Interview | Kinderarzt Jakob Maske - "Wir sehen zunehmend schwerere Streptokokken-Erkrankungen"

Fr 23.06.23 | 18:15 Uhr
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Symbolbild: Ein Hausarzt horcht mit einem Stethoskop die Atemwege eines Mädchens ab (Bild: dpa/Benjamin Nolte)
Audio: Antenne Brandenburg | 23.06.2023 | Mandy Haberland | Bild: dpa/Benjamin Nolte

Kinder in Berlin und Brandenburg haben in diesem Sommer außergewöhnlich häufig Scharlach und weitere Infekte, bestätigt der Berliner Kinderarzt Jakob Maske. Warum das so ist und wie es um Medikamente dagegen bestellt ist, hat er im rbb erklärt.

rbb: Viele Eltern in Berlin und Brandenburg berichten derzeit von vollen Kinderarztpraxen, und das mitten im Sommer. Herr Maske: Woran liegt das? Was geht denn gerade wieder um?

Kinderarzt Jakob Maske: Es gibt derzeit tatsächlich viele Erkältungsinfekte und auch weiterhin vermehrt Streptokokken-Erkrankungen, also auch Scharlach, das eine Art der Streptokokken-Erkrankungen ist. Aber mehr noch sehen wir derzeit die einfachen Halsentzündungen durch Streptokokken.

Und beobachten Sie das denn tatsächlich häufiger als sonst zu dieser Jahreszeit?

Ja, ich denke der Peak war schon so vor vier, sechs Wochen. Jetzt ebbt das ein bisschen ab, zum Glück. Aber es ist mehr, als wir sonst zu dieser Jahreszeit sehen.

Zur Person

Dr. Jakob Maske, Kinderarzt. Bild: rbb
rbb

Jakob Maske

Maske ist Kinderarzt mit Praxis in Berlin-Schöneberg. Zugleich ist er Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland sowie des Landesverbands Berlin.

Gibt es da belastbare Zahlen - oder ist das mehr so ein Befund zwischen Ihnen und Ihren Kollegen?

Nein, da gibt es tatsächlich auch belastbare Zahlen, die das RKI teilweise erfasst. Streptokokken-Erkrankungen an sich sind zunächst mal nicht meldepflichtig, aber wir sehen auch zunehmend schwerere Streptokokken-Erkrankungen, die in den Krankenhäusern zugenommen haben. Hier gibt es zum Beispiel Infekte oder Entzündungen im Gehirn, Abszesse im Gehirn, Gelenkentzündungen oder auch das Trommelfell zerstörende Streptokokken-Infekte an den Mittelohren. Das ist tatsächlich auch in Zahlen fassbar, aber eben nicht ganz so zuverlässig wie bei meldepflichtigen Erkrankungen.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass das dieses Jahr so heftig ist?

Das ist eine schwierige Frage. Wir haben diese Zunahme zuerst in England gesehen und haben hier in Deutschland zunächst mal noch gesagt, bei uns ist gar nichts. Und so war es auch. Aber das hat seinen Verlauf genommen über andere europäische Länder. Ob das daran liegt, dass wir uns jetzt zwei, drei Jahre relativ infektfrei durch die Welt bewegt haben, eben durch die Corona Schutzmaßnahmen, wird eine interessant bleibende Frage bleiben. Hier muss sicherlich die Wissenschaft noch ein bisschen dran arbeiten, um zu sehen, woran es tatsächlich liegt.

Wie behandelt man Scharlach eigentlich genau und gibt es da noch den Mangel an Medikamenten?

Genau hier legen Sie den Finger in die Wunde. Man kann Scharlach und auch die anderen Streptokokken-Erkrankungen sehr leicht behandeln, wenn man sie denn überhaupt behandelt. Es gibt durchaus einfache Streptokokken-Erkrankungen, die man auch gar nicht behandeln würde. Aber natürlich, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher schwer krank ist, dann würde man das natürlich sofort behandeln mit einem Antibiotikum, in der Regel mit einem einfachen Penicillin.

Aber genau hier liegt das Problem. Penicilline sind wie auch andere Antibiotika im Moment auf dem deutschen Markt kaum zu bekommen und so schicken wir teilweise die Eltern durch die ganze Stadt in Berlin oder auf dem Land, übers ganze Land über Kilometer, um vielleicht noch ein Fläschchen zu ergattern, um zumindest die Therapie zu beginnen.

Wann wird sich an diesem Zustand wieder was ändern?

Ein Ende ist noch nicht absehbar. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat ja ein neues Gesetz ins Leben gerufen, was sehr langsam durch die verschiedenen Gremien gegangen ist. Da wird es unter Umständen eine kleine Verbesserung geben, aber eben auch nicht sofort, sondern erst sehr viel später. Im Herbst und Winter wird die Medikamentenlage hier noch nicht ausreichend sein, insofern muss man sehen, ob dieses Gesetz eine nennenswerte Verbesserung bringt. Aber auch wenn es eine nennenswerte Verbesserung bringt, dann wird sie im Herbst oder Winter sicherlich noch nicht greifen.

