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Video: rbb24 Abendschau | 10.08.2022 | Martin Küper | Quelle: dpa/Kay Nietfeld

BTB und Vattenfall

Berliner Fernwärme-Anbieter wollen sich für die Versorgungskrise wappnen

Das Berliner Fernwärmesystem ist eines der größten in Westeuropa. Fernwärme gilt als besonders effizient und umweltschonend. Zwei Anbieter dominieren den Berliner Markt, Vattenfall und BTB. Wie kommen sie durch die Energiekrise? Von Martin Küper

Sie sind noch verpackt, die vier großen Motoren, die in einem Rohbau schon an ihrem Platz stehen. Um sie herum entsteht gerade ein weiterer Kraftwerksbau auf dem Gelände des Adlershofer Fernwärme-Anbieters BTB (Blockheizkraftwerk, Träger- und Betreibergesellschaft mbH). Vom nächsten Frühjahr an sollen sie beides liefern, Strom und Wärme.

Denn Fernwärme funktioniert als Kraft-Wärme-Kopplung: Die Abwärme aus der Stromerzeugung, die sonst an die Umgebungsluft oder in Flüsse abgeleitet wird, wird also auch zur Wärmeversorgung eingesetzt. Konkret heißt das: Jeder der vier Motoren liefert 4,5 Megawatt Strom pro Blockheizkraftwerk und 4,5 Megawatt thermische Leistung zusätzlich.

Die BTB: Hoher Anteil erneuerbarer Quellen

Die BTB, ein Teil des Essener Eon-Konzerns, wächst stetig. Und das mitten in einer der größten Energieversorgungskrisen der letzten Jahre. Mit ihren drei Kraftwerken und dem etwa 160 Kilometer langen Fernwärmenetz versorgt sie zahlreiche Betriebe in Berlins Südosten und etwa 100.000 Haushalte.

Immerhin 98 Prozent der eingesetzten Energieträger werden in den Kraftwerken nutzbar gemacht. Genau um diesen hohen Wirkungsgrad geht es auch am neuen Standort. BTB-Geschäftsführer David Weiblein betont die Nachhaltigkeit dieses Systems, verspricht für die Zukunft aber noch mehr: "Erst in Kombination mit einem innovativen Baustein, den Flusswasserwärmepumpen, die wir am Standort in Schöneweide für unser Fernwärmenetz errichten, wird es ein innovatives Kraft-Wärmekopplungssystem mit regenerativem Anteil."

Die BTB hat schon jetzt mit etwa 60 Prozent einen hohen Anteil erneuerbarer Quellen in ihrem Energiemix. Dieser besteht hauptsächlich aus Altholz, aber auch Photovoltaik und bald auch große Wärmepumpen-Systeme spielen eine Rolle. Dazu kommen zwanzig Prozent Erdgas, 15 Prozent Steinkohle und fünf Prozent Heizöl. "Perspektivisch", so Geschäftsführer Weibling, "ist für uns der Ausstieg aus der Steinkohle der nächste große Schritt. Der Kohle-Kraftwerksstandort in Schöneweide wird ab 2024 nach und nach in einer Erneuerbare-Energien-Park umgebaut."

Inflation in Deutschland

Alles wird teurer - und in Berlin erst recht

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Preise haben sich verdoppelt

Auch wenn der Gas- und Kohleanteil vergleichsweise gering ist bei der BTB, steigen auch hier die Preise deutlich. Die Inflation wirkt sich längst auch auf die anderen Energieträger aus. Entsprechend haben sich in den vergangenen zwei Jahren auch in Berlins Südosten die Preise für Fernwärme etwa verdoppelt.

Auch was die Zukunft betrifft, ist Geschäftsführer Weiblein eher pessimistisch: "Wir haben noch 15 Jahre Zeit für die Dekarbonisierung und das bedeutet hohe Investitionskosten." Bis 2030 plant er mit 100 Millionen Euro den grünen Umbau der BTB-Fernwärmeerzeugung. Weitere 100 Millionen Euro wird voraussichtlich die Erweiterung des Netzes kosten. Die jetzt angekündigten staatlichen Förderprogramme für grüne Fernwärme kommen da genau zum richtigen Zeitpunkt. Drei Milliarden stehen bereit in den nächsten fünf Jahren, aber der Bedarf ist riesig. Die "Arbeitsgemeinschaft Fernwärme" schätzt ihn auf 33 Milliarden Euro bis 2030.

Der Platzhirsch: Vattenfall

Die BTB wächst, aber das eigentliche Fernwärmenetz in Berlin betreibt Vattenfall: 2.000 Kilometer ist es lang, rund 1,3 Millionen Haushalte hängen dran und Tausende Betriebe. Die Energie kommt aus zehn großen Kraftwerken und 80 kleineren Blockheizkraftwerken.

Bei der effizienten Kraft-Wärme-Kopplung hat Vattenfall einen gänzlich anderen Energiemix: Mit 70 Prozent dominiert hier das Erdgas. Der Rest wird mit Kohle gewonnen und Abwärme aus der Müllverbrennung. Die Gas-Versorgungskrise schlägt hier also voll durch. Der weitgehende Ausfall des russischen Anteils kann nur schwer kompensiert werden. Ein "Krisenstab Fernwärme" sucht nun nach Auswegen: Im Kraftwerk Mitte zum Beispiel setzt Vattenfall neben Gas auch Heizöl ein: "Das machen wir normalerweise nicht", sagt der Leiter des Krisenstabs Martin Debusmann. "Aber in dieser besonderen Situation geht es jetzt darum, in diesem Sommer, bei diesen Temperaturen so viel Gas einzusparen wie möglich."

Gas sparen ist das eine, Energiesparen das andere große Thema – und im Grunde das einzige Mittel aus der Krise, so Debusmann.

Es wird noch teurer

Vattenfall hofft wie viele Versorger nun auf die angekündigte Umlage, deren Einzelheiten in der nächsten Woche bekanntgegeben werden sollen. Sie wird vor allem die Kunden treffen, die sowieso immer stärker zur Kasse gebeten werden. "Alle Energieträger steigen im Preis", hat auch Debusmann beobachtet: "Dem kann sich auch Vattenfall nicht entziehen. Auch wir werden die erhöhten Beschaffungskosten an unsere Kunden weitergeben müssen."

In seinem Sparappell geht es also nicht nur darum, die vorhandene Gasmenge möglichst lang zu strecken, sondern auch die zu erwartenden bis zu vierstelligen Mehrkosten pro Haushalt so weit wie möglich zu begrenzen.

Vattenfall und das Netz

Im Mai diesen Jahres teilte der Konzern allerdings mit, man wolle das Geschäft klimafreundlich umbauen und habe eine "strategische Neubewertung" für Berlin gestartet. Als Konsequenz könnte das Unternehmen das Wärmegeschäft mit seinen 1.700 Mitarbeitern behalten – oder auch vollständig veräußern. Das wäre dann eine Möglichkeit für das Land Berlin, das Fernwärmenetz wieder in eigene Hände zu nehmen – und die im Koalitionsvertrag verabredete Dekarbonisierung rasch voranzutreiben.

Zeit zum Durchdenken aller Optionen ist reichlich: Erst im nächsten Jahr ist mit einer Entscheidung zu rechnen, welchen Weg die Fernwärme in Berlin künftig gehen wird.

Sendung: rbb24 Abendschau, 10.08.022, 19:30 Uhr

Beitrag von Martin Küper

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