Interview | Regisseur Mehran Djojan "Offline" - "Ich glaube, dass online Empathie verloren geht"

Mo 31.10.22 | 17:59 Uhr
Studiodreh für die Dokuserie „Offline“ mit den ukrainschen und russischen Models Valeriia Karamann (links), Tanya Chudnovskaia (2. von links) Daniel Nikiforow (rechts oben) und Regisseur und Fotograf Mehran Djojan (rechts unten) (Quelle: ARD Kultur/Mehran Djojan)
Bild: ARD Kultur/Mehran Djojan

In seiner Doku-Serie "Offline" begleitet Mehran Djojan über mehrere Jahre drei Models, die aus Russland und der Ukraine nach Berlin gekommen sind. Sie träumen von einer Karriere in Europa. Erzählt wird ihre Geschichte aus Sicht des Regisseurs.

rbb24: Herr Djojan, worum geht es in Ihrem Film?

Mehran Djojan: Für mich ist es ein Film über das Heranwachsen, ein Coming-of-Age-Film. Ein Porträt einer Generation von jungen Kreativen, die nach Deutschland kommen, nach Berlin. Warum sie hierherkommen? Weil sie sehr progressiv sind und sich hier anziehen können, wie sie wollen, so sein können, wie sie wollen und sich so benehmen können, wie sie wollen.

Da, wo sie herkommen, können sie das eben nicht. Ich wollte keinen prätentiösen politischen Film machen, mit dem ich meine Meinung, meine Themen den Zuschauenden komplett auserzählt vorhalte. Ich wollte einfach ein Gefühl vermitteln.

Infobox

rbb/weltrecorder/Mehran Djojan
rbb/Mehran Djojan

Seit dem 26. Oktober 2022 gibt es "Offline" – eine Produktion von Weltrecorder im Auftrag von ARD Kultur und rbb - in der ARD Mediathek und auf ardkultur.de zu sehen, dem neuen digitalen Kulturangebot der ARD.

Die Doku wurde beim Ideenwettbewerb "ARD Kultur Creators" zum Gewinnerprojekt des rbb gekürt. In Kooperation mit der Deutschen Welle entsteht eine 90-minütige Version von "Offline", die 2023 ausgestrahlt wird – auf Englisch, Spanisch, Arabisch, Hindi sowie in russischer und ukrainischer Sprache.

Und war Ihnen schon vor Beginn der Dreharbeiten klar, dass es darum gehen wird?

Als ich angefangen habe zu drehen, hatte ich nicht das Gefühl, dass ich definieren muss, was aus dem Film wird. Ich wusste einfach, dass es gut wird. Ich habe gefühlt, dass das ein bereicherndes Projekt ist. Der Film ist etwas, von dem Leute profitieren können - von dem junge Leute profitieren können, die auch irgendwie auf der Suche nach sich selbst sind und vielleicht einen kreativen Weg einschlagen wollen.

Wer sind Ihre drei Protagonisten? Wie haben Sie sie kennengelernt?

Alles fing so an, dass ich irgendwann über Instagram eine Nachricht von Tanya, deren Künstlername Chudnyy ist, bekommen habe: 'Du hast eine Freundin von mir fotografiert. Ich komme nach Berlin und brauche für zwei Tage eine Unterkunft.' Tanya hat erzählt, dass die Model-Apartments 400 Euro pro Woche kosten, und dass du dir so ein Hotelzimmer mit vier, fünf anderen Mädels teilst.

Tanya kommt aus Russland und kannte hier in Berlin niemanden. Also meinte ich natürlich: Okay, kein Problem - Ich habe ein freies Zimmer, da kannst du die zwei Tage bleiben. Und irgendwie sind daraus dann drei Jahre geworden. Daniel kommt aus der Ukraine. Ich habe ihn kennengelernt, als er in Berlin seinen Ex-Freund besucht hat.

Wir haben uns angefreundet und er hat dann immer mal wieder auch bei mir gewohnt, wenn er hier Model-Jobs hatte. Valeriia kommt ursprünglich aus Moldawien, ist aber in der Ukraine aufgewachsen. Mit 14 wurde sie dann auch in der Ukraine gescoutet und arbeitet seither international als Model. Jetzt lebt sie aber in Berlin.

Ihr Film begleitet scheinbar nur Tanya, Valeriia und Daniel. Sie haben sie über mehrere Jahre gefilmt. Ist "Offline" auch eine Dokumentation über Sie?

Das ist nicht so einfach zu beantworten. Aber eigentlich erfährt man auch viel über mich: Wir haben auf jeden Fall dieselben Struggle. Ich glaube, wir mussten uns mit ähnlichen Problemen auseinandersetzten. Das kann man auf jeden Fall sagen. Wir sind wie eine kleine Familie gewesen.

Ich bin mit den drei und während des Drehs erwachsen geworden. Wir sind junge Kreative, die versuchen, in der Welt zu bestehen und ihren Platz - und zu sich selbst zu finden. Insofern dokumentiert der Film auch auf gewisse Weise auch meinen Weg."

Wieso heißt Ihr Film "Offline"?

Wir alle sind aktiv auf Instagram und haben uns darüber connected. Ich habe aber das Gefühl, dass online auf gewisse Weise die Empathie für Personen verloren geht: Denn auf Instagram sieht man nur eine Auswahl an kuratierten Inhalten und macht sich darüber ziemlich schnell ein Bild von einer Person.

In meinem Film geht es aber eben auch darum, wer die Protagonisten offline sind und mit was für Problemen sie zu kämpfen haben. Ich wollte möglichst viele Facetten von meinen Protagonisten zeigen: Sie sind nicht nur junge, schöne Leute, die sich inszenieren können. Da ist noch viel mehr, was man online nicht sehen kann – wir haben uns online kennengelernt und der Film ist die Geschichte offline.

Nächster Artikel