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Audio: Inforadio | 28.05.2021 | Jenny Barke | Quelle: rbb/Ralf Ayen

Schnelltestzentren in Berlin

Ein kleiner Abstrich für die Nase, ein großes Geschäft für die Testzentren

Einst waren sie Wettbüros, Nagelstudios oder Spätis: Betriebe, die in der Pandemie schließen mussten, feiern ihr Comeback als Corona-Testzentren. Viele rettet es vor dem Ruin, doch Kontrollen gibt es kaum. In NRW wurden nun Betrugsfälle nachgewiesen. Von Jenny Barke

Die Kneipe Kohlenquelle im Prenzlauer Berg hat umgeräumt: Vor Corona standen hier Biertische. Jetzt steht Barkeeper Moritz nicht mehr hinter dem Tresen, sondern hinter Plexiglas und erklärt den Ankommenden, wie der Corona-Schnelltest abläuft. Seit gut vier Wochen ist die Bar ein Schnelltestzentrum, das Konzept hat sie gerettet. "Wir sind sehr dankbar, dass wir das machen konnten, das hilft ungemein. Gerade als die Hilfszahlungen ausgesetzt wurden, war das die Rettung in der Not", sagt Moritz.

In Berlin gibt es mittlerweile über 1.200 Testzentren, pro Woche kommen nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) 150 hinzu. Tendenz steigend: Mit jedem Öffnungsschritt in Richtung Freiheit rechnet die KV mit noch mehr Anträgen, schon jetzt kommt sie kaum hinterher. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Für die Betriebe, die teils monatelang wegen Corona geschlossen hatten, ist die Einrichtung eines Testzentrums ein lukratives Geschäft: Der Bund zahlt pro Test zwölf Euro und weitere sechs Euro Materialkosten.

Quelle: rbb/Jenny Barke

Senat überprüft schriftliche Anträge - dann kann es losgehen

Tatiana Myk ist Betreiberin eines Nagelstudios ganz in der Nähe der Kneipe Kohlenquelle. Sie hat zusammen mit ihrem Ehemann, Rechtsanwalt Benjamin Myk, bereits sieben Testzentren eröffnet, ihre Test-Kette nennt sich "CoBusters", wie die Covid-Jäger. Auch sie wollte endlich wieder Geld verdienen und eine Beschäftigung haben.

Und als Kosmetikerin ärgerte sie sich darüber, wie schlecht sie in einigen Testzentren behandelt wurde: "Sie stecken die Stäbchen zu tief rein, sie verletzen die Testenden, sie wissen nicht, was sie machen." Sie wollten es besser machen, stellten sogar eine Ärztin ein, die die Corona-Test-Schulungen mit den Mitarbeitern durchführt.

Der Senat bietet ebenfalls Schulungen an. Jeder, der ein Testzentrum öffnen möchte, muss diese vorher abgeschlossen haben. Meist dauert sie nicht länger als eine Stunde. Zuvor müssen sich die Betreiber bewerben.

Doch das sei einfach, sagt Benjamin Myk. Der Senat wolle nur ein schriftliches Hygiene- und Testkonzept, dazu Skizzen und Fotos der Räumlichkeiten. Er lobt das System: Nach einer kurzen Prüfung standen ihre Testzentren auf der Webseite test-to-go.berlin. Doch seiner Meinung nach würden viele Zentren nicht die Pandemie-Standards erfüllen, die vom Senat vorausgesetzt werden.

Senatsverwaltung stellt klar

Kostenlose Corona-Schnelltests sind in Berlin auch täglich möglich

Montags in den Biergarten, mittwochs ins Schwimmbad – und freitags zum Friseur: Ohne negatives Testergebnis ist das nur für Geimpfte und Genesene möglich. Alle anderen können sich täglich kostenlos testen lassen, wie jetzt die Gesundheitsverwaltung klarstellt.

Wer kontrolliert? Senat verweist auf KV, die auf den Bund verweist

So habe er auch schon erlebt, dass das Ergebnis laut vor allen anderen in der Warteschlange samt Namen ausgerufen wird. "Die Datenschutzgrundverordnung scheint da seit Corona nicht mehr zu gelten", sagt der Rechtsanwalt. Zudem seien viele Einrichtungen nicht coronakonform aufgebaut: Es fehlten getrennte Ein- und Ausgänge, damit es sich nicht staut. Teilweise würden die Test-Ergebnisse analog mitgeteilt, was dazu führt, dass sich eine Gruppe Menschen am Schnelltestzentrum sammelt. "Corona-Hotspot Schnelltestzentrum" nennt er diese undurchdachten Konzepte. Auch ein Testergebnis nach zwei Minuten sollte einen skeptisch machen, ein Test dauert normalerweise mindestens 20 Minuten. Als Kunde sollte man darauf achten, dass gewisse Standards eingehalten werden, sagt Myk.

