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Quelle: Sergey Nivens/Shotshop/picture alliance

Künstliche Intelligenz am Arbeitsplatz

Ist das schon Arbeit oder kann das weg?

Apokalypse oder Erlösung: Wenn über künstliche Intelligenz geredet wird, existieren meist keine Grautöne. Insbesondere wenn es um das Ersetzen von Arbeitskräften geht. Andererseits ist es auch irgendwie anstrengend, sich Sorgen zu machen. Von Oliver Noffke

Ein Caipirinha -Tsunami schwappt über den Rand. Fast kippt mir das Glas weg. "Der hat WAS gemacht?"

"Die Hälfte der Schreiber rausgeschmissen. Alles mal Journalisten."

Ich lecke sauren Saft von meinen Fingern. "Und jetzt?"

"Jetzt lassen die Übriggebliebenenen von einer App die Pressemeldungen schreiben und danach kontrollieren die das. Aufbau und Grammatik, Schreibstil, Fact-Checking."

Thiago leitet den Reporterpool eines brasilianischen Radiosenders. Er koordniniert die Arbeit von etwa 40 Leuten. Während Thiago erzählt, wie ein Freund innerhalb weniger Tage den Belegschaftswald seiner PR-Firma mit einer Axt licht geschlagen hat, hört man zwei Dinge heraus: Den geschockten Journalisten, der gerade erlebt hat, wie schnell Menschen ersetzt werden können, und den Projektmanager, der sich fragt, was das für sein Team bedeutet. Ich versuche unterdessen möglichst schnell, möglichst viel vom Caipi durch den Halm zu ziehen.

Der ganz persönliche GAU-Moment

Vielleicht kennen Sie solche Situationen: Um Sie herum wabbern lauter lose Info-Fetzen. Ein paar Freunde erzählen aufgeregt von dieser tollen neuen App. Sie verstehen aber die Tragweite noch nicht. Im Oberstübchen liegen alle möglichen Ansichten quer durcheinander. Bis einmal ordentlich durchgepustet wird. Die Wucht der Explosion ist im ganzen Körper zu spüren. Im Kopf rast ein Atompilz der Schädeldecke entgegen. Und wenn der Staub sich legt, bleibt eine Frage zurück: Bin ich ersetzbar?

Kann ein Programm, was ich mache, nur unendlich besser und zwar seit gestern? Der ganz persönliche Super-GAU.

Die Bombe heißt in meinem Fall ChatGPT. Von Thiagos Zunge perlt das weich wie die süße Milchcreme, die sich in Rio viele in den Kaffee rühren: Dschäd-dschi-bi-di. In meinem Kopf schwingt dieses Mordwerkzeug im Griff eines Terminators, der sich im Redaktionskeller als Drucker verkleidet hat. Beginnt jetzt die Übernahme? Ist Skynet schon online? Eigentlich wollte ich mich mit Karneval beschäftigen und nicht mit düsteren Visionen plötzlicher Massenarbeitslosigkeit. Ich lasse die Eiswürfel im leeren Glas läuten.

"Mais duas caipirinhas, por favor!"

Interview | Republica-Mitbegründer

"Wir brauchen Bezahlsysteme, die uns nicht die ganze Zeit überwachen"

Die Berliner Republica, das größte Festival für die digitale Gesellschaft, befasst in diesem Jahr mit dem Thema "Cash", auf Deutsch Bargeld. Mitbegründer Markus Beckedahl geht es auch darum, wie wir mit Geld digital umgehen, sagt er im Interview.

"Schreib mir mal zehn Cliffhanger"

Wenn man ChatGPT fragt, was es sei, bezeichnet es sich selbst als "Sprachmodell". Es antwortet mir: "GPT steht für 'Generative Pre-trained Transformer'. Es handelt sich um ein neuronales Netzwerk, das mit großen Mengen an Textdaten trainiert wurde, um ein breites Verständnis von Sprache und menschlichen Ausdrucksformen zu entwickeln."

Die Antworten kommen rasend schnell und klingen meist ziemlich schlau. Das wirkt verlockend. Wenn sich allerdings der eigene Beruf darum dreht, Informationen schnell zu recherchieren und sie in verständlicher Weise weiterzureichen, hört sich das erstmal nicht gut an.

"Andererseits hat ChatGPT keine Schreibblockaden", sagt Katie, als ich ihr von der Atomexplosion erzähle. Katie lebt in West-Hollywood und schreibt Drehbücher für Reality-Polizeiserien. Das sei manchmal wie am Fließband, sagt sie. Viel Zeit sei nie und es gebe viele Vorgaben. "Wenn die Produktionsfirma will, dass es nach so und so viel Minuten eine Werbepause gibt, muss es vorher eine Wendung geben." Eine Woche vor unserem Telefonat hat sie das erste Mal ChatGPT um Rat gefragt. "Schreib mir mal zehn Cliffhanger, habe ich eingetippt". Die seien alle komplett "garbage" gewesen, lacht sie. "Aber ich habe dadurch ein paar Ideen bekommen."

