Zwei Jahre nach dem Mord an Burak Bektas - "Er hat direkt in die Gruppe geschossen"

Mi 03.04.13 | 08:00 Uhr

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Ihr habt auch nicht daran gedacht, Deckung zu suchen oder ihn anzugreifen?

Ömer:
Ich wusste nicht, was ich machen soll. Alle lagen auf dem Boden. Alex und Jamal hier, Burak da. Ich bin bei Burak geblieben. Ich kenne ihn ja schon lange. Ich wollte ihn nicht da liegenlassen. Bis zur Beerdigung habe ich gar nicht dran geglaubt, dass er jetzt tot ist.

Könnt Ihr euch vorstellen, dass der Mann Euch kannte?

Ömer:
Nein, nicht wirklich.
Jamal: Auch wenn er uns kannte: Was haben wir gemacht, dass er uns töten will? Ich glaube eher nicht, dass er uns kannte.

Was ist danach passiert?

Seltunc:
Ich bin ins Krankenhaus gerannt. Ich wollte Hilfe holen. Auf dem Weg, als ich gerannt bin, habe ich sogar noch die Feuerwehr angerufen. Ich dachte, entweder bin ich vorher schon im Krankenhaus oder vorher schon mit der Feuerwehr verbunden. Im Krankenhaus habe ich dann rumgeschrien. Da war aber keine Menschenseele, und dann ging auch schon der Notruf an mein Telefon und dann habe ich ihnen gesagt, dass die rauskommen sollen. Ich warte vor dem Eingang. Und dann habe ich die halt zum Ort hergelotst.
Frage: Alex, Du bist auch schwer verletzt gewesen. Kannst Du Dich noch erinnern an diese Situation?

Alex:
Was ich noch weiß: Irgendwie wurde alles schwarz. Ich hielt mir den Bauch, fiel hier auf die Knie und zur Seite. Und hörte nur Schreie – ich denke die Stimme von Ömer, oder irgendeinem von denen. Dann sah ich nur noch, wie ein Arzt mich kontrollierte, mit einem Kollegen redete, und dann bin ich irgendwie im Krankenhaus aufgewacht. Da hat mein Vater mir dann erzählt, was passiert ist. Ich wusste erst mal gar nicht, was passiert ist.

Was war das dann für ein Gefühl, im Krankenhaus aufzuwachen und zu realisieren: Man ist Betroffener eines solchen Verbrechens?

Alex:
Erst realisiert man das gar nicht. Also bei mir war das so. Ich lag da erst mal und habe nur daran gedacht, wie ich gesund werde und habe gefragt, wie es den anderen geht – die ganze Zeit. Und wer getroffen wurde. Ich kannte die anderen ja kaum. Ich kannte nur Jamal. Die drei anderen trafen wir zufällig. Und danach: Meine Mutter hat mir alles erzählt - die war auch auf der Beerdigung - hat mir erzählt, jemand ist da umgekommen, hat mir auch den Namen gesagt. Da dachte ich: Man sieht es immer im Fernsehen. Man denkt, es trifft einen nie – nur fremde Leute. Und dann wird man selbst so getroffen. Danach konnte ich erst mal lange nicht laufen.

Seltunc, Du bist ja in der Nacht zum Glück nicht verletzt worden, hast dich um Hilfe gekümmert. Wie ist denn die Nacht für dich weiter abgelaufen?

Seltunc:
Die Nacht war extrem schlimm. Ich hatte noch nie so einen schlimmen Tag. Ich war völlig müde und musste dann noch zur Polizei gehen, meine Aussage machen. Ich war schon ziemlich erschöpft und habe den ganzen Tag nur geweint, die ganze Nacht. Mir sind tausend Gedanken durch den Kopf geschossen.
Wie waren Eure Erfahrungen mit den Ermittlungen, mit der Polizei?

Ömer:
Es war anstrengend. Bis morgens war ich da. Ich wusste nicht, wie es den Jungs geht. Das war schrecklich.

Was denkt Ihr heute? Wahrscheinlich geht Euch das doch jeden Tag durch den Kopf?

Alex:
Ja. Jeden Tag denke ich darüber nach. Ich habe zwar Burak nicht gekannt, aber jeden Tag denke ich trotzdem über ihn, über jeden einzelnen von uns nach. Ich stelle mir immer nur die Frage: "Warum"? Und was war das Motiv? Wenn er mal gefasst wird, will ich einfach nur wissen, warum er so was gemacht hat. Was war der Grund?

Gehst Du trotzdem noch abends raus? Wie verhältst Du dich jetzt?

Alex:
Ja. Abends rausgehen geht so langsam wieder. Aber jetzt, wenn ich mit anderen Freunden draußen bin, schießt mir immer so ein Bild durch den Kopf: Was, wenn es auch uns erwischt hätte? Oder wenn es jetzt wieder passiert oder andere erwischt. Aber Angst habe ich meistens nur vorm Schlafengehen, eigentlich.
Jamal: Mein Alltag hat sich sehr verändert. Ich passe auf, wo ich hingehe. Ich drehe mich um. Zum Beispiel wenn jemand in seinen Sachen kramt, oder wenn es Abend ist und jemand hinter mir läuft … dass ich mich immer umdrehe und gucke mir die Person genauer an, wegen der Angst, noch mal erwischt zu werden durch diesen Täter.

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