Eigentlich wäre das Aufgabe des Senats. Der teilt auf rbb-Anfrage auch mit, dass die Zentren stichprobenartig von Polizei und Ordnungsamt überprüft werden. Was die Beamten nicht kontrollieren: Ob korrekt abgerechnet wird. Bei dieser Frage verweist der Senat auf die Kassenärztliche Vereinigung (KV). Und auch der Bund sieht die KV in der Verantwortung: "Die Daten, die für die Kontrolle der korrekten Leistungserbringung nötig sind, müssen bis zum 31. Dezember 2024 aufbewahrt werden", sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Somit sei auch anschließend eine Rechnungsprüfung möglich.

Quelle: rbb/Jenny Barke

KV kann aus gelieferten Zahlen keine Richtigkeit überprüfen

Doch die Kassenärztliche Vereinigung widerspricht. In der Testverordnung des Bundes sei nicht geregelt, wer die Abrechnungen auf ihre Plausibilität kontrollieren soll, sagt der Berliner KV-Vorstand Burkhard Ruppert. Die KV bekomme nur von den Betreibern eine Anzahl an gekauften Tests und durchgeführten Tests zugeschickt. "Wir bekommen aber keinerlei Rechnung, sondern nur die Anzahl", so Ruppert. Und die durchgeführten Tests sind aus Datenschutzgründen anonymisiert. Das System erleichtert es, andere Zahlen zu übermitteln und mehr Tests abzurechnen. Seit März hat die KV 26 Millionen Euro an Berliner Betreiber ausgezahlt.

Was die Kontrollen angeht, gibt KV-Vorstand Ruppert den Ball zurück an den Bund: Theoretisch müsste für eine richtige Plausibilitätsprüfung die Anonymisierung aufgehoben werden. "Ein Abrechnungssystem ist ein enormer Mehraufwand. Wenn wir diese Regulierung übernehmen sollen, dann muss es finanziert werden", fordert Rupppert.

KV fordert dringende Nachbesserung der Kontrollen von Schnelltestzentren

Die Kassenärztliche Vereinigung gehe zur Zeit in keinster Weise von Betrügereien in Berlin aus, sagt er: "Dafür gibt es überhaupt keine Hinweise." Allerdings gibt auch er zu bedenken, dass diese Sicherheitslücke im System geschlossen werden muss: "Man muss schon moralisch sehr gefestigt sein, um bei so großen Geldmengen, die von A nach B geschickt werden, nicht vielleicht doch mal was falsches zu tun", warnt Ruppert und fordert dringend eine Nachbesserung der Kontrollmechanismen.

Mehr im www

Testzentren Berlin

Unter www.test-to-go.berlin listet die Stadt alle geprüften Testzentren auf.

Recherchen SZ, WDR und NDR: Großangelegter Schnelltest-Betrug

Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung zeigen, dass es auch Betrüger unter den Schnelltest-Betreibern gibt [tagesschau.de]. Sie haben Unternehmer ausfindig gemacht, die bis zu zehn Mal so viele Tests pro Tag abgerechnet haben, als tatsächlich durchgeführt wurden. Bei 18 Euro Steuergeld pro Test können so schnell ungeprüft Zehntausende Euro im Monat zu viel an die Goldgräber gehen.

Die drei Medien berichteten über Recherchen in mehreren nordrhein-westfälischen Testzentren. Sie glichen die dortigen Abläufe mit einer internen Datenbank des Landes ab, in der die Meldungen der vorgenommenen Tests verzeichnet sind. Demnach zählten die Journalisten jeweils deutlich weniger Besucher in den Testzentren als anschließend an das Land NRW gemeldet wurden.

Auch wenn die KV in Berlin nicht von Betrügereien ausgeht - sie wären bei einem ähnlich intransparenten System auch hier denkbar.

Sendung: Inforadio, 28.05.2021, 12:48 Uhr

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