Den Kampf um das so wichtige Grün in der Großstadt, um die fruchtbare Natur, kämpft jede Generation aufs Neue und immer unter neuem Label. Das alte Schrebergärtnern ist das neue "Urban Gardening".
24 kleine Geschichten über die großen Errungenschaften und kleinen Niederlagen der Brandenburger und Berliner in Sachen "Essen und Trinken". Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.
Auch wenn es schön ist, dass Berlin echt viele Bioläden hat und dort der Salat ein bisschen nach Torf riecht - die Fingernägel schwarz und sandig macht sich der Stadtromantiker auch dort nicht. Der moderne Urbanist will selber buddeln. Für ihn ist am Wochenende Gartenzeit in der City.
Natürlich kann man den Neugärtnern vorwerfen, dass die grüne Idee eine Wohlstandsmarotte ist. Wie jede Marotte polarisiert auch das Stadtgärtnern. Einerseits sorgt das Gärtnern für Vielfalt der Bodennutzung inmitten von Loftbebauung und Gewerbeeffizienz. Andererseits ist da jetzt ein neuer Bodenkonkurrent und scheint die Mietpreise mit hochzutreiben. Monetär potente Neuberliner Pflanzenanbeter schaffen sich ihr Möhrenparadies.
Die alte Idee vom urbanen Stadtacker
Ein wenig nüchterner betrachtet, ist diese Idee vom Pflanzen und Ernten mitten im Hinterhof und auf dem Stadtacker eine sehr alte Idee, und wie schon vor hundert Jahren ist dieses Beharren auf Buddelerde für die erwachsenen Stadtindianer wichtig für das urbane Leben. In den früheren Zeiten der Schreberbewegung ging es dabei nicht wie heute um eine Art Beschäftigungsalternative und auch nicht um den Zurück-zur-Natur-Moment, sondern um den pragmatischen Effekt der Selbstversorgung mit Frischem, das sonst nicht so leicht und günstig zu haben war für die ärmeren Schichten. Die industrieabgasverpestete Luft und die vitaminlose Billigkost konnten mit Hilfe der kleinen Innenstadtoase durch eigene Ernte und Sitzen-im-Grünen ausgeglichen werden. Heute gleicht die neu entdeckte Scholle Bewegungsmangel aus: Der Büromensch will auch mal schippen, jäten und sich das Kreuz verrenken.
Dabei geht die Dichte der Neu-Deutsch-Urban-Gardening-Projekte auch einher mit der Naturferne zum Umland: die Prinzessinnengärten oder das Ton-Steine-Gärten-Projekt am Mariannenplatz in Kreuzberg, das Wriezener Freiraum Labor und der Bürgergarten Laskerwiese in Friedrichshain oder der Pryramidengarten in Tempelhof. Doch die meisten der Berliner Urban Gardening Projekte sind auch sozial engagierte Projekte, die für Menschen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen die Potentiale der Stadt erschließen helfen. Gärtnern, sich draußen treffen und Gemüse und Obst selber ernten, soll auch Menschen helfen, die neu in der Stadt oder einfach nur auf der Suche nach Gemeinschaft sind.
Gärtnern mit Kisten und ohne Thujahecke
Die Stadtgärtnerei des heutigen Berlins ist ein Mix etwa aus diesem historischen Schrebergartentum der Arbeiter, der Aktivisten der ökologischen Bewegungen, der nach Unabhängigkeit strebenen Hausbesetzerszene und der in die Stadt migrierten Neuberliner aus weniger urbanen Gebieten. Sie alle sorgten dafür, dass andere Organisationsformen ermöglichten, dass der Apfel im Hinterhofgarten und die Kartoffen auf dem Stadtacker gedeihen konnten. Die Prinzessinnengärten sind solch ein Beispiel für das Stadtgärtnern der Neuzeit: Es macht die Umgebung rund um den Moritzplatz grüner und setzt im Gegensatz zum Dr. Schreber auf das mobile Gärtnern mit Kisten, gemeinsamen Ertragsflächen und ganz ohne Thujahecke.
"Urban" steht dabei nicht einfach für "Stadt", sondern auch für die Umstände der Stadt, wo die gemeinschaftlich genutzte Agrarfläche auch schon mal am Autobahnzubringer oder zwischen Gewerbehöfen liegen kann. Und "urban" heißt hier auch, dass die "Gardening"-Fläche eben nicht fürs Federballspiel mit den Enkeln geeignet ist. "Urban" heißt hier, aus dem etwas machen, was da ist. Und "Urban" ist auch noch ein Label, dass viel besser mit IPhone passt, als "Gartenanlage". Nur in den Zähnen knirscht's genauso, wenn man die Radieschen nicht richtig wäscht.