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Video: rbb24 Abendschau | 26.05.2023 | A. Tiemeyer | Quelle: dpa-Bildfunk/Jörg Carstensen

Interview | Karneval der Kulturen

"Für den Karneval ist wichtig, dass er nicht verdrängt wird aus der Innenstadt"

Erstmals nach drei Jahren corona-bedingtem Ausfall zieht am Sonntag der Karneval der Kulturen wieder durch Kreuzberg und Neukölln. Vieles, aber nicht alles, wird sein, wie es vorher war. Die Macher haben die Auszeit auch als kreative Pause genutzt.

rbb|24: Guten Tag, Frau Hepp. Drei Jahre hintereinander gab es wegen der Corona-Pandemie keinen Karneval der Kulturen. Kommt jetzt der 25. Karneval so daher wie immer? Oder haben Sie sich erneuert?

Geraldine Hepp: Es war auf jeden Fall eine kreative Pause. Wir hatten letztes Jahr ein Begleitverfahren, in dem wir mit den Gruppen, aber auch mit Anwohnenden und der breiteren Stadtgesellschaft ins Gespräch gegangen sind, um zu schauen, wo wir eigentlich stehen und was die Herausforderungen und das Selbstverständnis sind.

Der Prozess war offen und es gab keine Direktive, wohin das gehen sollte. Da waren auch sämtliche Formate auf dem Prüfstand. Denn immer wieder tut sich ja auch die Frage auf, ob der Karneval auch wieder kleiner werden kann. Er ist zwar durch den großen Zuspruch und die schiere Größe eine Leuchtturm-Veranstaltung für Berlin – dadurch sind aber auch viele Herausforderungen entstanden. Es wurde auch hinterfragt, ob der Karneval dezentral stattfinden könnte.

Zur Person

Geraldine Hepp

In diesem Beteiligungsverfahren, das kann man auch auf unserer Website nachlesen, sind wir eher in einen Erneuerungsprozess im Sinne einer Rückbesinnung auf die Wurzeln des Karnevals gekommen. Auch das Votum, dass der Karneval in Kreuzberg bleiben und nicht dezentralisiert werden soll, war ganz deutlich. Weil dieses gemeinsame Auftreten im öffentlichen Raum in dieser Größe ein ganz wichtiger Teil des Anliegens ist. Also Sichtbarkeit zu erzeugen für die vielen verschiedenen Menschen, die hier zuhause sind. Das sind ja die Wurzeln des Karnevals als antirassistische Bewegung. Da geht es auch darum zu zeigen, dass man friedlich miteinander feiern kann.

Trotzdem wissen wir, dass es durch eine so große Veranstaltung wie den Karneval auch immer wieder Ärgernisse gibt – besonders für Anwohnende.

Das ist ja durchaus ein politischer Anspruch. Mitunter ist zu hören, der Karneval der Kulturen sei mittlerweile vor allen Dingen eine große bunte Spaß-Party mit Folklore-Touch. Was sagen sie zu solchen Einschätzungen?

Das kann ich auch verstehen. Ich bin ja neu im Leitungsteam und habe mich damit selbst auseinandergesetzt. Da hilft es, zu verstehen, was die Akteure wirklich machen. Denn man muss sagen, dass es gerade bei der Folklore-Sache darauf ankommt, wie man Kultur und Identitäten bespricht. Da kann das schwierig sein.

Man muss es vielleicht im Kontext zu den Ursprüngen des Karnevals sehen: Der Karneval ist als Antwort auf rassistische Übergriffe in den 1990er Jahren entstanden. Da ging es darum, dass Menschen, die sich ganz klar mit ihrer herkunftsbezogenen Kultur identifiziert haben, zeigen wollten, dass sie auch hierher gehören – mit ihren vielfältigen Traditionen. Wenn man dann Folklore in ein Straßengebiet bringt, das nicht mehrheitsbedingt weiß/deutsch ist, ist das eigentlich ein politischer Akt.

Jetzt, 25 Jahre später, wo man anders über Kultur und Intersektionalität spricht, kann das natürlich auch als schwierig gesehen werden. Doch die Gruppen, für die das noch wichtig ist, verteidigen das – mit gutem Recht. Denn das ist ja teils ein elitärer Diskurs. Und der Karneval soll eine niedrigschwellige öffentliche Veranstaltung bleiben, die wirklich alle einlädt, mitzugestalten.

Mit wie vielen Besuchern rechnen Sie? Vor Corona waren es meist um die 700.000 – wird es wieder so groß?

Ja, wir rechnen wieder mit so vielen Besuchern. Das müssen wir auch, denn alles andere wäre unverantwortlich. Wir sind seit Monaten mit den unterschiedlichen Beteiligten am Sicherheitskonzept.

Die Strecke ist wegen der durch den Fachkräftemangel und die Inflation gestiegenen Kosten im Sicherheitsbereich leicht gekürzt worden. Die Gruppen, von denen es in diesem Jahr auch weniger gibt, werden sich zudem etwas langsamer bewegen. Wir haben die Veranstaltung also etwas verlangsamt.

