Prozess um rechtsextreme Gewalttaten - Gericht hört erste Zeugen zu Brandanschlägen in Berlin-Neukölln

Mo 24.10.22 | 18:38 Uhr
Der Angeklagte Tilo P. und Sebastian T. am 23.12.2020. (Quelle: imago images/Olaf Wagner)
Audio: rbb24 Inforadio | 24.10.2022 | Bild: imago images/Olaf Wagner

Jahrelang gab es in Berlin-Neukölln Drohungen und Brandanschläge auf Autos. Die beiden Angeklagten wollten Menschen einschüchtern, die sich gegen Rechts engagierten, so die Anklage. Am Montag sagten zwei Betroffene im Prozess aus.

Im Prozess nach einer Serie rechtsextremer Straftaten in Berlin-Neukölln haben am Montag erste Zeugen zu Anschlägen auf Autos ausgesagt. Beide beschrieben vor dem Amtsgericht Tiergarten, dass sie seitdem vorsichtiger und wachsamer seien.

"Ich hätte mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass rechte Kräfte so vorgehen", sagte der Buchhändler Heinz Jürgen Ostermann. Der Linken-Politiker Ferat Kocak berichtete, er leide bis heute unter Angstzuständen und Schlafstörungen. "Der Anschlag ist immer präsent", sagte Kocak.

"Meine Eltern hätten sterben können, weil ich mich politisch engagiert hatte", so Kocak weiter. Sein Auto, dass die Täter beim Anschlag in Brand gesetzt hatten, stand in einem Carport direkt neben dem Haus der Familie, in dem nach Kocaks Angaben seine Eltern zum Tatzeitpunkt schliefen. Kocak ist auch Nebenkläger in dem Verfahren.

Generalstaatsanwaltschaft: Angeklagte wollten Menschen einschüchtern

Den 36 und 39 Jahre alten Hauptverdächtigen, die der rechtsextremen Szene zugeordnet werden, wirft die Anklage unter anderem Bedrohung, Brandstiftung beziehungsweise Beihilfe dazu sowie Sachbeschädigung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor.

In der Nacht des 1. Februar 2018 sollen sie - möglicherweise unter Beteiligung weiterer, unbekannter Menschen - im Bezirk Neukölln die Autos der Zeugen angezündet haben. Zudem sollen die Angeklagten bei verschiedenen Gelegenheiten vor allem im Jahr 2017 Plakate und Aufkleber mit rechtsextremen Parolen geklebt haben. Ziel nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft: Das Duo wollte Menschen einschüchtern, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.

Ursprünglich war der Prozess gegen fünf Beschuldigte geplant. Das Verfahren gegen einen Mitangeklagten war jedoch kürzlich abgetrennt worden. Am vergangenen Mittwoch wurde der 38-Jährige wegen Sachbeschädigung in neun Fällen zu einer Geldstrafe von 4.500 Euro verurteilt. Bereits zu einem früheren Zeitpunkt war wegen Krankheit das Verfahren gegen einen anderen Beschuldigten abgetrennt worden. Gegen einen weiteren Mann war wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen eine Strafe von 900 Euro (60 Tagessätze zu je 15 Euro) per Strafbefehl ergangen. Dagegen legte er jedoch Einspruch ein.

"Ihr seid feige. Ihr seid heimtückisch."

"Ich bin dadurch eher politischer geworden", sagte Buchhändler Ostermann am siebten Prozesstag vor Gericht. Ihm waren zwei Autos angezündet worden, in seinem Geschäft war eine Scheibe eingeschlagen worden. Im Prozess geht es jedoch nur um den Brandanschlag auf sein Auto im Februar 2018. Danach habe er die Initiative "Gemeinsam für Respekt und Vielfalt" gegründet, schilderte Ostermann. Bevor er nach seiner Aussage den Gerichtssaal verließ, sagte er in Richtung der Angeklagten: "Ihr seid nicht deutsch. Ihr seid feige. Ihr seid heimtückisch."

Der Linken-Politiker Kocak, seit 2021 Mitglied des Abgeordnetenhauses, berichtete, wie er in der Nacht zum 1. Februar 2018 durch den hellen Lichtschein der Flammen wach wurde. Sein Auto stand in einem Carport direkt neben dem Haus der Familie, zu dem Zeitpunkt schliefen auch Kocaks Eltern dort. Nach Kocaks Angaben hatten die Flammen bereits eine Hauswand angegriffen. Er habe diese mit einem Feuerlöscher löschen können, schilderte er. Auch wenn der Brand rechtzeitig gelöscht worden sei, verfolge ihn das Erlebte bis heute. Er sei in psychologischer Hilfe.

Sonderermittler: Justiz hat Seriencharakter zu spät erkannt

Jahrelang gab es im Süden Neuköllns eine Serie von rechtsextremen Drohungen und Hakenkreuz-Schmierereien sowie einige Brandanschläge, die sich vor allem gegen linke Vereine und politisch links engagierte Menschen richteten. Zwei Sonderermittler hatten 2021 festgestellt, die Justiz habe den Seriencharakter der Taten zu spät erkannt und die Staatsanwaltschaft habe ihre Ermittlungen zu früh eingestellt.

Mit den rechtsextremen Brandanschlägen, Hass-Parolen und Bedrohungen in Neukölln beschäftigt sich auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhaus, dem unter anderen auch Linke-Politiker Kocak angehört. Der Untersuchungsausschuss will klären, ob es bei den jahrelangen Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft Fehler und Pannen gab.

Kocaks Anwältin will Überwachungsunterlagen des Verfassungsschutzes beiziehen lassen

Kocaks Doppelrolle als Nebenkläger und Zeuge im aktuellen Prozess und stellvertretendes Mitglied im Untersuchungsausschuss, löste bereits Diskussionen aus. Am Rande des ersten Prozesstages hatte Kocak deshalb betont, er sei sich dessen bewusst. "Ich werde die Dinge unterscheiden", sagte er.

Im aktuellen Prozess hat Kocaks Anwältin Franziska Nedelmann unterdessen beantragt, die Aufzeichnungen und Unterlagen zu Überwachungen des Verfassungsschutzes beizuziehen. Man wisse bis heute nicht, von wann bis wann wer observiert worden sei und welche Erkenntnisse daraus gewonnen worden seien, sagte sie. Die Gerichtsakten seien aus ihrer Sicht ohne diese Angaben unvollständig. Über den Antrag hat das Gericht noch nicht entschieden.

Der Prozess soll am 31. Oktober fortgesetzt werden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 24.10.2022, 18:00 Uhr

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