"Im Moment gibt es uns nicht mehr" - Sanktionierter Klub Hertha 06 wohl aufgelöst

Di 13.02.24 | 18:28 Uhr | Von Matthias Wolf
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Fußball Ball Symbolbild
Bild: IMAGO/Beautiful Sports

Der Fußballklub CFC Hertha 06 entfachte wegen antisemitischer Pöbeleien vor einem Jahr einen Skandal. Jetzt steht der Verein vor dem Aus, Partien wurden bereits abgesetzt. Welche Rolle der gesperrte Klub-Chef spielt, ist unklar. Von Matthias Wolf

Der Kiosk am Sportplatz Brahestraße ist seit längerem wieder geöffnet. Hier sitzen einige Männer und trinken ihren Tee, Kinder kaufen sich Süßigkeiten. Kurzzeitig hatte das Bezirksamt Charlottenburg den beliebten Treff für die Vereinsmitglieder des CFC Hertha 06 im vergangenen Jahr geschlossen. Um Druck auszuüben: Damit sich der Klub von seinem Vizepräsidenten und Vorsitzenden der Fußballabteilung, Ergün Cakir, distanziere.

Dieser war vor Jahresfrist in einen Antisemitismus-Fall verwickelt, der den Klub bundesweit in die Schlagzeilen rückte. Tatsächlich übt Cakir derzeit kein Amt mehr aus – Grund für den Bezirk, einzulenken. Und doch hängt auch Cakirs Schatten über dem, was dem CFC Hertha 06 jetzt droht. Ein aktueller Auszug aus dem Vereinsregister des Amtsgerichts Charlottenburg weist den Verein als aufgelöst aus. Tag der letzten Eintragung: 5. Februar 2024.

"Im Moment gibt es uns nicht mehr"

Am Dienstag hat der Berliner Fußballverband (BFV) alle Spiele des Vereins für das kommende Wochenende abgesetzt. "Im Moment gibt es uns nicht mehr. Kein Verein, keine Versicherung für die Spieler", sagt Haldun Öztek, der im neuen Vorstand Jugendleiter und Kassenwart ist, deshalb habe der BFV so reagieren müssen. Der Verband mit seinem Vizepräsidenten Jan Schlüschen will das Argument mit der Versicherung nicht bestätigen, spricht hingegen von einer "rechtlich ungeklärten Situation". Mehr könne man derzeit noch nicht sagen.

Öztek betont derweil: "Wenn es bei der Löschung des Vereins bleibt, wäre das ein Desaster." 700 Mitglieder, überwiegend Kinder und Jugendliche, stünden auf der Straße. Es würde seine Aufbauarbeit, die er vor etwas mehr als einem Jahr im Jugendbereich angestoßen habe, zerstören. Der neue Jugendleiter, der allerdings wie seine Vorstandskollegen im aktuellen Vereinsregister-Auszug noch nicht zu finden ist, gibt sich extrem engagiert.

Klub komplett bankrott

Er ist gerade mit der A- und B-Jugend aus dem einwöchigen Trainingslager in Side (Türkei) zurück gekehrt. Ein Vorgang, den mancher Gläubiger mit Argwohn verfolgt hat, auch wenn Öztek betont, die Spieler hätten das Camp selbst bezahlt. Die Kernfrage von Außenstehenden, die teilweise ihrem Geld hinterher laufen: Woher haben die bei Hertha 06 noch das Geld?

Denn im Vereinsregister gibt es auch diese Eintragung: "Der Verein ist durch rechtskräftige Abweisung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrensmangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse aufgrund des § 42 Absatz 1, Satz1, aufgelöst." Das hat das Amtsgericht bereits am 20. Dezember beschlossen und heißt so viel: Da gibt es nichts mehr, was sich noch zu Geld machen ließe, um die Gläubiger auch nur ansatzweise zu befriedigen.

Es könnte zeitnah zum Zwangsabstieg kommen

Der CFC Hertha 06 ist in schwere finanzielle Turbulenzen geraten. Öztek bestreitet nicht, dass der ganze Verein damit rechnet, dass der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) in diesen Tagen den Zwangsabstieg der ersten Männermannschaft aus der Oberliga bekannt gibt. Der Fall ist eigentlich klar, laut Paragraph 6 der Spielordnung: Ein insolventer Verein, gleich ob ein Verfahren läuft oder der Antrag abgelehnt wurde, wird am letzten Spieltag auf den letzten Platz gesetzt und steigt ab.

Erwartet wird aber nun sogar kurzfristig das Aus. Zuletzt wurde schon das Punktspiel bei Tennis Borussia abgesetzt. Sozialversicherungsbeiträge für Spieler, Trainer und Mitarbeiter stehen aus, auch das Finanzamt fordert Geld. Wieviel, weiß keiner so genau. Öztek spricht von 30.000 bis 40.000 Euro Verbindlichkeiten beim Fiskus, den Krankenkassen und der Berufsgenossenschaft. Das sei machbar. Er hoffe, "dass sich das alles wieder gibt, weil unser Schulden noch in dieser Woche bezahlt werden sollen".

