Berliner Landgericht - 46-Jähriger soll Millionen Euro mit Corona-Testzentren ergaunert haben

Mo 15.08.22 | 18:17 Uhr
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Ein Corona-Test wird gemacht.(Quelle:dpa/K.Hofmann)
Bild: dpa/K.Hofmann

Mit 18 Testzentren soll ein 46-jähriger Hauptangeklagter Millionär geworden sein, unter Mithilfe seiner ebenfalls angeklagten Schwester. Jetzt wird beiden im Berliner Landgericht der Prozess gemacht. Von Ulf Morling

Vor dem Berliner Landgericht hat am Donnerstag der Prozess gegen einen 46-Jährigen und seine Schwester begonnen, die in großem Umfang mit Corona-Testzentren betrogen haben sollen.

Insgesamt 9,7 Millionen Euro soll der Hauptangeklagte Kemal C. (46) beiseitegeschafft haben, als er über einen Zeitraum von zehn Monaten insgesamt 18 Corona-Testzentren in ganz Berlin betrieb. Seine mitangeklagte 44-jährige Schwester soll ihre Konten zur Verfügung gestellt und kriminelles Geld für ihren Bruder abgehoben haben. Sie ist wegen Beihilfe mitangeklagt.

Da der Angeklagte seine Unschuld beteuert und seine Schwester schweigt, muss der millionenschwere Betrug in insgesamt 14 Verhandlungstagen bis Ende Oktober überprüft werden.

Mehr als sechs Millionen Euro flossen in die Türkei

Unscheinbar sitzt Kemal C. hinter dem Panzerglas im Saal 700 des Kriminalgerichts Moabit. Laut Staatsanwaltschaft wurden seine 18 Corona-Testzentren, die manchmal auch in einem Späti untergebracht waren, von der Gesundheitsverwaltung genehmigt. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) gilt als Geschädigte, denn sie hatte die Abrechnung der Testzentren, die mutmaßlich vom Angeklagten betrieben wurden, zu prüfen und entsprechend Geld auszuzahlen.

Über 6,5 Millionen Euro des betrügerisch erlangten Geldes soll in die Türkei geflossen sein, mutmaßlich zum Vater der beiden Angeklagten. "Die KV ist in dem Fall insbesondere von der Polizei darauf hingewiesen worden, dass da etwas im Argen liegen könnte", sagte Oberstaatsanwalt Thomas Gritscher dem rbb. Es habe Hinweise gegeben, dass betrügerisch die Coronatests vom Angeklagten abgerechnet würden.

Allerdings habe die KV in einem Konflikt gesteckt: Zum einen habe sie den Angeklagten und seine Testzentren kontrollieren müssen, aber andererseits sei sie gesetzlich verpflichtet, in Rechnung gestellte Tests zu bezahlen. Leider sei die KV "aus meinem Verständnis keine Organisation, die auf eine solche Prüftätigkeit in irgendeiner Weise vorbereitet war", sagt Oberstaatsanwalt Gritscher.

Aliasnamen und Mittäter

Insgesamt fünf Beteiligte machten die Ermittler bei dem mutmaßlich millionenschweren Betrug aus: die beiden Angeklagten und drei weitere Männer, von denen die Ermittler ursprünglich angenommen hatten, dass es sie überhaupt nicht gab. "Im Laufe der Ermittlungen sind wir anderen Sinnes geworden", sagt Gritscher. Zwei der drei mutmaßlichen Mittäter seien nach Bulgarien geflüchtet, der fünfte, Ivan I., sei möglicherweise eine "Fake-Personalie", aber in der Hauptverhandlung könne man auch diesbezüglich vielleicht noch eine Überraschung erleben. Trotzdem hatte die KV auch in diesem Fall Rechnungen über angeblich durchgeführte Coronatests beglichen.

