Datenrecherche | Arztpraxen in Berlin - Kassenpatienten warten bis zu drei Mal so lang auf Termine wie Privatpatienten

Privatpatienten auf der Überholspur: Eine rbb|24-Datenrecherche zeigt, dass gesetzlich Versicherte in Berlin oftmals länger auf Arzttermine warten müssen als privat Versicherte. Und zwar deutlich länger. Von Haluka Maier-Borst
Eigentlich sollte es den Unterschied, um den es hier geht, gar nicht mehr geben. Schon 2019 legte das Terminservice- und Versorgungsgesetz fest: Gesetzlich Versicherte "sollen genau so schnell einen Arzttermin bekommen wie Privatversicherte" [bmg.de]. Doch die Realität ist nach wie vor eine andere.
Bis zu drei Mal länger müssen Kassenpatienten in Berlin warten im Vergleich zu Privatpatienten. Das ist das Ergebnis einer Stichproben-Recherche des rbb|24-Datenteam basierend auf Terminangeboten der Plattform "Doctolib".
Für die Recherche hat rbb|24 sich vier Fachbereiche angeschaut, wann die frühstmöglichen Termine jeweils für privat Versicherte und für gesetzlich Versicherte online zur Verfügung standen. Konkret ging es dabei um Dermatologie, Gynäkologie, Orthopädie und Neurologie.
Besonders groß waren die Unterschiede dabei für die Dermatologie, also bei Hautärztinnen und -ärzten. Mussten Privatversicherte 22 Tage im Mittel warten, so waren es 76 Tage bei Versichten von gesetzlichen Krankenkassen.
Dabei ist zu beachten: Diese Zahlen beziehen sich auf den Median und nicht auf den Durchschnitt. Sprich: Die Hälfte aller Terminangebote für Privatversicherte waren früher als die 22 Tage und die andere Hälfte später. Gleiches, nur eben mit 76 Tagen, gilt für die gesetzlich Versicherten. Mit dieser Einteilung wird ausgeschlossen, dass Ausreißer bei der Wartezeit (besonders lang oder besonders kurz) die Werte "ausbrechen" lassen.
Nicht in Ordnung – aber auch nicht verwunderlich
Dass es eine derartige Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Versorgung gibt, wird vielfach moniert. Ein Kritiker ist Thomas Moormann, Leiter des Bereichs "Gesundheit und Pflege" im Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). "Es ist überhaupt nicht in Ordnung - aber es ist auch nicht verwunderlich", sagt er.
Einer der Hauptgründe für die großen Differenzen bei den Wartezeiten ist laut Moormann, dass für dieselbe Leistung bei Privatpatienten deutlich mehr abgerechnet werden könne als bei Kassenpatienten. Entsprechend sei es "lukrativ" für Praxen, möglichst viele privat Versicherte zu haben.
Doch nicht nur die Kassenpatientinnen und -patienten leiden unter diesem deutlichen Preisgefälle - sondern wohl auch die Privatpatient:innen. Denn so zeigte bereits eine 2017 von der Bertelsmannstiftung [bertelsmann-stiftung.de] durchgeführte Analyse, dass Privatversicherte zwar häufig objektiv und subjektiv gesünder waren, zugleich aber länger und teurer behandelt wurden. Für Experten wie Moorman legt das nahe, dass teils vorschnell unnötige Behandlungen bei Privatpatienten durchgeführt werden - einfach weil sie sich leicht abrechnen lassen.
Damit deuten die Zahlen zu den Wartenzeiten nicht nur darauf hin, dass sich gesetzlich Versicherte deutlich länger gedulden müssen, sondern auch, dass sowohl gesetzlich wie privat Versicherte nicht rein nach Krankheitsbild behandelt werden: sondern auch nach dem, was das Portmonee oder die jeweilige Versicherung hergibt.
Mit diesem Thema hat sich auch das Team des rbb24-Youtube-Kanals "Jetzt mal konkret" ausführlich beschäftigt. Das Video kann hier angeschaut werden:
Sendung: rbb24 Abendschau, 12.10.2022, 19:30 Uhr
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