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Quelle: rbb/Johannes Mohren

Zu Besuch bei Delay Sports

Wenn Influencer die Kreisliga aufmischen

Delay Sports startet ab August in der Kreisliga C. Schon jetzt folgen dem Klub bei Instagram mehr Menschen als Hertha und Union. Der Influencer-Verein verändert den (Amateur-)Fußball. Das könnte auch eine Chance sein. Von Johannes Mohren

Es ist kurz nach 13 Uhr am Samstag, als ein türkisfarbener Mercedes über die Fischerstraße in Lichtenberg rollt und sich endgültig erahnen lässt, dass es an diesem Nachmittag kein normales Testspiel zweier Berliner Kreisligisten werden wird.

Einige Jugendliche, vornehmlich Jungs zwischen 14 und 18 Jahren, haben bereits gelauert. Knapp eine Stunde, bevor die Partie auf dem Platz losgeht, setzen sie nun zu einem ersten Sturmlauf daneben an. Für einige geht er bis zum Zaun des Vereinsgeländes, für andere durch das Eingangstor hinaus den Bürgersteig entlang.

Sparta Lichtenberg II trifft in der Vorbereitung auf Delay Sports. Auf dem Papier bedeutet das neunte gegen elfte Liga. Für die Realität dieses Fußball-Nachmittags ist die Klassen-Zugehörigkeit nur nebensächlich. Das liegt auch an dem Mann, der wenig später aus eben jenem türkisfarbenen Mercedes steigt: Sidney Friede.

Früher war er Profi am Ball unter anderem bei Hertha BSC, heute ist er - nach seinem Karriereende mit 23 Jahren - Profi im Internet mit 800.000 Abonnent:innen bei Instagram, einer eigenen Modemarke und einem Trend-Getränk.

337.000 Abonnent:innen bei Instagram

"Als ich das Testspiel vereinbart habe, wusste ich nicht, was für eine Reichweite das alles hat", wird Haris Cerimagic später erzählen. Er sei davon ausgegangen, "dass da eben ein bekannter Mensch einen Verein gegründet hat. Aber mir war nicht klar, dass das alles so gehypt wird." Seine jüngeren Spieler hätten ihn dann aufgeklärt, sagt der Trainer von Sparta Lichtenberg II. Aufgeklärt etwa über die 337.000 Abonnent:innen, die Delay Sports auf Instagram hat und damit die Bundesligisten Hertha (245.000) und Union (173.000) locker abhängt.

Sidney Friede ist einer der Stars des Teams, das sein Kumpel und Partner im Mode- und Vitaminwasser-Geschäft gegründet hat: Elias Nerlich. Er kommt wenige Minuten nach Friede, begleitet von lauten 'Eliiiii'-Rufen (auf eine adäquate Darstellung der i-Anzahl musste an dieser Stelle aus Längengründen verzichtet werden, Anm. d. Red.) und eigenem Sicherheitspersonal.

Das frühere Gesicht der E-Sport-Abteilung von Hertha BSC kann hier mit kleinen Gesten großes Glück schaffen. "Wir wollen uns die Zeit nehmen für die Zuschauer", sagt er. "Womöglich ist das ein Anreiz für den ein oder anderen, mal ein Bild mit uns zu machen. Mal ein paar Influencer in echt zu sehen. Für uns ist es wichtig, dass die Leute ein Erlebnis haben. Nicht fußballerisch, da können sie sich höherklassige Spiele anschauen. Aber vielleicht unterhalten wir sie ja."

Warten auf ein Selfie mit Elias Nerlich. | Quelle: rbb/Johannes Mohren

Das gelingt. Bei dem Jungen etwa, der nach einem Fistbump von Nerlich seine eigene Faust so ungläubig anstarrt, als würde er seinen Eltern zuhause erklären, dass Händewaschen für ihn nun für immer tabu sei. Bei den Fans, die - nachdem sie in der Endlos-Selfie-Schlange vor dem Spiel (weitere folgen in der Halbzeit und danach) ein Foto bekommen haben - aufgeregt diskutieren, wo sie es nun schnellstmöglich posten müssen. Oder aber bei denen, die nur einen Blick auf ihn erhaschen und begeistert "Ich habe sein Gesicht gesehen!" ausstoßen.

