Gebühren steigen - Tierhalter müssen mit deutlich höheren Tierarztkosten rechnen

Wer mit seinem Hund zum Tierarzt geht, muss ab Herbst deutlich mehr für die Behandlung zahlen. Ab Ende November greift eine neue Gebührenordnung. Die Berliner Tierärztin Sarah Watson dürfte dadurch wohl trotzdem nicht reich werden. Von Anna Bordel
Zunächst ist noch ein aufgeregtes Miauen zu hören, dann steigt ein großer dunkelgrauer Kater geschmeidig aus dem Rucksack auf den Behandlungstisch der Tierarztpraxis. Mit seinen orangen Augen schaut er um sich, aber auf Streifzug gehen kann er nicht, denn zwei Hände halten ihn direkt fest. Krank sieht der Britisch-Kurzhaar Kater Robi nicht aus, und das ist er auch nicht: Seine Halterin bringt ihn bloß zu einer Routineuntersuchung bei Tierärztin Sarah Watson in der Emser Straße in Berlin-Neukölln vorbei. Diese tastet ihn ab, kontrolliert die Zähne, horcht den Atem ab und prüft seinen Impfpass.

Fast 24 Euro statt 13 für einen Hund
Anders als ein Kind beim Kinderarzt bekommt Robi seine Belohnung von der Ärztin schon vor dem Pieks auf den Behandlungstisch gelegt, dann wird er von der Helferin noch etwas fester fixiert, bekommt eine Spritze und verschwindet dann direkt wieder im Rucksack. Robi war brav, die Untersuchung inklusive Impfung dauerte etwa 15 Minuten, Wurmkur gibt es noch mit auf den Weg - Kostenpunkt 43 Euro. Bald aber könnte Robis Halterin das Doppelte oder sogar das Drei- oder Vierfache für die gleiche Behandlung zahlen.
Am 22. August ist die neu überarbeitete Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden. Es ist die erste umfangreiche GOT-Überarbeitung seit 1999.
Ab dem 22. November sind demnach erhöhte Sätze gültig. Eine "allgemeine Untersuchung mit Beratung" wird laut der Gebührenordnung für Hunde um 75 Prozent teurer, für Katzen um ganze 163 Prozent. Für beide Tiere liegt Betrag dann bei 23,62 Euro - statt vorher 13,47 Euro für Hunde und 8,98 Euro für Katzen. Damit kommen auf die Halter:innen deutlich höhere Kosten zu. Und das sind einige: Allein in Berlin leben rund 162.300 Hunde und laut Tierärztin Watson noch mehr Katzen.
Tierarzt kann allgemeinen Satz mehrfach berechnen
Und je schwieriger der Fall, umso teurer kann es werden. Tierärzt:innen können die Gebühren bereits jetzt ein- bis dreifach verrechnen. Laut GOT können Tierärzte:innen den Satz im eigenen Ermessen berechnen abhängig von "der Schwierigkeit der Leistung, des Zeitaufwandes, des Zeitpunktes des Erbringens der Leistungen, des Wertes des Tieres und der örtlichen Verhältnisse". Demnach könnte es beispielsweise - wegen des Handelswerts des Tieres - drei Mal mehr kosten einen afghanischen Windhund untersuchen zu lassen als einen rumänischen Straßenmixpinscher. Eine Tierarztpraxis am Kurfürstendamm könnte mehr verlangen als Tierärztin Watson in Neukölln.
Wird also der höhere Gebührensatz mehrfach berechnet, könnte die Rechnung also sogar 47,24 Euro oder 70,86 Euro betragen - im Notdienst sogar das Vierfache also 94,48 Euro.
Tierarztpraxen oft aufwändig ausgestattet
Für Tierärztin Watson selbst ist es nicht immer leicht, die Kosten niedrig zu halten, wie sie sagt. Tierarztpraxen müssen häufig besser ausgestattet sein als eine Praxis für Allgemeinmedizin für Menschen. "Sie haben eine Apotheke mit vielen Medikamenten. Ein Tierarzt hat in der Regel einen OP. Die meisten haben ein Röntgengerät. Das sind einfach hohe Kostenfaktoren", so Roger Battenfeld, Geschäftsführer der Tierärztekammer Berlin. Er findet die Gebührenerhöhung daher längst überfällig.
Auch Sarah Watsons Praxis ist entsprechend ausgestattet: Ein digitales Röntgengerät, ein Operationsraum und sogar ein hausinternes Labor sind in den schlicht eingerichteten Praxisräumen vorhanden. Tierärzte könnten außerdem meist nicht ohne medizinisch-technische Fachangestellte arbeiten, denn jemand müsse das Tier bei der Behandlung festhalten, sagt Battenfeld. "Das können Sie nicht den Besitzer machen lassen. Viele sagen: 'Das Tier tut nichts.' Aber das ist dann doch häufig anders."
