Rammstein-Konzert in München - Bei der Zeile "Ich will, dass ihr mir vertraut" lacht Lindemann kurz
Till Lindemann, Frontmann der Berliner Band Rammstein, wird beschuldigt, sexuelle Gewalt gegen Frauen ausgeübt zu haben. Von den Auswirkungen ist beim ersten Deutschland-Konzert nicht viel zu spüren - Band und Fans bilden eine verschworene Einheit. Von Maximilian Ulrich
Und dann ruft jemand "Arbeit macht frei", diese menschenverachtende SS-Parole, die am Eingang vieler Konzentrationslager prangt.
Eine Gruppe von 30 Aktivist:innen protestiert an diesem Mittwoch gegen das Rammstein-Konzert vor dem Münchener Olympiastadion: "Ja heißt Ja und Nein heißt Nein." "Geht’s arbeiten!", ruft ihnen ein Mann mit bayrischem Akzent in Lederhosen und Rammstein-Shirt entgegen. "Genau!", brüllt ein anderer. Applaus und Gejohle. Als dann schließlich der Ruf "Arbeit macht frei" fällt, steht keiner auf. Kein Wort des Widerspruchs. Die Menge der Fans zieht stumm Richtung Eingang. Auch als nach dem Konzert ein ZDF-Reporter mit "Lügenpresse"-Rufen beschimpft wird, schreitet kein Fan ein.
"Manche führen. Manche folgen" - das ist das meistgetragene Band-Shirt auf diesem Konzert in München. Tatsächlich geht es gerade auch um die Frage: Wie weit folgt man seinen Idolen?
"Ich glaube, die meisten, die mitgehen, die wollen das auch"
Rammstein-Sänger Till Lindemann wird von mehreren Frauen Machtmissbrauch vorgeworfen. Es geht um ein Casting-System, das dem Sänger bei Konzerten Frauen für Sex zugespielt haben soll. Der Sex soll teilweise brutal und unter Drogeneinfluss stattgefunden haben. Einige der Frauen sagen, sie hätten sich unter Druck gesetzt gefühlt. Die Band bestreitet die Vorwürfe. Und die Fans stehen Rammstein bei.
"Die Frauen sind freiwillig mitgegangen und wenn man da mitgeht, dann weiß man, was kommt. Ich meine auf einer Backstage-Party wird nun mal nicht Halma gespielt", sagt Rammstein-Fan Gabi. "Ich glaube die meisten, die da mitgehen, die wollen das auch."
Erst einmal abwarten, ob die Vorwürfe stimmen - das ist an diesem Abend der Grundtenor bei vielen Fans. Und wenn die Vorwürfe stimmen? Phillip wäre weiterhin Fan. "Definitiv: Ja", sagt er. Sollte Lindemann ein Vergewaltiger sein, müsse man die Persönlichkeit von der Musik differenzieren, sagt er. Sollte sich die Band dann einen neuen Sänger suchen? "Nein." Phillip lacht. "Mal Hand aufs Herz, das funktioniert nicht. So einer kommt nicht nochmal."
Kathrin: "Ich glaube den Frauen das schon"
Maria aus Luckau ist schon lange Fan, geht seit den 1990er Jahren mit Freunden und ihrer Familie zu Rammstein-Konzerten. "Die haben damals noch bei uns im Nachbardorf gespielt." Für sie sei ein Konzert der Band wie ein Familienfest, sagt sie - und fügt hinzu: "Wenn die Vorwürfe stimmen, würde ich auf der Seite der Frauen stehen."
Nur jetzt gerade, in diesem Moment, wisse man das einfach noch nicht. Ihre Freundin Kathrin sagt, sie habe sich alle Videos und Artikel rund um die Vorwürfe angeschaut. "Zuerst dachte ich, das sind Fake-News. Aber mittlerweile bin ich mir unsicher. Ich glaube den Frauen das schon." Trotzdem ist sie heute hier. Die Freude, die Band live zu sehen, überwiege einfach.
Lena bleibt mit ihrer Konzertkarte zu Hause
Wer an diesem Abend nicht ins Olympiastadion München gekommen ist: Lena, obwohl sie ein Ticket hat. "Ich finde es wichtig, dass man Opfern sexualisierter Gewalt glaubt", sagt Lena in einer Sprachnachricht. "Ich möchte mich auch von den anderen Fans abgrenzen, die momentan betroffene Frauen im Internet mit übelsten Hasskommentaren überschütten. Mit diesen anderen Fans möchte ich mich nicht mehr gemeinsam für gute Plätze anstellen."
Wie viele so denken wie Lena, ist unklar. Das Münchener Olympiastadion bekommt Rammstein trotz der Vorwürfe an diesem Abend voll.
Zwei Stunden Musik, aber kein Statement von Lindemann
Und das Konzert? Zwei Stunden lang macht die Band Musik und eine Menge Lärm. Feuerbälle, Böller-Schläge, Konfetti-Regen zu stählerner Rockmusik: Es ist ein Spektakel - eines, das nur Rammstein beherrscht.
Nur die Penis-Kanone, auf der Till Lindemann sonst reitet, fehlt an diesem Abend. Und was noch fehlt: Ein Statement von Till Lindemann. Kein Wort zu den Vorwürfen. Nur bei der Zeile "Ich will, dass ihr mir vertraut. Ich will, dass ihr mir glaubt" lacht Lindemann kurz. Warum, bleibt sein Geheimnis.
Und dann kommt der Song "Deutschland". Ein DJ spielt ein fünfminütiges Intro. Die Band ist nicht auf der Bühne. In den Vorwürfen gegen Till Lindemann berichten mehrere Frauen, dass Lindemann sich in genau solchen kurzen Pausen unter der Bühne sexuell habe befriedigen lassen, es sei ein festes Ritual gewesen.
Als das Intro durch ist, kommt die Band zurück auf die Bühne, das Publikum singt frenetisch mit. "Deutschland" schallt es aus 60.000 Kehlen durch das Münchener Olympiastadion. Vielleicht eine Solidaritätsbekundung mit Lindemann?
Einige Songs sind angesichts der Vorwürfe schlicht absurd
"Deutschland", "links, zwo drei vier", "ein Mensch brennt" - es sind solche martialischen Lyrics gemischt mit Leni-Riefenstahl-Ästhetik, die Rammstein seit jeher Kritik einbringen.
Doch bisher hatte dieses Spiel einen doppelten Boden. Rammstein brach bewusst Tabus. Schönheitswahn, Dekadenz, Hypersexualisierung, Nationalismus - der Band gelang es oft, den Finger schmerzhaft in Wunden zu bohren, ohne sich selbst dabei zu ernst zu nehmen.
Doch dieser doppelte Boden ist bei diesem Konzert weg. Zeilen wie "Bestrafe mich", "Ich reiß der Puppe den Kopf ab", "Du riechst so gut" und "Fremde Länder, fremde Zungen" wirken absurd angesichts der Vorwürfe um sexualisierte Gewalt.
Doch, auch das wird an diesem Abend klar, das Publikum im Stadion liegt Lindemann textsicher zu Füßen. #Istandwithrammstein ist der Hashtag, unter dem Fans im Internet ihren Sänger in den letzten Tagen gegen die Vorwürfe in Schutz nahmen. In München zumindest steht das gesamte Stadion hinter Lindemann - und die Band wird hier noch dreimal spielen.
"München! Danke, dass ihr hier seid, und dass ihr bei uns seid", verabschiedet sich Lindemann am Ende.
"Man kann führen, man kann folgen." Man kann auch einfach auf andere Konzerte gehen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 08.06.2023, 08:55 Uhr