Influencer-Hopping

500 Zuschauer kommen an diesem Nachmittag. Eren und Talha sind mit Freunden aus Peine angereist. Ab sechs Uhr morgens haben sie sich in ihren Schulferien in Regionalbahnen gesetzt, um aus der niedersächsischen Kleinstadt mit dem 9-Euro-Ticket pünktlich in Berlin anzukommen. "Wir kennen Eli aus den Streams und wollten uns das deshalb mal anschauen", sagt Eren. "Die Stimmung ist ganz cool. Es ist interessant, die Jungs mal in echt zu sehen", sagt Talha.

Hertha II gegen Tasmania

Fans von Influencer El-Jindaoui stürmen Platz bei Freundschaftsspiel

Es war nur ein Freundschaftsspiel zwischen Hertha II und Tasmania Berlin. Doch allein der Hype um einen einzigen Spieler brachte die zahlreichen Zuschauer so sehr in Ekstase, dass das Spiel nicht regulär zu Ende geführt werden konnte.

Die beiden stehen in der zweiten, ja dritten Reihe des Pulks, der sich rund um die Trainerbank von Delay Sports gebildet hat. Der Lichtenberger Kunstrasenplatz ist gegen 14:30 Uhr schon die zweite Station für sie. Der Besuch in der Hauptstadt soll sich schließlich lohnen und der Tag bietet die Chance zum fußballerischen Influencer-Hopping. "Wir haben uns erstmal Hertha II angeschaut", berichten sie, um dann - wie als Synonym für den Regionalligisten - "also Nader El-Jindaoui" hinterherzuschieben.

Das Testspiel von Hertha II gegen Tasmania war am Samstag nicht regulär beendet worden, weil Jindaoui-Ultras den Platz gestürmt hatten.

Bei Delay Sports hingegen haben die wenigen Ordner kaum etwas zu tun. "Wir haben bewusst keine Werbung gemacht", sagt Nerlich. Die ganz großen Zuschauerzahlen seien momentan noch gar nicht gewollt. "Da brauchen wir erstmal ein paar Sicherheitskonzepte." Man sei im Austausch mit dem Berliner Fußball-Verband. "Sobald das alles feststeht, werden wir bei Heimspielen auch bewusst einladen. Und dann rechnen wir noch mit ein paar mehr", sagt der 24-Jährige.

Das Spiel? Manchmal nur Nebensache.

Eine besondere Atmosphäre schaffen schon die 500 Fans. "Es ist erstmal schwer, sich nur aufs Spiel zu konzentrieren", sagt Trainer Andreas Schild, "es hat ja hier ein bisschen Volksfestcharakter". Er hat zuvor jahrelang die dritte Mannschaft des 1. FC Schöneberg in der Kreisliga C gecoacht. Die Liga ist geblieben, die Aufmerksamkeit mit seinem Wechsel zu Delay Sports eine andere geworden. Auch die Trainer haben einen eigenen Instagram-Account. Fast 12.000 Menschen schauen Schild und seinem Team hier bei der Arbeit zu.

"Es macht Spaß, es ist anstrengend - und vor allem neu", sagt der 45-Jährige. Zu Beginn habe er das gar nicht so richtig realisiert. Schild kennt den Bratwurst-und-Bier-Amateurfußball. Was er nun erlebt, kennt er nicht, weil es das bisher so auch noch nicht gab. "Diejenigen, die hier zuschauen kommen, könnten alles meine Kinder sein. Das muss ich einfach mal so sagen." Schild muss lachen, wenn er über seine ersten Schritte in dieser neuen Welt erzählt.

