Vermisste Mexikanerin - Wie die lateinamerikanische Community in Berlin nach Maffy sucht

Fr 04.08.23 | 09:59 Uhr | Von Laura Kingston
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Archivbild:Seit dem 22. Juni wird die mexikanische Studentin Maria Fernanda Sanchez Castanede in Berlin vermisst. überall in der Stadt hängen Plakate, wie im Berliner Mauerpark am 28.7.2023.(Quelle:imago images/snapshot-photography/T.See)
Bild: imago images/snapshot-photography/T.See

Eine mexikanische Studentin wird seit Tagen in Berlin gesucht - von der Polizei und zusätzlich von Hunderten Freiwilligen. Eine Geschichte über lateinamerikanische Solidarität - und Misstrauen gegenüber dem Staat. Von Laura Kingston

Update Samstag, 5. August, 21:42 Uhr: Die vermisste Mexikanerin wurde am Samstagnachmittag tot aufgefunden.

Maffy ist überall in Berlin. Allerdings nur auf Plakaten. María S., genannt Maffy, wird seit dem 22. Juli vermisst. Nach ihr sucht nicht nur die Polizei, sondern eine ganze Gruppe von Freiwilligen. Zweimal am Tag treffen sie sich, um nahegelegene Wälder, Parks und Bahnhöfe zu durchkämmen – einfach jeden Ort, der ihnen einfällt.

Die Polizei hat sämtliche Krankenhäuser abgefragt, auch örtliche Gewässer abgesucht. Organisiert wird die Suche nicht nur von Maffys Freundinnen, sondern von einem lateinamerikanischen Kollektiv aus Berlin. Einer Sprecherin zufolge sollen hunderte von Menschen bereits mitgeholfen haben, Maffy aufzuspüren. Die Strecke, auf denen die Freiwillligen bislang unterwegs waren, betrage 800 Kilometer.

Ein feministisches Kollektiv organisiert die Suche

Das Kollektiv will namentlich nicht genannt werden, lässt sich aber nach erstem Zögern auf ein Gespräch mit rbb|24 ein. Gegründet wurde es durch eine Gruppe mexikanischer Frauen, die in Berlin leben. Ein Verwandter der Vermissten schrieb sie an, um Reichweite für ihre Suche zu generieren. Das haben sie geschafft. Inzwischen hat der entsprechende Instagram-Kanal mehr als 20.000 Follower. Kommentiert wird vor allem auf Spanisch, es werden mexikanische Berühmtheiten wie Schauspielerin Salma Hayek markiert, um noch mehr Menschen zu erreichen.

"Du solltest die Protestmärsche in Lateinamerika sehen"

Valentina ist eine der Followerinnen. Sie hat davon durch die Whatsapp- und Telegramgruppen erfahren, in denen sie sich mit Latinos und vor allem Latinas, die in Berlin wohnen, austauscht. "Es gibt seit dem 23. Juli kein anderes Thema mehr", sagt Valentina im Gespräch mit rbb|24. Die Chilenin plant selbst, am Wochenende bei einer Suche in Adlershof, dem Wohnort von María S., teilzunehmen.

"Wir Mädels müssen zusammenhalten", sagt Valentina. "In Lateinamerika ist es so normal, dass Frauen verschwinden. Jetzt sind wir hierhin gekommen, um uns sicherer zu fühlen - und das passiert... Du solltest die Protestmärsche in Lateinamerika sehen. Wir haben es satt, dass so etwas immer wieder passiert. Und jetzt ist Maffy weg. Wir haben Angst und fühlen uns nicht mehr sicher in Berlin."

Vermisste Frauen: Alltag in Mexiko

Die Suche nach vermissten Frauen ist in Marías Heimatland Mexiko Alltag. "Allein im ersten Quartal 2023 wurden in Mexiko 227 Femizide registriert. Im selben Quartal wurden über 30.000 Frauen Opfer von Verbrechen", sagt Alejandra Lopez, vom internationalen Radio Cosmo. Mexikanische Frauen seien nicht nur davon geprägt, sondern auch von der Tatsache, dass viele Täter unbestraft blieben.

