Kommentar | Vernau zur Interims-Intendantin gewählt - Notoperation ohne Not

Do 08.09.22 | 08:44 Uhr
Symbolbild: Bei der RBB-Rundfunkratssitzung steht auf an einem Sitzplatz das RBB-Logo an einem Mikrofon. (Quelle: dpa/C. Gateau)
Audio: Inforadio | 07.09.22 | Jörg Wagner | Bild: dpa/C. Gateau

Der rbb hat seit Mittwochabend eine neue Intendantin. Katrin Vernau wurde im zweiten Wahlgang gewählt. Auch wenn sie maximal ein Jahr bleiben kann: Das Verfahren verlangt der Belegschaft und der Öffentlichkeit einen hohen Vertrauensvorschuss ab kommentiert Jörg Wagner.

16 Tage nach der "vorsorglichen außerordentlichen fristlosen Kündigung" der rbb-Intendantin Patricia Schlesinger durch den Verwaltungsrat ist die Führungsspitze des Rundfunks Berlin- Brandenburg wieder besetzt.

Die geborene Baden-Württembergerin Dr. Katrin Vernau wurde durch eine vierköpfige Findungskommission ohne Ausschreibung im Westdeutschen Rundfunk entdeckt. Seit sieben Jahren trägt sie dort als Verwaltungsdirektorin Verantwortung für die finanziellen Budgets, die etwa dreimal so stark sind wie im rbb.

Keine echte Auswahl - und niemand aus der Region

Warum sich niemand in Berlin und Brandenburg finden ließ, wurde nicht bekannt. Warum der Rundfunkrat nur die Wahl hatte, den Vorschlag anzunehmen oder abzulehnen, drang nicht aus dem hinter verschlossenen Türen tagendem Rundfunkrat. Überhaupt wurde der Name der Kandidatin wie ein Staatsgeheimnis geschützt, bis er dann doch kurz vor der Wahl den Weg in die Presse fand.

Das alles muss vielleicht nichts zu bedeuten haben. Die neue Intendantin könnte die richtige Person für die richtige Aufgabe sein. Möglicherweise war der Zeitdruck, den die Potsdamer Staatskanzlei als Rechtsaufsicht für die Übergangslösung ohne Beispiel in der 72-jährigen ARD-Geschichte aufgebaut hatte, hilfreich.

Könnte. Vielleicht. Möglicherweise.

Das Misstrauen bleibt

Etwas viel Vertrauensvorschuss, der der Öffentlichkeit, dem zahlenden rbb-Publikum und der Belegschaft abgerungen wird. Da hilft auch nicht der auf maximal ein Jahr befristete Vertrag. Das Verfahren muss man als Notoperation ohne Not bezeichnen.

Zwar hatte der geschäftsführende Intendant und rbb-Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus kürzlich beim Jahresabschluss 2021 der rbb-Werbetochter deutlich gemacht, dass er hierfür nicht die nötige Kompetenz besitzt. Er hatte teilweise auch keinen Rückhalt mehr in der Belegschaft als Vertreter des Systems Schlesinger, der alten Intendantin. Doch seine eigene selbstkritische Haltung half, die nötige Zeit zu gewinnen für eine stressfreie und besonnene Suche nach einer neuen Senderspitze.

Diese Vorlage wurde verspielt. Dem Neuanfang fehlt somit die Strahlkraft. Misstrauen bleibt weiterhin ein Begleiter in der rbb-Krise.

Jörg Wagner moderiert samstags um 18:00 Uhr das "Medienmagazin" auf Radioeins.

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.09.22, 06:20 Uhr

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