Weil die Veranstaltung so groß ist, sind alle Kapazitäten – sowohl finanziell als auch strukturell – in die Professionalisierung von Sicherheit und Produktion gegangen in den letzten Jahren. Das war richtig so, denn es ist ja eine große Verantwortung etwa eine Million Menschen bei sich zu haben. Leider reicht das Budget nicht aus, um mehr Netzwerkarbeit nach innen zu machen oder Publikumskonzepte zu erstellen, die über Sicherheit und Hygiene hinausgehen. Da gibt es noch Potenzial.

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Die Anzahl der Gruppen beziehungsweise Wagen wurde von 70 vor der Pandemie auf nun 48 heruntergefahren. Nach welchen Kriterien haben Sie entschieden, wer mitmachen darf und wer nicht?

Unser Beirat hat mitgeholfen bei der Auswahl. Man hat die Gruppen gebeten, ihre Konzepte einzureichen und dann gab es verschiedene Variablen, über die entschieden wurde. Ausgewählt haben wir 55 Gruppen – von denen aber, was ganz normal ist, noch mal einige abgesprungen sind. Zuletzt waren wir beim Karneval bei 70 Gruppen. Wir haben also 15 weniger ausgewählt. Es gab auch nicht 90 Bewerbungen wie früher, denn nicht alle Gruppen haben Corona überstanden.

Sie haben es schon angesprochen: Anwohnende, vor allem auch am Blücherplatz, klagen über den Müll und die Lautstärke. Wie sieht denn Ihr Konzept aus, damit umzugehen?

Wir versuchen schon seit Jahren, den Karneval so zu gestalten, dass es auch für die Anwohner aushaltbar ist. Es gibt auch viele, die sich darüber freuen, "Hosts" für den Karneval zu sein. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die darunter leiden.

Das fängt an mit den Autos, die umgestellt werden müssen. Und natürlich gibt es die Menschen, die im angetrunkenen Zustand ihr Hygieneverhalten unangenehm ausleben. Wir schauen einerseits, wo es mehr Toiletten oder ob es eher Urinale braucht. Aber es ist trotzdem nicht zu ändern, dass Leute sich auch so verhalten, wie wir es nicht möchten. Da sind wir trotzdem immer dran. Bei besonders häufig frequentierten Ecken versuchen wir auch mehr Ordnungspersonal einzusetzen.

Dann gibt es noch das Problem mit den Glasscherben. Die Händler haben – bis auf wenige Ausnahmen – ein Glasverbot. Doch weil der Karneval ja öffentlich und das Gelände nicht eingezäunt ist, können wir nicht kontrollieren, was Spätis, Tankstellen oder Restaurants verkaufen – oder die Leute einfach mitbringen. Wir versuchen, da schnell hinterher zu putzen, aber das ist natürlich nicht immer möglich.

Was konkret machen die Awareness-Teams, die es diesmal auf dem Karneval der Kulturen gibt?

Wir haben mit den Johannitern und der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft ganz traditionelle Sanitäter und Unfallhilfe-Anlaufstellen sowie Teams, die unterwegs sind für eher körperliche Beschwerden. Mit den Awareness-Teams haben wir noch einmal eine andere Ebene aufgemacht. Der Karneval versteht sich zwar als antirassistische und antidiskriminierende Veranstaltung, die ein friedliches Miteinander propagiert – trotzdem ist es ja nicht auszuschließen, dass Menschen auch hier Gewalt- oder Diskriminierungserfahrungen machen.

Dafür ist dann ein Awareness-Team da. Um solche Vorfälle aufzufangen, eine psychosoziale Betreuung zu ermöglichen und um eine Anlaufstelle zu sein. Sie kümmern sich aber auch um Menschen, die sich körperlich unwohl fühlen, aber nicht zu der Unfallhilfe oder Polizei möchten. Das Konzept hierzu hatten wir schon für 2020 vorgesehen – da fand ja dann kein Karneval statt.

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Berlins neuer Kultursenator Joe Chialo (CDU) hat kürzlich auf einer Pressekonferenz nochmals die Wichtigkeit des Karnevals bekräftigt. Schlägt sich das auch in mehr Geld nieder?

Dazu hat er auf dieser Pressekonferenz auch gesagt, dass die Haushaltsverhandlungen gerade laufen. Außerdem ist die neue Regierung ja erst sehr kurz im Amt. Da können wir – ohne einen Vorwurf zu machen – anerkennen, dass es derzeit nicht möglich ist für ihn, Zahlen zu nennen.

Wir wissen aber, dass im Koalitionsvertrag von CDU und SPD steht, dass der Karneval der Kulturen als wichtig erachtet wird für Berlin und er auch in seiner Standortpräferenz unterstützt werden soll. Für den Karneval ist wichtig, dass er nicht verdrängt wird aus der Innenstadt.

Am Sonntag berichten live von der Veranstaltung das rbb-Fernsehen (13:25 - 16:25 Uhr) sowie Radioeins (ab 12:00 Uhr).

Sendung: rbb 88.8, 28.05.2023, 06:00 Uhr

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