Laut dem Global Impunity Index gehört Mexiko zu den zehn Ländern mit der höchsten Straflosigkeit. Schätzungen zufolge werden 94 Prozent der Verbrechen nicht angezeigt, und nur 1 Prozent aller Verbrechen werden aufgeklärt. "Vor diesem Hintergrund handeln mexikanische Frauen entschlossen, um zu verhindern, dass sich die mexikanischen Erfahrungen in Deutschland wiederholen. Das Wort Solidarität hat eine große Bedeutung."

Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen

Ein Grund für die starke Solidarität ist laut der Kollektiv-Sprecherin "wenig Vertrauen in staatliche Institutionen". Es sei oft Aufgabe der "Zivilgesellschaft, die Löcher und Lücken zu schließen, die der Staat hinterlassen hat." In Deutschland gebe es, wenn auch in deutlich geringerem Umfang, ebenso ungeklärte Fälle von verschwundenen Personen.

Auch Valentina berichtet von Skepsis gegenüber den Behörden, die in in ihren Latino-Whatsapp- und Telegramgruppen geäußert wird. Oft stehe die Frage im Raum, ob die Polizei wirklich genügend tue, um Maffy zu finden.

Polizei ruft zu Kooperation auf

Die Polizei Berlin sagt rbb|24 dazu, alles in ihrer Kraft stehende zu tun, um die Vermisste zu finden. Über den neuesten Stand der Ermittlungen werde allerdings nur die Familie der vermissten Person informiert, das habe auch was mit Datenschutz zu tun. Über Hinweise von privat Suchenden, "die die vermisste Person ja viel besser kennen als die Polizei", sei man allerdings dankbar.

Die Polizei Berlin rufe private Suchtrupps deshalb immer wieder zur Kooperation auf. Zur Vorsicht mahnt die Polizei allerdings mit online veröffentlichten Bildern und Videos der Person. Es sei schon häufiger vorgekommen, dass eine wieder aufgetauchte Person sich darüber beschwert habe, dass "das Netz jetzt voll mit Bildern von ihr oder ihm ist. Das Netz vergisst nie", sagt die Polizeisprecherin.

Demo vor mexikanischer Botschaft geplant

María S. ist nicht nur in Berliner Medien und im Stadtbild präsent. Über ihr Verschwinden berichten auch einige mexikanische Nachrichten. Der mexikanische Präsident hat das Thema bereits in seiner morgendlichen Pressekonferenz angesprochen, die Arbeit der deutschen Behörden gewürdigt und eine Zusammenarbeit angeboten.

Neben der digitalen und analogen Suche ruft das feministische Kollektiv zu einer weiteren Aktion am Samstagmittag auf: Einer Demo vor der mexikanischen Botschaft. In einer Pressemitteilung wendet sich die Familie der Vermissten an die Öffentlichkeit, sie wolle sich durch das Zusammenkommen bei allen bedanken, die sie bislang unterstützt hätten. Zu Demo sollten alle in weiß erscheinen, um die Hoffnung zu symbolisieren, Maffy gesund wiederzufinden.

 

 

Sendung: rbb24 Abendschau, 04.08.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Laura Kingston

12 Kommentare

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  1. 12.

    Die Polizei hat in einer Pressemitteilung geäußert, heute in Adlershof ihre Leiche gefunden zu haben. Die vermisste Frau ist also leider tot.

  2. 11.

    Himmmmm, wenn Sie hier den Schlauberger geben, dann können Sie mir bestimmt auch sagen, warum Sie dann hierher gekommen sind, wenn mein "Vergleich [...] keinesfalls so "absurd" ist"?
    Und wieso verbreiten Sie, dass das Verschwinden, nur ein "Femizid" sein kann. Wissen Sie mehr? Dann sollten Sie zur P8lizei gehen.
    Und Danke, @sententia, Sie sprechen mir aus der Seele.

  3. 10.

    Nach Auffassung der Initiatoren haben die Verhältnisse sehr wohl miteinander zu tun - in abgestufter Weise: Einig dürften sich alle darüber sein, dass in diesem Land keine Menschen auf staatliches Geheiß verschwinden, die Meinungen aber darüber auseinandergehen, wieweit die für die Ordnung zuständigen Institutionen solchen Umständen wirklich gewachsen sind. In meinem Beitrag hier, (Nr. 1,) gab ich das Stichwort des rasterhaften Denkens, dem alle Uniformierten in spezifischer Weise erlegen sind.

