Kritik | Eröffnung Schubert-Woche - Perfekte Liedgestaltung
In Konzerten und Workshops dreht sich bei der "Schubert-Woche" im Berliner Pierre-Boulez-Saal bis zum Wochenende wieder alles um Franz Schubert - wenngleich auch Lieder anderer Komponisten auf dem Programm stehen. Von Hans Ackermann
Mit fünf Liedern von Carl Loewe eröffnet der Bariton und künstlerische Leiter des Festivals Thomas Hampson das erste Konzert der diesjährigen Schubert-Woche. Im ausverkauften Berliner Pierre-Boulez-Saal wird er dabei von Wolfram Rieger begleitet, der als Professor für Liedgestaltung an der Berliner Hochschule für Musik "Hanns Eisler" lehrt.
Chorsänger und Liedkomponisten
Carl Loewe wurde 1796 nur wenige Monate vor Franz Schubert geboren, und auch sonst gibt es zwischen diesen beiden Zeitgenossen interessante Übereinstimmungen: Franz Schubert hat viele Jahre bei den Wiener Sängerknaben gesungen, Carl Loewe war als Kind im Köthener Knabenchor, hat später als Tenor in Halle an der Saale Erfolge gefeiert.
In seinen Liedern hat Carl Loewe oft dieselben Texte vertont wie Franz Schubert. Darunter das "Fischermädchen" von Heinrich Heine, das Hampson und Rieger für diesem Abend gleich zweimal in ihre Auswahl aufgenommen haben. Im "Schubert-Teil" kann man Loewes Fassung dann mit Schuberts Vertonung vergleichen - um festzustellen, dass bei beiden Komponisten eine enge Beziehung zwischen Gesangsstimme und Klaviersatz besteht, Schubert aber noch mehr Fantasie bei der Ausgestaltung der Begleitungen entwickelt hat.

Preisgekröntes Duo
Thomas Hampson und Wolfram Rieger haben 2017 zusammen die Hugo-Wolf-Medaille für ihre gemeinsam entwickelte Kunst der Liedgestaltung bekommen. Besser als mit diesem Duo könnte auch diese Ausgabe des renommierten Schubert-Festivals nicht eröffnet werden. Die beiden Musiker arbeiten seit vielen Jahren zusammen, haben CDs aufgenommen, Liederabende veranstaltet, verstehen sich und atmen gemeinsam - auch bei Schuberts "Am Meer". Wenn Hampson singt "Der Nebel stieg, das Wasser schwoll" glaubt man, den feuchten Nebel am eigenen Leib zu spüren, so intensiv begleitet der Pianist den Sänger am Klavier.
Emotionale Zustände musikalisch schildern
Das Meer und der Nebel, aber auch der Wald und die Blumen, der Frühlingsluft und die Winterkälte - Franz Schubert hat die Natur, die uns außen umgibt, mit den Gefühlen, die uns innen quälen, in eine einmalige Lied-Kunst transformiert. Dies gilt auch für Gustav Mahler, dessen "Lied des Verfolgten im Turm" nach der Pause erneut zeigt, wie gut Hampson und Rieger zusammenpassen, wie sie die emotionale Zerrissenheit der Moderne schildern, mit expressiven Gesang, der von einer manchmal rasenden Klavierbegleitung getragen wird.
Wolfram Rieger gestaltet seine Begleitung mit höchstem dynamischen Feingefühl, lässt viele der Lieder an ihrem Ende oft im kaum noch hörbaren Pianissimo verklingen. Die konzentrierte "Stille", die Rieger auf seinem Instrument zu erzeugen vermag, ist ein herausragendes Merkmal dieses Pianisten.
Amerikanisches Repertoire zum Schluss
Für das letzte Viertel des Abends hat sich Thomas Hampson dann noch eine Überraschung ausgedacht: man kann den im Bundesstaat Indiana, im Norden der USA geborenen Sänger, der aber schon lange in Europa lebt, dann in seiner Muttersprache hören. Mit Liedern von Charles Ives, Leonard Bernstein und ganz am Schluss - bei der zweiten von insgesamt drei mit Riesenbeifall herausgeklatschten Zugaben - mit einem neuromantischen Klassiker der amerikanischen Moderne: Samuel Barbers "Sure on this shining night", 1938 nach einem Text des Pulitzer-Preisträgers James Agee komponiert. Wunderbar, wie sich damit der Kreis zu Franz Schubert schließt.
Ausblick
Den Bogen von der Romantik des 19. Jahrhunderts bis in die Moderne des 20. Jahrhunderts spannt am Dienstag auch das Konzert der in München geborenen Mezzosopranistin Susan Zarrabi. Begleitet von Gerold Huber am Klavier singt sie im Pierre-Boulez-Saal neben Werken von Carl Loewe, Franz Schubert und Hugo Wolf dann auch Lieder von Richard Strauss und Kurt Weill.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.01.2023, 6.00 Uhr