Magyar Modern - Berlinische Galerie zeigt ungarische Moderne im Berlin der 1920er Jahre

Do 03.11.22 | 06:02 Uhr | Von Sigrid Hoff
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Magyar Modern – die Berlinische Galerie zeigt die ungarische Moderne im Berlin der Zwanziger Jahre (Quelle: rbb/Sigrid Hoff)
Bild: rbb/Sigrid Hoff

Schmelztigel Berlin: Vor einem Jahrhundert herrscht Aufbruchstimmung in der Hauptstadt, viele Künstlerinnen und Künstler zieht es an die Spree. Unter ihnen auch viele aus Ungarn. Ihnen widmet sich jetzt eine Schau in der Berlinischen Galerie. Von Sigrid Hoff

Vor 100 Jahren, in der Zeit der Weimarer Republik ließen sich viele von der kosmopolitischen Aufbruchstimmung der Stadt inspirieren und auch internationale Künstler zog es an die Spree, insbesondere aus Ungarn. Die Berlinische Galerie widmet ihre jüngste Ausstellung dem Beitrag, den sie zur Kunst der Klassischen Moderne zwischen 1910 und 1933 leisteten, unter dem Titel: "Magyar Modern" - Ungarische Moderne.

Ein Feuerwerk der Formen und Farben ist zu erleben

Schon die Galerie der Selbstporträts an der langen Wand vor den Ausstellungskabinetten erregt mit der expressiven Farbigkeit und dem kubistisch-fragmentierten Stil vieler Bilder, die an französische Vorbilder erinnern, Aufmerksamkeit. Immer wieder trifft man in den neun Sektionen der Schau auf Arbeiten, die auf den ersten Blick an Paris denken lassen, tatsächlich aber Szenen aus Berlin zeigen. Etwa József Batós Ölgemälde einer Eisenbahnbrücke über einem dunklen Fluss mit Schiffen: Zu sehen ist nicht die Seine, sondern die Spree am Bahnhof Friedrichstraße mit den Lichtspiegelungen der Großstadt. Oder Lajos Tihanyis kubistische Arbeit mit der Baerwaldtbrücke am Landwehrkanal in Kreuzberg in gedämpftem Rot-Grün.

Hugó Scheiber hingegen entfacht in seinem Bild "Auf der Straßenbahn" ein futuristisches Feuerwerk an Formen und Farben und fängt so das nervöse Tempo der Metropole ein. "Wir zeigen ungarische Positionen, die hier in der Stadt entstanden sind, und wir zeigen Werke, die hier ausgestellt wurden", beschreibt Kurator Ralf Burmeister die Auswahl der Künstler und ihrer Arbeiten in der Ausstellung in der Berlinischen Galerie.

Nach Zerfall Österreich-Ungarns zog es viele nach Berlin

Den Auftakt bilden Künstler der Gruppe der "Acht", denen der Galerist Herwarth Walden erstmals eine große Einzelschau in der Berliner Secession am Kurfürstendamm ausrichtete - und sie endet mit dem Jahr 1933, dem Beginn der Nazizeit und der Diffamierung der Avantgardekunst als "entartet".

Mit dem Zerfall des Habsburger Reichs nach dem Ersten Weltkrieg und den politischen Umbrüchen in Ungarn emigrierten vor allem linke und zumeist jüdische Künstler nach Berlin. An der Spree entsteht beispielsweise László Mohoy-Nagys erstes radikal abstraktes Kunstwerk "Architektur I" von 1922, eine Ikone der Moderne. Der Maler und Lichtkünstler, der später am Bauhaus arbeitete, ist der bekannteste unter den ungarischen Avantgardisten in Berlin. Andere Namen sind heute vergessen oder in den Hintergrund gerückt, obwohl sie zur ungarischen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts gehören.

So bedenkt die Ausstellung auch wichtige Figuren wie den Künstler Peter-Laszlo Péri, einen Freund von Moholy-Nagy, der 1921 mit ihm in der Galerie Sturm ausgestellt hat. Er ist der erste, der das neue Material Beton auch für die Bildhauerkunst nutzte.

