Interview | Medizinerin über Beisetzung von FU-Knochenfund - "Es gibt Möglichkeiten, mehr über diese Menschen zu erfahren"

Do 23.03.23 | 16:19 Uhr
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Der Grabstein auf dem Waldfriedhof Dahlem trägt eine Widmung für die Opfer von Verbrechen (Quelle: dpa/Monika Skolimowska)
Audio: rbb24 Inforadio | 23.03.2023 | Lena Petersen | Bild: dpa/Monika Skolimowska

Tausende Knochen wurden auf dem Campus der FU Berlin entdeckt. Jetzt wurden sie beigesetzt, doch die Herkunft ist nicht geklärt. War die Entscheidung richtig? Die Medizinerin Sabine Hildebrandt hat dazu eine klare Haltung - und Ideen für den Fundort.

Seit 2015 wurden auf dem Gelände der Freien Universität Berlin (FU) Tausende tierische und menschliche Knochen entdeckt. Sie werden dem früheren Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, Erblehre und Eugenik zugeordnet, das von 1927 bis 1945 dort seinen Sitz hatte. Der Knochenfund geht mit größter Sicherheit auf dieses Haus zurück, in dem im Namen der Wissenschaft Organe von selektierten und ermordeten Häftlingen untersucht wurden.

Sabine Hildebrandt setzt sich in ihrer Forschung intensiv mit der Medizingeschichte und der Medizinethik auseinander. Vor allem die Zeit des Nationalsozialismus nimmt sie dabei in den Blick. Dauf dem Gelände der FU gefundenen Knochen wurden jetzt beigesetzt. Ihre Herkunft ist aber nicht abschließend geklärt.

rbb: Frau Hildebrandt, der Knochenfund auf dem Gelände der Freien Universität wird mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik und Nazi-Verbrechen in Verbindung gebracht. Müssten diese Knochen jetzt aus ihrer Sicht eigentlich noch weiter untersucht werden?

Sabine Hildebrandt: Gemeinsam mit einer internationalen Gruppe von interessierten Medizingeschichtlern haben wir uns mit den Knochenfunden befasst und überlegt, wie man damit am besten umgeht. Diese Gespräche haben schon sehr früh begonnen, gleich nach dem früheren Fund im Jahr 2015. Wir haben uns dann im Jahr 2017 in Yad Vashem, dem Holocaust-Gedenkort in Jerusalem getroffen, um uns mit einer internationalen Gruppe, vor allen Dingen auch jüdischer Experten zu beraten, wie man mit solchen Knochenfunden umgehen kann.

Dazu kam, dass neben diesen Knochen auch Hirnpräparate von Euthanasie-Opfern in den Max-Planck-Institutarchiven gefunden wurden. 2017 wurden Empfehlungen ausgearbeitet, die besagen, dass eine Sicherstellung dieser Knochen und eine Identifizierung, soweit möglich, notwendig ist. Und zwar eine Identifizierung nicht nur mit archäologischen Mitteln, sondern mithilfe aller Dokumentationen, die eventuell vor Ort sein könnten und mit Unterstützung von Historikern, die sich mit solchen Dokumenten auskennen.

Zur Person

Sabine Hildebrandt (Quelle: privat)
privat

Sabine Hildebrandt ist Dozentin am Boston Children's Hospital und an der Harvard Medical School. Sie forscht zur Medizingeschichte und Ethik im Nationalsozialismus. Ihr Medizinstudium schloss sie 1984 an der Philipps-Universität in Marburg ab.

Wieso ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, dass man diese Untersuchungen fortsetzt und somit auch sicherstellt, um welche Menschen es sich gehandelt hat?

Es gibt die Vermutung, dass es sich eventuell um Knochen aus einem sogenannten Unrechtszusammenhang handeln könnte, entweder aus Auschwitz oder aus kolonialen Kontexten. Und hier geht es darum, die Identität der Menschen, an denen Unrecht begangen wurde, so weit wie möglich zu verifizieren und dann auch ihre Biografien nachzuvollziehen und an das an ihnen vollzogene Unrecht zu erinnern. Es geht um die Würdigung des einzelnen Menschen und der verfolgten Menschengruppe. Und es geht um die Erinnerung an die Geschichte des Unrechts und was das für Gegenwart bedeutet. Wenn diese Knochenreste beerdigt werden, dann ist eine weitere Untersuchung an diesen menschlichen Überresten von vornherein ausgeschlossen.

Ist eine Bestattung nicht doch der respektvollste Umgang?