Kommen wir zurück zum Scharlach: Kann man sagen, dass die Krankheit im Sommer weniger intensiv verläuft - oder ist das ein Irrtum?

Das ist ein Irrtum. Die Krankheit verläuft immer gleich intensiv. Im Sommer treten in der Regel weniger Streptokokken-Infekte auf und im Winter mehr. Das können wir leider im Moment so nicht beobachten.

Haben denn Erwachsene andere Scharlach-Symptome als Kinder?


Erwachsene haben manchmal deutlich weniger Symptome, aber auch manchmal deutlich mehr. Beispielsweise fiebern Erwachsene deutlich weniger häufig als zum Beispiel Kindergartenkinder. Aber sie können doch auch sehr schwere und starke Halsschmerzen bekommen. Und natürlich sind Komplikationen auch bei Erwachsenen möglich.

Und ist das Infektionsrisiko im Freien deutlich geringer, wie bei vielen anderen bekannten Krankheiten auch?

Streptokokken übertragen sich im Prinzip über direkten Kontakt, also zum Beispiel beim Benutzen von gleichen Trinkgefäßen, wie das zum Beispiel auch mal im Kindergarten passieren kann oder wenn man aus der gleichen Flasche trinkt.

Es sind keine fliegenden Infektionen, also muss man keine Angst haben, wenn man sich jetzt im Freien bewegt, dass man sich bei jemandem ansteckt, wenn man nicht gerade eine enge Paarbeziehung hat. Ansonsten ist es aber auch in geschlossenen Räumlichkeiten nicht unbedingt viel wahrscheinlicher, eine Streptokokken-Erkrankung zu bekommen, eben weil diese Erreger in der Regel keine fliegenden Infektionen produzieren.

Herr Maske, in den kommenden Tagen soll das Wetter ja wieder ganz gut werden. Worauf muss ich achten, wenn mein Kind anfällig für Krankheiten ist? Wie gefährlich ist zum Beispiel die Kombi geschwitztes Kind und kühler Wind?

Erkältung kommt nicht von Kälte, denn sie brauchen für eine Erkältung immer Viren. Selbst wenn das durchgeschwitzte Kind im Wind steht, kriegt es noch keine Erkältung. Das gilt auch für den Scharlach, aber auch für die einfachen Erkältungskrankheiten. Sie brauchen auch für eine Erkältungskrankheit einen Virus, der das auslöst. Und für die Streptokokken-Erkrankungen brauchen Sie eben die Bakterien, die Streptokokken, um das auszulösen. Ohne das gibt es keine Erkrankung.

Und wenn ich jetzt ein immungeschwächtes Kind habe oder es möglicherweise schon ein bisschen angeschlagen ist, es aber gerne bei schönem warmen Wetter ins Schwimmbad, in den Gartenpool oder in den Badesee will - welchen Effekt könnte das haben? Lieber sein lassen?

Zu kaltes Badewasser kann natürlich zu einer Auskühlung führen, das ist zunächst mal das einzige Problem. Natürlich kann eine Auskühlung wiederum zu einer weiteren Immunschwäche führen und dadurch bereits vorhandenen Viren oder Bakterien den Weg zur Erkrankung sozusagen noch mal leichter machen. Aber ohne Viren und Bakterien wird auch das lange im Pool spielende, immungeschwächte Kind keinen Infekt davontragen.

Herr Maske, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Andreas Flügge, Antenne Brandenburg

Sendung: Antenne Brandenburg, 23.06.2023, 17:40 Uhr

Infobox

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach SPD (Bild: imago images/Uwe Koch)
www.imago-images.de

Gesetzentwurf gegen Medikamentenmangel

Das Bundeskabinett hat im April einen Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verabschiedet, der noch Bundestag und Bundesrat passieren muss. Konkret soll es finanzielle Anreize für Produzenten von Medikamenten geben, um stärker als bislang Deutschland zu beliefern.

Bislang müssen sich Krankenkassen beim Einkauf von sogenannten Generika, also patentfreien Arzneien, nach Kriterien richten, welche die Kosten möglichst begrenzen wollen. Per Festbetrag wird beispielsweise ein Höchstwert für die Erstattung von bestimmten Arzneimitteln festgeschrieben. Was für die Krankenkassen oftmals die Wahl des günstigsten Anbieters bedeutete, für die Herstellerfirmen hingegen niedrige Gewinnmargen beim Verkauf in die Bundesrepublik.

Lauterbach unterstrich bei der Vorstellung seines Gesetzentwurfs den Grundsatz "Kinder zuerst". "Ich möchte nicht noch einmal erleben, dass wir Kinder nicht versorgen können", so der SPD-Minister. Das sei in einem "wohlhabenden Land" wie Deutschland "nicht hinnehmbar".

Und so sollen künftig Festbeträge oder auch mit Herstellern ausgehandelte Rabattverträge bei der Belieferung mit Arzneien für Kinder wegfallen. Zudem erhalten Pharmaunternehmen mit dem Gesetz die Möglichkeit, ihre Abgabepreise einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden Festbetrages anzuheben.

13 Kommentare

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  1. 13.