    Die Wirklichkeit in all ihrer Bandbreite ist allerdings immer größer als alle Raster, die Menschen sich auszudenken vermögen und die lediglich - unzureichende - bloße Hilfsmittel sind.

  4. 9.

    Ich verstehe den Kontext dieses Berichtes nicht. Was haben die hinlänglich bekannten skandalösen Verhältnisse in Latino-Amerika und auch in anderen einschlägig bekannten Staaten mit Berlin zu tun? Den Zusicherungen der hiesigen Polizei, dass sie alles in ihren Kräften tut, die Vermisste zu finden, würde ich erst einmal Glauben schenken. Und zu bedenken geben, dass 200 bis 300 Menschen in Deutschland täglich als vermisst gemeldet werden. Welche "Zivilgesellschaft" soll denn welche "Löcher und Lücken (zu) schließen, die der Staat hinterlassen hat"?

  5. 8.

    Gibt es denn grundsätzlich einen Hinweis auf eine Straftat? Die ersten Meldungen lasen sich anders.

  6. 7.

    Ein „Femizid“ ist ein Tötungsdelikt an einer Frau.
    In Deutschland leben ca. 37 Millionen Frauen.

  7. 6.

    Deine Zahl für Deutschland scheint mir nicht korrekt. Bei ca 80Mio Einwohnern wären das 800 Femizide in 2016.

  8. 5.

    2016 lag die Femizidrate in Deutschland bei 1,1 Morden pro 100.000 Einwohnern und in Mexiko bei 4,6.
    Das ist immerhin etwa vier Mal so hoch, aber ein Vergleich ist keinesfalls so "absurd", wie Sie es vermuten.

  9. 4.

    Der Artikel hinterläßt bei mir ein leichtes Unbehagen.
    Natürlich auch, weil eine Frau vermisst wird, aber vorallem, weil hier unterschwellig oder offen Misstrauen gegenüber staatlichen Stellen geäußert wird und dass es einer Paralell-Exekutive bedürfte.
    Es ist ein bedauerlicher Vermisstenfall, alle diese Fälle sind für Angehörige schlimm. Ich kann auch verstehen, dass man nicht untätig warten will, sondern suchen will. Find ich auch richtig, dass man mitsucht. Aber weil in Mexiko die Dinge anders stehen, kann man der deutschen Polizei nicht Untätigkeit unterstellen.

  10. 3.

    "In Lateinamerika ist es so normal, dass Frauen verschwinden. Jetzt sind wir hierhin gekommen, um uns sicherer zu fühlen - und das passiert... Du solltest die Protestmärsche in Lateinamerika sehen. Wir haben es satt, dass so etwas immer wieder passiert. Und jetzt ist Maffy weg. Wir haben Angst und fühlen uns nicht mehr sicher in Berlin."
    So tragisch das Verschwinden dieser Person auch ist, dass aber mit den Zuständen in Mexiko zu vergleichen, ist absurd.

  11. 2.

    Ja, es ist schon lange absolut gruselig, was in Mexiko mit Frauen passiert. Guter Artikel.
    Hoffentlich wird sie lebend gefunden!

  12. 1.

    "Es sei oft Aufgabe der "Zivilgesellschaft, die Löcher und Lücken zu schließen, die der Staat hinterlassen hat." In Deutschland gebe es, wenn auch in deutlich geringerem Umfang, ebenso ungeklärte Fälle von verschwundenen Personen."

    Die zum Aufschäumen Berufenen mag das in Wallung bringen, doch ist es zweifellos so, dass jede verfasste Gesellschaft mit einem Ordnungsrahmen, mit Uniformierten incl. ihres in gewissem Maße uniformierten Denkens immer solche Lücken und Fehlstellen hinterlässt. Die Wirklichkeit in all ihrer Bandbreite ist immer größer als sich sämtliche staatliche Ordnungsschemata das vorstellen können. Insofern ist Eigeninitiative immer unabdingbar.

    Allerdings unterscheiden sich die Maße solcher Eigeninitiativen - angefangen von der Ergänzung, da, wo systematische staatliche Fehlstellen und blinde Flecken existieren, bis hin zum Vorwurf der staatlichen Mittäterschaft. Das Erste ist in Deutschland zweifellos da, das Zweite nicht.

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