Bei unserem ersten Gespräch zu dem Thema ist sich Katie sicher: Das, was sie da gerade macht, wahre Polizeigeschichten in standardisierte Seriendrehbücher zu pressen, ist "ideal, um von einer KI geschrieben zu werden".

Ohne dem Internet zu nahe treten zu wollen: Aber...

Zur Inspiration kann ich das Programm nicht gebrauchen. Auf welchen Quellen die automatisch geschriebenen Texte basieren, kann ich nicht genau nachvollziehen. Im Journalismus ist das direkt ein Ausschlusskriterium. Schon aus Zeitgründen. Nachzuprüfen, ob Texte ohne Quellen korrekt sind, dauert schlicht viel länger, als sich die richtigen Informationen direkt zu besorgen.

"Es ist wichtig zu beachten, dass ChatGPT eine KI ist", beschreibt sich das Programm selbst, "und über keine eigenen Meinungen oder Kenntnisse verfügt. Es gibt nur Antworten basierend auf dem, was es während des Trainings gelernt hat. Es ist jedoch möglich, dass es manchmal fehlerhafte oder ungenaue Informationen liefern kann."

Das ist der zweite Haken: ChatGPT nutzt das Internet als Datengrundlage; genau wie Bard - ein Konkurrenzprodukt, das von Google entwickelt wird. Ohne dem Internet zu nahe treten zu wollen: Aber neben nützlichen Informationen und lustigem Tier-Content besteht das Netz vor allem aus Scheiße. Absichtlich gestreute und unabsichtlich vervielfältigte Falschinformationen, Hass und Angst. Nach wie vor bietet das Netz Kriminellen ausreichend Platz sich zu entfalten, Geld abzupressen, Waffen zu verkaufen, Drogen oder Menschen.

Seit Jahrtausenden wird versucht, aus Scheiße Gold zu spinnen. Geklappt hat das bisher nicht. Kann das nun digital gelingen?

Chatbots in der Arbeitswelt

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Die Chancen und Risiken von ChatGPT werden auch in der Arbeitswelt debattiert und ausgetestet. Wo kann der Einsatz von künstlicher Intelligenz hilfreich sein, wo ist er problematisch? Wolf Siebert hat sich umgeschaut.

Geschuftet wird in Kenia

Damit diese künstliche Intelligenz weiß, was Fakt und was Fiktion ist, was Recht und was Unrecht, muss ihr das jemand sagen. Die Firma Open AI hat ChatGPT eingeführt, bevor ein umfassendes Benimmtraining durchgeführt wurde. Was zu jeder Menge Meldungen führte, nach denen möglicherweise ein antisemitischer, rassistischer, frauenhassender Overlord angeschaltet wurde.

Was wahr und was erfunden ist, wird ChatGPT in Kenia beigebracht. Dort wühlen sich Menschen durch endlose Textdokumente, um dem Programm beizubringen, was diskriminierend ist und was nicht. Wo Gewalt anfängt oder warum Erwachsene nicht mit Kindern flirten dürfen. Das ganze für zwei Dollar die Stunde, wie das US-Magazin "Time" im Januar aufdeckte [time.com].

ChatGPT ist genau genommen keine künstliche Intelligenz. Es ist ein Chatbot, der künstliche Intelligenz nutzt, um textbasierte Informationen auszuwerten und daraus prägnante Texte zu erstellen. Das Intelligente an ChatGPT ist vorrangig, dass es versteht, wie aus einem Haufen Wörter sinnvoll aneinandergereihte Worte werden. Eine Garantie dafür, dass diese Texte Sinn ergeben, ist das nicht, wie mein Kollege Wolf Siebert erklärt.

Digitale Armut

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Papierstau auf der Republica

Es gibt bisher kein digitales Wesen, das selbstständig Informationen aufsammelt und von sich selbst lernt. Soweit wir das wissen. Was allerdings schon passiert, ist, dass durch KI-Anwendungen Informationen erzeugt werden, die nicht als künstlich oder falsch zu erkennen sind. Das betrifft nicht nur Texte. Gesprochene Worte können immitiert und nahtlos zu neuen Sätzen geformt werden. Was an einem Bild noch Filter ist und was weltfremde KI-Optimierung, ist eigentlich nicht mehr zu unterscheiden.

Wir haben also ein Zeitalter erreicht, in dem es immer schwerer wird, in der digitalen Welt, echte von unechten Bildern, Videos, Audios oder Texten zu unterscheiden. Für Journalisten bedeutet das erst einmal deutlich mehr Arbeit.