Watson hat Glück mit ihrem Team. Ihre zwei Helferinnen sind seit ihrer Übernahme der Praxis vor mehr als zehn Jahren dabei. Außerdem arbeiten bei ihr noch drei weitere Tierärzte und zwei Auszubildende mit. Ihr ist bewusst, dass die Lebensunterhaltungskosten derzeit stark steigen; ihr Personal hat sie daher bereits um eine Gehaltserhöhung gebeten. "Ich zahle bereits mehr als der Tarif fordert, und eine jährliche Gehaltserhöhung halte ich ohnehin für selbstverständlich", sagt Watson. Doch auch die eigenen Kosten steigen: Die Miete habe zu Beginn unter 1.000 Euro gelegen, so Watson - mittlerweile zahle sie mehr als das Doppelte.
Nicht alle Tierhalter zahlen ihre Rechnungen
In Watsons Wartezimmer geht es derweil lebhaft zu: Ein Nackthund zieht sein Frauchen etwas hektisch hin und her, ein großer Windhund mit Maulkorb hat gleich zwei Begleiterinnen, eine andere Frau braucht Hilfe mit der Tür, um ihren kleinen schwarzen Hund behutsam in die Praxis zu führen.
Nicht nur die Kosten für die technische Ausstattung und das Personal muss die Tierärztin berücksichtigen - ein Knackpunkt sind auch die Kunden, die zu ihr kommen. "Es kommen immer wieder Leute, die haben wenig Geld, oder die geben ihr Geld für was anderes aus. Dann bin ich trotzdem verpflichtet zu helfen, und ich helfe auch gerne", sagt Watson. Dennoch ist sie manchmal enttäuscht über die mangelnde Wertschätzung, die ihr manche Tierhalter:innen entgegenbringen. "Auch wenn wir uns nur über ein Tier unterhalten, vermitteln wir dabei ja Fachwissen. Viele meinen trotzdem, das wäre umsonst." Und: 10.000 Euro offene Rechnungsbeträge haben sich mittlerweile angestaut.
Dass sich die Sätze jetzt erhöhen, findet Watson angemessen. Inwiefern das eine Auswirkung auf ihre Praxis haben wird, kann sie noch nicht eindeutig sagen. "Ich glaube nicht, dass Menschen wegen der erhöhten Gebühren seltener kommen", sagt sie, fürchtet aber auch: "Viele hoffen dann einfach, dass man Ihnen auch für weniger Geld hilft." Das tue sie zwar jetzt auch schon häufiger - zum Beispiel nur ein Röntgenbild abzurechnen, anstatt zwei. "Tierärzte sollten einfach genau die Leistungen abrechnen, die sie auch tun" - und wenn sie das sagt, dann klingt das auch wie ein Vorsatz für sich selbst.
Versicherung für Tierarztbehandlung möglich
In anderen Ländern mit ähnlichem Wohlstandsniveau wie in Deutschland sind Tierarztkosten erheblich teurer, betont Battenfeld von der Tierärztekammer, und erklärt: "Es ist keine staatliche Aufgabe genauso für Tiere zu sorgen, wie für Menschen. Daher kann es für das Individuum auch nicht unter allen Umständen das Recht geben, sich ein Tier zu halten."
Rund die Hälfte der Kundschaft in der Tierarztpraxis Watson kommt aus Ländern aus der ganzen Welt. "Viele von ihnen haben eine höhere Akzeptanz für die Gebühren", schildert die Ärztin ihre Erfahrung. "Ich hatte schon mal eine New Yorkerin, deren Hund eine lockere Kniescheibe hatte. Als ich ihr den Preis für die OP nannte, sagte sie, es lohne sich finanziell, von New York hierher zu fliegen, den Hund operieren zu lassen und dann wieder zurückzufliegen".
Menschen mit weniger Geld, empfiehlt Watson, eine Tierkrankenversicherung abzuschließen. Dann sei man im Falle einer teuren OP auf der sicheren Seite.
Und: Ein gutes Auskommen von Tierärzten sollte auch im Interesse der Tierhalter:innen sein. Wie Battenfeld von der Tierärztekammer sagt, würden sich viele Tierarztabsolvent:innen inzwischen nicht mehr für den Weg in die Praxis entscheiden, weil der Verdienst anderswo einfach besser sei. "Die arbeiten in Behörden, in der Industrie oder an Instituten als Wissenschaftler. Da ist natürlich die Bezahlung besser und sie müssen auch nicht an Wochenenden oder nachts arbeiten." In Berlin sei die Abdeckung der Bezirke durch Tierärzte noch ausreichend, in anderen Bundesländern mit vielen Nutztieren und größerer Fläche sei es bereits schwieriger.
Sendung: Schön&Gut, 30.08.2022, 15:56 Uhr