'dorf

  12. 37.

    Die putin'sche Propagandamaschine feuert auch schon seit Monaten alle Kessel. Da wundert es keinen, dass die üblichen Verdächtigen wieder mitziehen.

  13. 35.

    Und wahrscheinlich sind in Ihren Augen nur die Grünen die richtige Strömung, die die Mehrheit der Bevölkerung abdeckt?

  14. 34.

    Sententetia, Globalisierung korrekt erkannt, aber nur Putin die Schuld in die Schuhe schieben, dass nenne ich verkannt. Dazu ist aber etwas mehr Recherche notwendig.

  15. 33.

    Und es ist ungemein hilfreich einen neutralen, objektiven Artikel von einer Meinung des Autors zu unterscheiden. Oder hat Herr Sundermeyer auch Beweise dafür geliefert, wenn er von rund 1500 Demonstranten aus dem regionalen rechtsextremen Protestmilieu spricht? Oder ist das nur seine persönliche Wahrnehmung?

  16. 32.

    Den Appell des Herrn Pöllmann fand u. finde ich einfach unverantwortlich! Die Gruppen, die er u. seine Partei vertritt, "fassen" doch schon am meisten ab! Es wird langsam nur noch peinlich, was da aus dieser Ecke kommt. Ich habe mich innerlich stets gegen die Pole/Hufeisen-Diskussion gewehrt. Kaum zu glauben, dass es die Linken nun selbst erfüllen. Wenn sich Herr Pöllmann für eine Umgestaltung des sog. Einkommensbegriff einsetzen würde. Aber so, NS 2 auf?Das ist einf. dumm! Wenn Putin nicht liefern will, liefert er eben nicht! Es ist doch unmöglich, dass sich keiner aufregt, dass Putin sichtbar für die Finnen täglich Erdgas im Wert von 1 Millionen EUR abfackelt. Klarer kann doch die Absage an die EU nicht ausfallen! Wenn man dagegen demonstrieren würde! Wenn nun einer denkt, ich hätte es ja, o.k. an Geist u. Wissen schon, so dass ich durch jahrzehntelange Erfahrung weiß, wie man mit wenig Geld umgehen muss. Es ist besch..., aber so-o s.o. nicht!

  17. 31.

    Stimmt das war schon damals die Kritik von Anarchist*innen an Staats- und Partei orientieren Linken.

  18. 30.

    "'Sie' laufen wieder" – Dieser Ton ist eines ÖRR-Mediums unwürdig! Was soll das?
    "In Königs Wusterhausen laufen sie wieder."
    Zumal dann nicht unmittelbar aufgegriffen und erklärt wird, wer 'sie' denn sein sollen.

    Dieser Ton geht durch die Zensur/Netiquette, bewirkt aber wohl das, wogegen der ÖRR vorgeblich vorgeht, – das Gegeneinander-Aufbringen.

    Demonstrieren gehört zur DNA eines demokratischen Rechtsstaats. Dass es ein Meinungsspektrum gibt, ist anzunehmen, ggf. auszuhalten.
    Dialog statt Abwerten wäre wohl eine Möglichkeit.

Nächster Artikel