Sidney Friede wird von seinen zum größten Teil sehr jungen Fans umzingelt. | Quelle: rbb/Johannes Mohren

Eine Welt, in der das Ergebnis auf dem Platz manchmal nicht an erster Stelle steht. Zumindest für die Zuschauer und zumindest an diesem Nachmittag. "Um die Trainerbank herum waren gefühlt 50 Jugendliche und die haben uns gefragt: 'Wie steht's denn eigentlich?'", sagt Schild. "Die sind natürlich da, um Fotos mit Eli, Sidney oder Diyar (Diyar Acar, TikTok-Star mit rund 650.000 Abonnent:innen, Anm. d. Red) zu machen."

Die 75. Minute ist so ein Moment, in der das Sportliche in den Hintergrund rückt. Es ist der nächste Sturmlauf der lauernden Jugendlichen. 150 von ihnen strömen - mitten im Spiel - von den Banden weg. Ihr Ziel: Ein Selfie mit Friede, der gerade ausgewechselt worden ist.

Chance für den Amateurfußball?

Bei Schlusspfiff kann Schild die Frage nach dem Spielstand derweil mit 6:1 beantworten. Nach zäher Anfangsphase gegen defensive Lichtenberger, die auch Nerlich - wegen Verletzung aktuell an der Seitenlinie - phasenweise laut werden lässt ("Digga, da redet niemand auf dem Platz!"), wird es am Ende deutlich. Es ist der dritte Sieg im dritten Testspiel der Vereinsgeschichte für Delay Sports. Wieder gegen ein klassenhöheres Team.

Drei Gegner an einem Tag

Licht und Schatten bei Herthas Testspiel-Marathon

"Der Verein trifft momentan den Zeitgeist der Jugend", sagt Schild. "Unter den 8- bis 25-Jährigen gibt es viele, die vor dem PC sitzen, die streamen und Twitch gucken. Damit hatte ich mich vorher gar nicht so beschäftigt. Die würden lieber ein Spiel von uns gucken als auf irgendeinem Sender Bundesliga."

Den Rückblick auf das zweite Testspiel gegen Türkiyemspor auf Nerlichs Youtube-Kanal klickten mehr als 550.000 Menschen. Beim ersten Freundschaftskick waren es sogar fast 700.000.

"Das ist die Zielgruppe der Zukunft. Die Jugendlichen interessiert vielleicht der Amateurfußball nicht so. Und das ist das perfekte Beispiel, das man sie abholt", sagt Nerlich. Und so ist eine Hoffnung, dass das Projekt den Amateurfußball in Berlin stärken kann.

Vom Berliner Fußball-Verband (BFV) gab es nicht zuletzt deshalb eine Sondergenehmigung. Eigentlich muss ein neu gegründeter Klub drei Jahre in der Freizeitliga spielen, ehe er in den Spielbetrieb der Kreisliga C einsteigen darf. "Wir gehen mit dieser Entscheidung bewusst einen neuen Weg und sind überzeugt davon, dass der gesamte Berliner Fußball von der Innovationskraft und Reichweite von Delay Sports profitieren kann", hieß es vom BFV.

Es ist eine Chance, die auch Haris Cerimagic sieht. "Ich habe den Jungs gesagt: 'Wir haben heute die Möglichkeit, den ein oder anderen davon zu überzeugen, was wir hier auf den Platz bringen - und dass es sich lohnt, am Wochenende mal vorbeizuschauen'", sagt der Trainer von Sparta Lichtenberg II.

Zunächst einmal endet gegen 16:30 Uhr aber der Hype an der Fischerstraße. Wieder ist es der türkisfarbene Mercedes von Sidney Friede, der am Vereinsgelände vorbeirollt. Noch einmal sind es die Jugendlichen, die dem wegfahrenden Influencer-Spalier stehen. Der filmt die Fans durchs offene Fenster und nährt so die letzte große Hoffnung des Tages bei den Jugendlichen: "Wie cool wäre es eigentlich, in Sidneys Video aufzutauchen, Digga!"

Beitrag von Johannes Mohren

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