Ich versuche auf die Internetkonferenz Republica zu kommen und lande in einem Papierstau. Erst funktioniert am Eingang der eine Drucker nicht, dann kann der zweite nichts lesen. Der erste hatte wohl schon alles weggelesen. Nach drei Minuten Geklapper am Papierfach, und mit der genervten anstehenden Menge im Rücken, wird mir ein weißer Zettel auf ein Schild geklebt - mit meinem Namen drauf. Das schärfste Schwert ist immer noch der Stift. Zumindest wenn der Drucker streikt.

In welchem Internet wollen wir leben, fragt die Republica jedes Jahr. Und in diesem noch dazu: Welchen Platz soll künstliche Intelligenz dort haben?

Rationalisierung, Standardisierung, wachsende Produktivität

Der US-Digitalriese Google rühmt sich, als einziger in seiner Liga einen Ethikleitfaden erarbeitet zu haben. Jen Gennai, bei Google Director of Responsible Innovation, sprach darüber in einem Bühnengespräch. Auf jeden Fall dürfe niemand von künstlicher Intelligenz benachteiligt werden und "we don't want to cause any harm" - "wir wollen niemandem wehtun". Die Google-Ethikregeln seien zukunftssicher formuliert, sagte Gennai. Wie das garantiert werden kann und warum diese Ethikregeln bisher nicht öffentlich sind, blieb offen.

An möglichen Untergangsszenarien, ausgelöst durch KI, war die diesjährige Republica nicht arm. Andererseits konnte man auch den Ist-Stand beobachten. Die intelligente Spracherkennung, die live ausschreiben sollte, was auf der Hauptbühne gesprochen wurde, konnte viele Namen nicht erkennen. Was die Quellen der Vorträge verschleierte.

Der Blogger und IT-Philosoph Jürgen Geuter alias Tante, fasst die aktuelle Beziehung von Mensch und KI so zusammen: "AI Realism". Das sei der weitverbreitete Glaube, "dass 'KI' auf jeden Fall die Zukunft massiv in nahezu jedem Aspekt des Lebens prägen wird und dass eine Alternative zum totalen Einsatz von 'KI' unmöglich - nicht einmal denkbar - ist."

Eine Folge davon sei, dass wir oft vergessen, dass aktuell jede KI nur so gut sein kann, wie die Leute, die sie bedienen. Die wichtigere Frage sei deshalb: Wer bedient sie? Denn am Ende verspreche die Technik vor allem: Rationalisierung, Standardisierung und wachsende Produktivität.

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Menschliche Entscheidung

Ein paar Wochen nach unserem Gespräch schickt mir Katie Bilder. Sie war mit ihrem Vater bei einem Streik, er schreibt für Filme und Serien. Sie halten Schilder hoch, auf denen steht: "WE WRITE! THEY WRONG!" Vor Kurzem hat Netflix angekündigt, künftig Serien und Filme auch von KI schreiben zu lassen. Seitdem sind die Drehbuchschreiber in Hollywood im Streik. Katie schreibt trotzdem weiter für die Reality-Cop-Serie.

"Diese Reality-Formate werden genauso geschrieben, wie das, was wir als Spielfilme kennen oder dramatische Serien", sagt sie. Nur gab es diese Serien noch nicht in dem heutigen Ausmaß, als Filmindustrie und Drehbuchschreiber-Gewerkschaft das letzte Mal über die Arbeitsbedingungen gestritten hatten. Offiziell gilt Katie als Producerin, obwohl sie nichts anderes macht als schreiben. Es sei schon lustig, dass das Menschen so entschieden hätten und keine Maschine, sagt sie. ChatGPT nutzt sie auch nicht mehr. "Ich habe die meisten Anmerkungen für die Stellen bekommen, wo ich mir helfen lassen habe. Lol", schreibt sie.

Ich kann es bisher auch nicht gebrauchen. Dinge schnell vorschreiben zu lassen, um sie dann aufwendig überprüfen zu müssen - das würde die Kolleg:innen an der Abnahme wirklich unnötig in die Verzweiflung treiben.

Zudem nutzt ChatGPT nur Daten, die bis September 2021 online gestellt wurden. Das heißt, wenn man den Bot fragt, wer aktuell Berlin regiert, dann ist die Antwort: Michael Müller (SPD). "Allerdings können sich politische Ämter und Zuständigkeiten im Laufe der Zeit ändern", sagt ChatGPT. "Um die aktuellsten Informationen darüber zu erhalten, wer Berlin regiert, empfehle ich dir, aktuelle politische Nachrichten oder offizielle Regierungsquellen zu konsultieren."

Super-GAU vorerst verschoben.

Beitrag von Oliver Noffke

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