Gastronomie vor der kalten Jahreszeit - "Ich kann nur hoffen, dass wir über den Winter kommen"
Viele Restaurant- und Kneipengäste wollen wegen der Pandemie an der frischen Luft sitzen. Doch der Herbst bringt die Kühle. Berlins Gastronomen wappnen sich und sorgen für Wärmequellen. Doch nicht alle Heizer sind auch erlaubt. Von Franziska Ritter
Kien Dinh betreibt in der Neuen Bahnhofstraße ein Sushi-Restaurant. Die Tische draußen, an denen sein Team knapp 20 Gäste bedienen kann, sind dieser Tage gut besucht. Doch drinnen ist alles leer. "Selbst dann, wenn es kalt ist und regnet, setzen sich die Leute lieber nach draußen. Die Angst davor, sich mit dem Coronavirus anzustecken, scheint real zu sein“, sagt der junge Mann. Er sorgt sich, wie viele Kunden in der kalten Jahreszeit noch zu ihm kommen werden.
Um auch im Herbst und Winter mehr Gäste im Freien bedienen zu können, hat der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) vor kurzem eine bundesweite Zulassung von Heizpilzen gefordert. In Berlin sind sie verboten, denn die Strahler pusten neben Wärme viel Kohlendioxid in die Luft. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) hat angeregt, dass Gastronomiebetriebe im Gegenzug eine Klimaabgabe zahlen könnten.
Heizpilze oder warme Decken?
Falls der Bezirk den Betrieb von Heizpilzen erlaubt, würde Kien Dinh welche vor seinem Restaurant aufstellen, sagt er, auch wenn er dafür noch einmal investieren müsste. Mit den Geräten allein wäre es nicht getan. Damit die Wärme nicht entweicht, bräuchte er einen Windschutz, den er seitlich und an der Vorderseite der Markisen anbringt. "Das ist auch wie ein geschlossener Raum", räumt er ein, "aber Hauptsache die Menschen, die draußen sitzen, fühlen sich besser."
In seiner Nachbarschaft gehen die Meinungen über das Thema auseinander. Lennart Kloehn, der am Boxhagener Platz das Fargo betreibt, sagt entschieden "Nein" zu Heizpilzen und Wärmestrahlern: "Ich werde mir nicht für drei, vier Monate Heizpilze besorgen, die ich danach vielleicht wieder entsorgen muss. Ich fand es früher schon albern, dass man draußen sitzt und sein Bier dabei wärmt." Gästen, die im Herbst und Winter weiterhin draußen sitzen mögen, bietet er schlicht und ergreifend warme Decken an.
Plätze am Fenster sind begrenzt
Natürlich bekommt auch der Betreiber der Kiezkneipe zu spüren, dass viele Kunden wegen Corona lieber draußen sitzen wollen. Abends um 22 Uhr, wenn Lennart Kloehn alle Gäste mit Rücksicht auf die Anwohner nach drinnen bittet, lehnen einige dankend ab. Manche Gäste reservieren auch gezielt einen Platz am Fenster, doch die sind wegen der Abstandsregeln mehr denn je begrenzt. "Ich kann nur hoffen, dass wir über den Winter kommen", sagt er und seufzt, während er ein Bier hinter dem Tresen zapft.
Bei allen Umsatzrückgängen, mit denen der Kneipenwirt in der kühlen Jahreszeit rechnet: Das Fargo ist besser durch die Coronazeit gekommen als die meisten andere Bars und Restaurants in der Stadt. Noch bevor er seinen Gastraum wieder öffnen durfte, hatte der Chef seine Küche hochgefahren. Er bot einen Abholservice und Fassbier to Go an. Viele Stammgäste hielten dann der Kneipe auch während der Pandemie die Treue, so dass das Fargo keinen einzigen Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken musste – eine Seltenheit. Allein im März und April wurden nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im Gastgewerbe mehr als eine Million Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt.
Branchenverband warnt vor Pleitewelle
Nach Ansicht des Hotel- und Gaststättenverbands ist die Krise im Gastgewerbe noch lange nicht vorbei. Der Branchenverband warnt vor einer großen Pleitewelle und verweist auf eine Umfrage, wonach die Umsätze in der Branche von März bis August um mehr als die Hälfte eingebrochen sind. Und die Aussichten für den Rest des Jahres sind kaum besser: Unter dem Strich rechnen die mehr als 5.000 Hoteliers und Gastronomen, die der Branchenverband befragt hat, mit einem Minus von 50 Prozent.
Auch im "1961 Fusion", dem Restaurant von Kien Dinh, sind die Umsätze drastisch zurückgegangen. Um mehr Kunden anzulocken, ist dann der Chef vor kurzem ins Liefergeschäft eingestiegen und bietet sein Sushi über Lieferando an. Die Onlineplattform kassiert allerdings – je nachdem ob Gastronomen das Essen selbst ausliefern oder Fahrer von Lieferando – bis zu 30 Prozent des Bestellwerts als Provision. Sonderlich viele Bestellungen sind bislang auch noch nicht eingegangen, so Kien Dinh: "Wenn alle Gastronomen auf die Idee kommen, ihr Essen auszuliefern, wird man da einfach nicht gesehen."
Tisch buchen, Geld sparen
Zufriedener ist er dagegen mit einem Buchungsdienst, den er seit einer Weile nutzt. Über DiscoEat können Gäste online einen Tisch in seinem Restaurant reservieren. Kommen sie außerhalb der Stoßzeiten zwischen 14 und 18 Uhr, gewährt ihnen der Chef einen Rabatt von 30 Prozent. Mittags und abends sind es zehn Prozent. Für jeden Gast, der tatsächlich in seinem Restaurant erscheint, tritt Kien Dinh einen Euro an die Vermittlungsplattform ab. Auch wenn er weniger Gewinn macht, rechnet sich das Geschäft für ihn: "Ich habe ja laufende Kosten für die Miete und das Personal. Außerdem demotiviert es die Mitarbeiter, wenn nichts los ist. Mir ist es lieber, wenn Gäste ins Restaurant kommen und etwas essen, als dass der Laden leer ist."
Sendung: Inforadio, 8. 9. 2020 17.20 Uhr