Als im Lauf der Monate immer neue Namen als Empfänger der Zahlungen der Coronatestgelder auftauchten, hatte die KV nur noch Teilbeträge für die angeblich durchgeführten Tests überwiesen. Die die Untersuchungen leitende Kriminalbeamtin hatte im Laufe der Ermittlungen dann einige Angestellte der Spätis vernommen, um zu erfahren, ob dort wirklich Kunden getestet wurden. Manche hätten berichtet, dass sie nichts davon bemerkt hatten, andere sagten wohl aus, manchmal "einen beim Coronatesten gesehen" zu haben. Die Staatsanwaltschaft sei jedenfalls der Überzeugung, "dass der Testcenterbetrieb nicht wie behauptet stattgefunden hat", so Gritscher.

"Versagen des Staates"

Verteidiger Thomas Baumeier vertritt im Prozess den Hauptangeklagten, dem 67 Fälle des schweren Betruges vorgeworfen werden. Kemal C. sei unschuldig, so Baumeier, aber "der Staat hat in ganz erheblicher Weise versagt", sagt er gegenüber dem rbb. Der Staat habe seine Kontroll- und Überwachungsfunktion in eklatanter Weise verletzt, völlig unabhängig davon, ob sein Mandant schuldig sei oder nicht.

Ohne das Versagen des Staates seien derartige Betrugshandlungen überhaupt nicht möglich gewesen, z.B. sei kein Führungszeugnis verlangt worden, bevor Testzentren zertifiziert worden seien. Sie seien später auch nicht kontrolliert worden. "Das ist dasselbe, als wenn jemand auf der Straße Geld wegwirft und sich dann beschwert und eine Sanktionierung verlangt, wenn jemand es aufhebt!"

Im Laufe des "sehr umfänglichen Verfahrens" wolle man beweisen, dass sein Mandant weitestgehend unschuldig sei, "weil er keinen Betrug begangen hat", so der Verteidiger. Unter seinem Namen und in seiner Verantwortung habe Kemal C. lediglich zwei Testzentren betrieben, ab Februar 2022 nur noch eins.

Bis Ende Oktober soll geklärt werden, ob die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft beweisbar sind und wie hoch der wirkliche Schaden ist.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15. August 2022, 17:25 Uhr

18 Kommentare

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  1. 18.

    Ihr Gerechtigkeitssinn ehrt Sie, aber das meiste ist wie im Artikel beschrieben, im Ausland. Und natürlich dort, wo der deutschen Justiz die Hände gebunden sind. Und der Schuldturm, in dem man solange sitzt, bis die Schulden abbezahlt sind, ist nun mal Vergangenheit. Also wird er seine 3-4 Jährchen absitzen,wegen guter Führung weniger, und als Millionär danach sein Leben genießen. Vielleicht baut er dann unseren kompetenten Politikern in seiner Heimat ein Denkmal, als Dank für die Kompetenz.

  2. 17.

    Wo , wenn nicht in Berlin wäre das möglich???
    Wir schaffen das ....... fragt doch mal die Berliner nach ihrer Meinung, ohne Maulkorb.

  3. 16.

    Wenn man den Menschen eine tolle Geldquelle ohne Kontrolle und ohne viel Arbeit anbietet, darf man nicht erwarten, dass sich nur ehrliche Mitmenschen darum bemühen!
    Ich stelle auch kein Auto mit offenen Türen und Zündschlüssel über Nacht auf einen Parkplatz!

  4. 15.

    Was für ein Anwalt. Ist dann auch ein Dieb "unschuldig", der 10.000 Euro aus einem Haus klaut, weil die Tür nicht abgeschlossen war und niemand zuhause?

  5. 14.

    Melden sie sich bei Herrn Spahn, der es angewiesen hat, dass man nicht nicht vollumfänglich prüft, bevor das Geld ausgezahlt wird.
    Ist ja auch nicht sein Geld, nur das der Steuerzahler.

  6. 13.

    SOFORT alle Konten dieses Herrm sperren, das noch vorhandene Geld wieder der Staatskasse zuführen und für das nicht mehr vorhandene Geld sollte ein Gericht ihn verurteilen, dass er es auf HELLER und PFENNIG zurückzuzahlen hat.

  7. 12.