    Ich habe die Aussage des Hrn Dr. Maske zitiert, man solle eine Therapie "zumindest beginnen". Wenn die falsch ist, kann ich nix dafür.

  2. 12.

    Das sehe ich auch so.
    Wenn ich mich verkühle und keine Erkältung bekomme, habe ich Glück gehabt, dass nicht ausreichend Krankheitserreger vorhanden waren, denke ich.
    Der Theorie, dass die Coronamaßnahmen an allem Schuld sind, kann ich auch nicht unterstützen. Vor Corona hatte ich regelmäßig Erkältungen, seit zwei Jahren habe ich keine mehr gehabt.
    Das führe ich einerseits darauf zurück, dass ich aufgrund meiner Schmerzerkrankung sehr darauf achte, dass mir nicht kalt wird, andererseits habe ich nicht von einem Tag auf den anderen auf die Maske verzichtet, sondern Schritt für Schritt das Tragen der Maske reduziert, so dass sich mein Immunsystem langsam wieder an die Krankheitserreger gewöhnen konnte.
    Bei Kindern ist das natürlich nicht so einfach, aber wenn sich die Erwachsenen vernünftiger verhalten würden, wären auch die Kinder besser geschützt.

  3. 11.

    Im Kindergarten Hygiene? Es sind Kinder (!) und keine Rentner. Die nehmen halt alles in den Mund, egal wem es gehört. Bei deinen Wünschen bräuchte man ja eine 1zu 1 Betreuung...
    Träum weiter und lass dein Kind ordentlich alles vollsabbern und in den Mund nehmen. Das gehört zum groß werden dazu ;)

  4. 10.

    "also zum Beispiel beim Benutzen von gleichen Trinkgefäßen, wie das zum Beispiel auch mal im Kindergarten passieren kann oder wenn man aus der gleichen Flasche trinkt."

    Das sehe ich bei uns auch, und wenn man die Aufsichtsperson drauf anspricht heißt es nur "wir sind ja so überlastet und haben so wenig Personal" Komisch, zum Rumsitzen und Quatschen ist immer genug Zeit...

    Also würden die Kitas mal mehr auf Hygiene achten, wäre das sicher auch sehr hilfreich.

  5. 9.

    Die Flaschengrößen sind in der Regel so bemessen, dass Kinder bis ca 25kg Körpergewicht damit eine vollständige Therapie (2 Dosen an etwa 9 Tagen) absolvieren können.
    Bitte hier keine falschen Eindrücke vermitteln.

  6. 8.

    Manchmal wundere ich mich wirklich, wie 70Jahre alt werden konnte...
    Penicillin hab ich mit ca 8 Jahren bekommen. Nach der 2. Dosis bin ich aus den Latschen gekippt.
    Das Zeug ist bestimmt gut, nur wird sowas viel zu oft verschrieben, dann nicht Regelgemäß genommen...
    So wird immer mehr Antibiotikum
    unters Volk gebracht, die Resistenzen wuchern aus, und die Kläranlagen bekommen das dann nicht aus dem Wasser gefiltert...

  7. 7.

    Dr. J. Maske: "Erkältung kommt nicht von Kälte (...)". Dann immerhin: "Natürlich kann eine Auskühlung wiederum zu einer [...] Immunschwäche führen." Dann: "Aber ohne Viren und Bakterien wird [das] Kind keinen Infekt davontragen." - Schön und gut. Doch Viren und Bakterien sind omnipräsent. Die kriegt man nicht weg. Man kann nur den Körper unterstützen, ihnen wenig Einfallstore zu bieten. Z.B., indem man alle Körperregionen immer ausreichend warm hält. Sich oder sein Kind eben genau nicht durchgeschwitzt in den Wind stellt. Den Pool verlässt, bevor die Lippen blau werden. Und für die Abkühlung nach dem Gewitter angemessene Kleidung im Rucksack hat.

  8. 6.

    Ja was Wunder nach der langen Zeit mit Kontakteinschränkungen. Das war unter Ärzten schon abzusehen, dass dann alle ansteckenden Krankheiten geballt durch die Gesellschaft rollen. Jetzt müssen erstmal auch wieder natürliche Resistenzen aufgebaut werden. Bei leichteren Fällen gehts erstmal auch ohne Antibiotika. Jedes Kind muss da mal irgendwie durch. Wie viele Generationen vorher auch. Fragen sie dazu ihren Arzt…

  9. 5.

    .....Hitzeplan ist auch ganz doll wichtig oder meinte er einen Flächenbrand...

  10. 2.

    " Penicilline sind wie auch andere Antibiotika im Moment auf dem deutschen Markt kaum zu bekommen "

    Lauterbach : " "Ich möchte nicht noch einmal erleben, dass wir Kinder nicht versorgen können", Das sei in einem "wohlhabenden Land" wie Deutschland "nicht hinnehmbar".

    Realität und Parolen

  11. 1.

    Und dann sollen "die Leute wenigstens noch ein Fläschchen Antibiotikum ergattern, damit sie die Therapie beginnen können" - aber dann absehbar NICHT abschliessen können? Das finde ich einen gelinde gesagt ziemlich nonchalanten Umgang mit Antibiotika.

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