Das ist nicht unbedingt gesagt. Es gibt Möglichkeiten, mehr über diese Menschen zu erfahren, auch im würdigen wissenschaftlichen Umgang mit diesen menschlichen Überresten. Dafür gibt es gute Beispiele auch hier in den USA, unter anderem entwickelt von Archäologen der African-American Community. Da gibt es ganz neue Richtlinien, wie man mit solchen menschlichen Überresten umgehen kann.

Wann immer es um Medizin oder Bioethik geht, gibt es verschiedene Meinungen. Die Tatsache ist nur, dass die Beerdigung wirklich ein Schlussstrich ist, zumindest für diese Knochenreste. Denn wir gehen davon aus, dass sich im Boden des Gartens noch weitere Knochenreste befinden. Das haben auch die untersuchenden Archäologen Frau Pollock und Herr Bernbeck nicht ausgeschlossen.

Ein Gedenkort, für das, was in dem Haus begangen wurde, aber auch ein Lehrort, damit kommende Generationen lernen und forschen können zu diesen historischen Themen, die bei weitem noch nicht ausgefragt sind.

Sabine Hildebrandt

Sie haben die Gruppen von potenziellen Opfern angesprochen: Der Zentralrat der Juden, wie auch der Zentralrat der Sinti und Roma beispielsweise, hatten sich auch für eine Bestattung ausgesprochen, wie sie nun stattfand. Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht diesen Wunsch zu berücksichtigen? Wiegt der höher als medizinethische Leitlinien, die vorher gefasst wurden? Wie ist das abzuwägen?

Diese Leitlinien und Empfehlungen sind explizit damals formuliert worden, weil in den bis dahin vorhandenen Leitlinien der Bundesärztekammer von 2003 wie auch vom Deutschen Museumsbund nicht zu erkennen war, dass die betroffenen Gemeinschaften eingeschlossen worden waren, wenn es um den Umgang mit den Knochenresten ging. Insofern ist das richtig gelaufen an der FU Berlin.

Was ich allerdings kritisiere, ist die mangelnde Transparenz und die, zumindest aus unserer Sicht, mangelnde Kommunikationswilligkeit auch noch weitere insbesondere auch jüdische Stimmen zu hören. Denn es gibt aus Sicht der Halacha Argumentationen, dass die Identifizierung dann doch Vorrang hätte. In der Tat müssen da die Betroffenen miteinander reden und für unsere Begriffe sind diese Diskussionen noch nicht beendet.

Der Knochenfund auf dem Gelände der Freien Universität wird nicht der letzte gewesen sein. Gibt es denn überhaupt den einen richtigen Weg, mit solchen Funden umzugehen?

Das ist tatsächlich ein Thema, das weltweit im Moment besprochen wird. Gerade, wenn es um andere Unrechtskontexte geht, in Deutschland oder in Europa vor allen Dingen aus dem Kolonialismus, in den Vereinigten Staaten, wenn es um menschliche Überreste der indigenen Bevölkerung und der African-Americans geht, sind große Diskussionen im Gang. Und die verschiedenen Berufsorganisationen von Anthropologen und Anatomen sind im Moment dabei, Richtlinien auszuarbeiten. Das ist erst einmal die Sicherstellung der menschlichen Überreste, sie zum Beispiel aus den Museen rauszunehmen, zu versuchen, sie zu identifizieren und dann die Würdigung der Opfer.

Und es ist so wichtig für die Ihnestraße 22, auf dem Gebiet des vormaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts, an die gesamte Geschichte dieses Institutes und wie es bis in die Gegenwart wirkt, zu erinnern. Es gibt sehr umfangreiche Vorschläge, wie man einen solchen Gedenkort und eine Forschungsstätte errichten könnte. Eben ein Gedenkort, für das, was im Hause begangen wurde, aber auch ein Lehrort, damit kommende Generationen lernen und forschen können zu diesen historischen Themen, die bei Weitem noch nicht ausgefragt sind. Hier geht es darum, die Möglichkeit zu ergreifen, ein für Deutschland einmaliges Lehrzentrum zu errichten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Lena Petersen für rbb24 inforadio. Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung.

Sendung: rbb24 inforadio, 23.03.2023, 13 Uhr

2 Kommentare

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  1. 2.

    Was ich noch schreiben wollte: Vielen Dank liebe Frau Petersen für die umfängliche Berichterstattung und das aus meiner Sicht sehr gut geführte Interview!

  2. 1.

    "In der Tat müssen da die Betroffenen miteinander reden und für unsere Begriffe sind diese Diskussionen noch nicht beendet."
    Ist es nicht einfach eine Frage von Empathie und Anstand, dass sich Forscher:innen endlich mal zurücknehmen und ohne Wenn und Aber akzeptieren, was die Opfergruppen sich wünschen? Ob es da nun intern noch Diskussionsbedarf gibt, geht doch die Wissenschaft nichts an ?!

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