    Auch wenn der Angeklagte eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren erhält hat es sich für ihn gelohnt. Das Geld in Immobilien angelegt, er hat ausgesorgt. Bei Spiegel gab es einen interessanten Beitrag zu der Rolle der KV bei den Zahlungen. Diese Vereinigung hat die größte Mitschuld und auch da sollte es personelle Konsequenzen geben aber nichts passiert. Schlimmer als beim RBB

  8. 11.

    Die Überschrift behauptet, der Betrüger sei weiterhin Millionär. Ist das so? Er geht eine Weile in den Knast, das hat sich aber gelohnt weil ihm die deutsche Justiz die bereits in die Türkei geschickt Beute nicht wieder abnehmen kann?

  9. 10.

    Die KV habe in einem Konflikt gesteckt..... Ist ja lachhaft. Habe 30 Jahre als niedergelassener Arzt in eigener Praxis gearbeitet. Jede Tätigkeit in Praxis wurde von KV überprüft (z. B Wieviel Stunden /Tag in Praxis gearbeitet wurde) etc. Und doch wurde dort trotz Hinweisen der Polizei nichts an der Auszahlung überprüft?. Und dann noch:die Geschädigte ist die KV. Die KV wird von den niedergelassenen Ärzten bezahlt

  10. 9.

    Der Strafverteidiger macht sicher (s)einen guten Job, liegt aber m.E. schief mit seinem Bild des vom Staat ja quasi der Unterwelt zum Aufklauben hingeworfenen Geldes, dass diese dann ja auch ungestraft an sich nehmen dürfe. Mein Staatsverständnis ist da ein anderes und ich hoffe, dass ich damit richtig liege. Natürlich liegt möglicherweise auch Verwaltungsversagen und auch Organisationsverschulden vor, aber: sich an den Kosten der Pandemiebekämpfung ungerechtfertigt mutmaßlich zu bereichern wäre moralisch tiefststehend und müsste abschreckend hart bestraft werden. Möge die Rechtsfindung hier gut arbeiten.

  11. 8.

    Und da behaupten immer noch einige, für Steuersenkungen sei kein Geld da.
    Sowas passiert, wenn Politiker zu viel Steuern von uns bekommen.

  12. 7.

    Unbegreiflich!
    Wie kann man innerhalb von 10 Monaten die KV um ca. 10 Millionen betrügen?
    Da ist wohl was am System falsch!
    Wenn ich meiner KK 10 Euro schulde, stehen die aber sofort bei mir auf dem Parkett.
    Aufklärung, wer hier versagt hat, steht unbedingt im Vordergrund und diese zur Verantwortung ziehen.

  13. 6.

    Das wurde diesen Typen doch sehr leicht gemacht.

  14. 5.

    So entsteht "Unmut" gegen "andere Personen"

  15. 4.

    Einfacher hätte kaum Geld gemacht werden können.
    "Ohne das Versagen des Staates seien derartige Betrugshandlungen überhaupt nicht möglich gewesen"
    Der Staat, Beamte, Justiz finden leider zu viel Schlupflöscher erst wenn es zu spät ist.
    Ein Hoch auf die (meist hochbezahlten externen) Berater.

  16. 3.

    Es ist den Betrügern ja auch sehr leicht gemacht worden wenn es kaum Kontrollen gab und immer noch nicht gibt.

  17. 2.

    Der Hauptangeklagte und seine Schwester sollten sich in Grund und Boden schämen, wenn auch nur ein Bruchteil dessen zutrifft, was hier angeklagt ist. Sich an der Covid 19- Pandemie eine goldene Nase zu verdienen, ist unerträglich. Die Begründung des Anwalts ist das Letzte. Nur weil das Handeln des Angeklagten nicht von staatlichen Behörden überwacht und kontrolliert wurde, ist der Betrug, legal und völlig i.O. ??? Ich hoffe der Betrug wird hart bestraft und die Millionen sind zurückzuerstatten.

  18. 1.

    Der Vergleich des Verteidigers mit dem weggeworfenen Geld ist zwar etwas schief aber eine Einladung zur Selbstbedienung an Kriminelle war das schon. Und dafür sollten auch die Verantwortlichen auf staatlicher Seite zur Rechenschaft gezogen werden.

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