Kritik | Jan Böhmermann live in Berlin - Kopfüber in den Cringe
Er verspricht nichts Geringeres als einen politischen Liederabend auf seiner "Ehrenfeld Intergalactic"-Tour: Moderator, Satiriker und Sänger Jan Böhmermann war am Montag zusammen mit dem Rundfunk-Tanzorchester in Berlin zu Gast und lieferte ein "Best-of Böhmi" ab. Von Magdalena Bienert
Logisch: Jan Böhmermann witzelt, frotzelt, parodiert und, klar, er singt. Und natürlich tut er das ziemlich gut, das kennt man aus seiner Show "ZDF Magazin Royale". Und aus seinen wenigen veröffentlichten Songs, die Parodien auf das deutsche Pop- oder Rapbusiness waren.
Ein Live-Abend mit Jan Böhmermann verspricht also einen wilden stilistischen Ritt sowohl durch Coverversionen, als auch eigene Lieder aus seinem emotionalen Bauchladen. Es ist im Prinzip ein Best-Of seiner Fernsehshow, wo alle Songs schon mal gelaufen sind.
Embrace the Cringe
Böhmermann kokettiert damit, einen politischen Liederabend veranstalten zu wollen und suhlt sich übertrieben in aktueller Jugendsprache: "Das ist ganz wichtig, wenn man das politische Lied embracen möchte, muss man kopfüber in den Cringe springen!"
9.000 Böhmi-Fans, von 16 bis 66, geben sich dem Cringe, also dem Fremdschämen, hin. Aber cringe ist es eigentlich nur für die von Böhmermann besungenen oder befrotzelten Personen des öffentlichen Lebens, wie Elon Musk, Polizeigewerkschafter Rainer Wendt oder Schlager-Mogul Michael Jürgens.
Ernst wird es, als Böhmermann als Antwort auf Russlands Angriffskrieg das 50er Jahre Anti-Kriegslied singt: "Meinst du, die Russen wollen Krieg?" Autsch.
Draußen "Die Basis", drinnen après Ski
Kurz darauf freut sich der Entertainer über das "kostenlose warm up Programm" vor der Halle, wo Anhänger der Partei "Die Basis" demonstrieren. Ihnen gilt der Song "Ischgl-Fieber". Den schlageresken Après-Ski-Song singt Böhmi mit FFP2-Maske: "Wir ham wieder Ischgl-Fieber, uns ist alles scheißegal…"
Das 17-köpfige Rundfunk-Tanzorchester ist dabei immer seine Bank und es darf etliche Male zeigen, was es ohne seinen Chefdirigenten draufhat, wenn es "Can You Feel it", das Captain Future Theme oder, in Anlehnung an den Tour-Namen,"Intergalactic" von den Beastie Boys covert.
Balenciaga vs. Anzug
Ungewohnt leger tritt der 41-jährige Moderator und Sänger auf. Statt im Anzug kommt er in schwarzer Jogginghose und leichtem Blouson: "billiges Balenciaga", er disst Berlin, die Polizei und Juristerei – alles erwartbar aber dennoch nicht langweilig. Überraschend dafür sein Berlin-Gast: Danger Dan (in Wien holte er den Frontmann von Wanda auf die Bühne). Der Musiker, der sonst bei der "Antilopen Gang" rappt, darf den Lieblingssong des Feuilletons spielen: "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt" passt perfekt und wird dementsprechend vom Publikum gefeiert.
Nach über zwei kurzweiligen Stunden und Böhmis kleinen Hits, wie "Menschen Leben Tanzen Welt" und "Ich hab' Polizei", verabschiedet sich der Bremer Polizistensohn. Und wer regelmäßig seinen Podcast "Fest & Flauschig" hört, ahnt: jetzt fährt der Entertainer mit einem E-Scooter ins Hotel.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.01.2023, 6:55 Uhr