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Audio: rbb24 Inforadio | 13.04.2023 | Interview Christoph Kober & Steffen Kanitz | Quelle: dpa/S.Sauer

Interview | Bundesgesellschaft für Endlagerung

"Wir suchen einen Standort, der Sicherheit gewährleistet für die Ewigkeit"

Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke gehen am Samstag vom Netz. Für den radioaktiven Müll sucht die Bundesgesellschaft für Endlagerung noch einen Standort. Ein schwieriges Unterfangen, wie Geschäftsführer Steffen Kanitz im Interview sagt.

Die letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland gehen am 15. April vom Netz. Doch die Hinterlassenschaften aus mehr als einem halben Jahrhundert Kernenergie strahlen unvermindert weiter. Die in radioaktiven Abfällen vorkommenden Nuklide haben teilweise eine Halbwertszeit von rund einer Million Jahre. Steffen Kanitz ist Geschäftsführer bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung, die einen Standort für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle sucht.

Zur Person

Steffen Kanitz

rbb: Am 15. April endet nun endgültig eine Epoche in Deutschland. Wie müssen wir uns das Ende des Atomstroms konkret vorstellen?

Steffen Kanitz: Die Leistung der Reaktoren wird nach und nach reduziert. Am Samstag werden die Reaktoren dann schlussendlich vom Stromnetz getrennt. Anschließend beginnt die so genannte Nachbetriebsphase, die mehrere Monate oder gar Jahre andauern kann.

Es gibt noch eine ganze Menge Radioaktivität in den Kernkraftwerken. Die Brennelemente etwa, mit denen die Aktivität erzeugt wurde, werden aus dem Reaktor gezogen und dann in einem sogenannten Abklingbecken, einem großen Wasserbecken, über mehrere Jahre gelagert. Anschließend werden sie dann in Transport- und Lagerbehälter, die sogenannten Castorbehälter, verpackt und in ein Zwischenlager überführt, in dem die Abfälle bleiben, bis wir einen Endlagerstandort gefunden haben.

Können Sie uns in einer verständlichen Größe sagen, wieviel Atommüll bislang angefallen ist in Deutschland, der jetzt endgelagert werden muss?

Wir haben am Ende etwa 30.000 Kubikmeter hochradioaktiver Abfallstoffe und 600.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Abfallstoffe.

30.000 Kubikmeter, das ist in etwa ein Volumen von einem Würfel der Kantenlänge mit 30 Metern. Das klingt nicht wahnsinnig viel, 30 Mal 30 Mal 30 Meter. Aber dieser Müll, der nur fünf Prozent des Gesamtvolumens ausmacht, verfügt eben über 99 Prozent der Strahlung – Strahlung die zumindest teilweise eine Halbwertszeit von mehreren Hunderttausend Jahren hat.

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Wo lagert das Material, das schon angefallen ist im letzten halben Jahrhundert Atomstrom in Deutschland?

Es lagert aktuell dezentral an den Standorten der Kernkraftwerke und an zentralen Zwischenlagerstandorten. Das sind insgesamt 16, die über ganz Deutschland verteilt sind. Das sind große Hallen, in denen diese Castor-Behälter gelagert sind. Wenn alle Reaktoren abgeschaltet und die Brennelemente verpackt sind, dann werden wir etwa 1.900 Castoren haben, die es dann am Ende gilt sicher einzulagern.

Ein Endlager muss also für diese Zeit garantieren, dass keine Strahlung austritt, Mensch und Umwelt geschützt sind. Ursprünglich sollte bis 2031 ein Ort gefunden worden sein. Was macht die Suche so kompliziert?

Wir suchen einen Standort, der Sicherheit gewährleistet für die Ewigkeit - mindestens aber für eine Million Jahre. Das zeigt schon, wo das Problem liegt. Wir können nicht mit Mutmaßungen arbeiten. Wir müssen sicher sein. Das Verfahren ist ein wissenschaftsbasiertes Verfahren. Das heißt, wir schließen im Prinzip sukzessive nicht geeignete Standortregionen aus. Deutschland ist ein Land, das gesegnet ist mit einer sehr, sehr guten Geologie.

Das bedeutet, wir haben potenzielle Endlagerstätten in allen drei potenziellen Wirtsgesteinen - also Salz, Ton oder Granit. Diese drei Formationen sind also in unserem Fokus. Und wir müssen jetzt mit verschiedenen Instrumenten, die uns der Gesetzgeber an die Hand gegeben hat, sicherstellen, dass wir von den sozusagen weniger guten Standorten zu dem besten kommen.

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Was macht den besten Standort aus? Dass er weit entfernt vom Menschen ist?

Das ist im Grunde genommen ein nachrangiges Kriterium. Die treibende Frage ist die des sicheren Einschlusses unter Tage. Wir suchen eigentlich einen Tresor, der sehr tief liegt, der dicht ist und der für dauerhafte Stabilität steht.

Es geht eher darum, dass innerhalb dieser einer Million Jahre keine Prozesse eintreten - wie etwa Erdbeben oder Überschwemmungen, die dazu führen, dass das Endlager freigelegt wird. Hier steckt das größte Gefährdungspotenzial. Das heißt, wir müssen möglichst tief und weit von grundwasserführenden Schichten sein - und wir dürfen nicht in Regionen gehen, in denen sich die Erde noch bewegt.

Wie suchen die Geologen dann konkret nach diesen Orten?

Die Arbeiten im Grunde ähnlich so wie Förster auch arbeiten, wenn sie einen Baum zerschneiden und auf eine Baumscheibe blicken. Förster zählen anhand der Ringe ab, wie alt ein Baum ist. Geologen blicken in die Tiefe und können ablesen, wo sich seit 100 Millionen Jahren die Erde nicht mehr bewegt hat. An diesen Orten könnten wir relativ sicher prognostizieren, dass die nächsten eine Millionen Jahre auch nichts weiter passiert.

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Wie lange wird es nach der Abschaltung der Kernkraftwerke nun dauern, bis diese tatsächlich zurückgebaut sind und man auf diesem Gelände wieder etwas anderes machen kann?

Das ist von Standort zu Standort unterschiedlich. Wir rechnen mit einem Zeitraum zwischen zehn und 15 Jahren, der benötigt wird, um diese Standorte dann wiederum einer Nachnutzung zuzuführen. Das Ziel ist es, hier insbesondere Kraftwerksstandorte für wasserstofffähige Kraftwerke zu erschließen. Diese können dann wiederum sicherstellen, dass die Energiewende auch nach dem Zeitalter des Atomstroms gelingen kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Christoph Kober. Bei der hier vorliegenden Fassung handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.04.2023, 7:45 Uhr

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