Den Künstler und Schriftsteller Lajos Kassák nennt Kurator Burmeister ein "Zentralgestirn der ungarischen Avantgarde", der die sogenannte Ma-Gruppe gründete. Die gleichnamige Zeitschrift wurde ihr Sprachrohr und vertrat linkspolitische avantgardistische Positionen wie den Konstruktivismus, der bei den Ungarn eine große Rolle spielt. Zugleich prägt Kassák den Begriff der "Bildarchitektur", nach dem viele abstrakte Arbeiten benannt sind. Sie eröffnen neue Imaginationsräume, denen die Ausstellung einen eigenen Raum unter dem Titel Bild-Beton-Bau widmet. Hier sind grafische, rein abstrakte Arbeiten zu sehen, die sukzessive in Architekturgestaltung überführt werden. Die Idee einer durch Architektur besseren Gesellschaft spiegelt sich im "Neuen Bauen", wie es etwa die Siedlungsbauten von Fred Forbat in Siemensstadt und Haselhorst zeigen, von denen Entwürfe und zeitgenössische Fotos zu sehen sind.

Zahlreiche Berliner Bühnenhäuser stammen aus ungarischer Hand

Bereits vor Forbat war der Theaterarchitekt Oskar Kaufmann aus Budapest an die Spree gekommen, dessen Bühnenhäuser vom Hebbel- über das Renaissancetheater bis zur Volksbühne die Stadt bis heute prägen.

Als Presse-Metropole der 1920er Jahre bot Berlin ungarischen Bildjournalisten und Fotokünstlerinnen neue Möglichkeiten. Neben Martin Munkácsi setzten insbesondere Fotografinnen wie Éva Besnyö und Judit Kárász Straßen und Plätze ins Bild und wählten Motive wie den Funkturm als technische Konstruktion für ihre von der Geometrie und Dynamik des Neuen Sehens geprägten Aufnahmen. Den Übergang von der Fotografie zum experimentellen Film repräsentiert wiederum László Moholy-Nagy, von dem die erst kürzlich wiederentdeckte Arbeit "Tönendes ABC" von 1933 gezeigt wird.

Magyar Modern – die Berlinische Galerie zeigt die ungarische Moderne im Berlin der Zwanziger Jahre (Quelle: rbb/Sigrid Hoff)
Bild: rbb/Sigrid Hoff

Mit Machtergreifung der Nazis endet jäh die Ära

Den Schlusspunkt der Ausstellung bildet eine nationalsozialistische Schmähschrift von 1937. Sie fordert die "Säuberung des Kunsttempels", die Collage auf dem Umschlag zeigt von einem roten Kreuz durchgestrichene Werke der Moderne, darunter eine abstrakte Komposition von Moholy-Nagy. "Die Ungarn waren so prominent in Berlin, dass man sie aufs Cover setzt, um sie durchzustreichen", resümiert Ralf Burmeister.

Die meisten ungarischen Künstler wurden in die Emigration getrieben, nach England oder in die USA. Dort konnten sie häufig an ihre früheren Erfolge anknüpfen. Moholy-Nagy gründete 1937 in den USA sein "New Bauhaus" - Berlin blieb eine Zwischenstation der ungarischen Avantgarde. Ihren Anteil an der Rolle Berlins als Drehkreuz der internationalen Avantgarde vor 1933 wieder ins rechte Licht zu rücken, ist das Verdienst dieser Ausstellung.

Beitrag von Sigrid Hoff

3 Kommentare

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  1. 3.

    Eine einhundert Jahre alte Kunstrichtung immernoch als Moderne zu bezeichnen, halte ich für eher peinlich. Auch wenn die Kunsthistoriker schmollen. Nach einhundert Jahren ist nichts mehr modern. Modern sind jetzt Lego Männchen, die Kakteen umrunden ...

  2. 1.

    Martin Munkásci Falsch ...
    Martin Munkácsi Richtig...

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