Von wem? Das will er nicht sagen. Insider sprechen davon, Ergün Cakir habe das versprochen. Der langjährige Vereinschef und Mäzen. Doch das Gerücht macht nun auch schon seit Monaten die Runde an der Brahestraße - und viele fragen: Wann zahlt er endlich? Warum hat er es überhaupt soweit kommen lassen? Inwieweit hängt das alles auch damit zusammen, dass er selbst bestätigt hat, als Bauunternehmer durch den Antisemitismus-Skandal Aufträge verloren zu haben?

Am Mittwoch meldete sich Cakir auf Nachfrage bei rbb24 und bestätigte, dass er derzeit als Unternehmer eine schwierige Zeit durchmache: Vorstandsmitglieder von Hertha 06 seien zu ihm gekommen und hätten "um Hilfe gebeten. Ich werde den Verein vielleicht noch unterstützen, wenn ich das Geld habe. Wenn es mir besser geht. Dabei geht es mir allein um die 400 Kinder, die sonst auf der Straße stehen würden". Für die Oberliga-Mannschaft hingegen werde er nach jetzigem Stand „nichts mehr tun“. Cakir selbst bezifferte die Verbindlichkeiten des Klubs auf 20 000 Euro. "Wegen so einer geringen Summe so viele Kinder auf die Straße zu setzen", das könne er nicht verstehen, sagte Cakir und beklagte sich über den BFV und "die deutsche Politik". Man habe ihn "zum Sündenbock gemacht" und bestrafe nun im Nachklapp auch noch einen ganzen Verein, den er seit 2011 groß gemacht habe.

Gesperrter Klubchef scheint noch aktiv

Fakt ist: Die Behörden hatten zuletzt jegliche Transparenz rund um das eigentlich geplante Insolvenzverfahren vermisst. Öztek sagt, man habe gegen die Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse eine Beschwerde eingelegt. Dann habe ein administrativer Mitarbeiter des Vereins, der dazu gar nicht berechtigt gewesen sei, diese Beschwerde zurück gezogen. Und nun herrsche bürokratisches Chaos, so Öztek: "Wir hoffen alle, dass das als Missverständnis angesehen und die Löschung noch rückgängig gemacht wird." Sollte Cakir wirklich nochmal Geld geben, könnte das in der Tat den Verein vielleicht noch retten.

Dass Cakir beim CFC Hertha 06 noch im Hintergrund wirkt, ist im Berliner Fußball derweil ein offenes Geheimnis. Der BFV hat ihm nach seinen Äußerungen beim WDR-Magazin Sport inside und in der Sportschau ("Mein Sohn wird die Juden in seinem kompletten Leben hassen") in Folge des Antisemitismus-Vorfalls bei der A-Jugend-Partie gegen den TuS Makkabi im November 2022 zwar eine zweijährige Ämtersperre auferlegt, doch der Verband registrierte schnell Ungereimtheiten. Dass Cakir weiterhin Spielertransfers für seine Oberliga-Mannschaft getätigt habe und auch das Platzverbot umgangen haben soll. Man leitete ein weiteres Sportgerichts-Verfahren wegen Verstoßes gegen die Sperrfrist ein - und Cakir erhielt im Spätsommer 2023 eine weitere Geldstrafe. Heute sagt Cakir: „Ich habe mit dem Verein nichts mehr zu tun, ich habe auch keine Transfers getätigt. Keiner kann mir irgendwas nachweisen.“

Die Geldstrafe hat er dennoch anstandslos beglichen. Doch nun hat sein langjähriges Prestige- und Herzensprojekt Sorgen – und zwar von existenziellem Ausmaß.

Hinweis: Die Aussagen von Ergün Cakir wurden erst nach der Veröffentlichung des Textes (Dienstag, 18:28 Uhr) getätigt. Wir haben die entsprechenden Passagen ergänzt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.02.2023, 17:15 Uhr

Beitrag von Matthias Wolf

4 Kommentare

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  1. 4.

    Tja, das Problem ist nur, wenn auch der Verein geholfen wird, dass die "wenigen" Schuldigen den Verein weiter benutzen werden. In solchen Fällen, sollte der Verband den Jugendspielern eine sofortige Erlaubnis zum Vereinswechsel erteilen. In Charlottenburg gibt es genug gute Vereine ohne Rassismus und Antisemitismus. Ich war dort viele Jahre tätig.

  2. 3.

    Wegen einigen wenigen, einen Verein der sich für die Jugend den Arsch aufreisst kaputt zu machen geht gar nicht.

  3. 2.

    Mir tut es für die vielen sportbegeisterten Kinder und Jugendlichen leid, die nun unter dem scheinbar seit langer Zeit Kalifen-artig agierenden und inakzeptablen Verhaltens von Teilen des Vorstands leiden müssen.

  4. 1.

    Und Tschüß. Solche Vereine braucht niemand. Und Leute wie C. schon garnicht.

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