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Quelle: rbb|24/Mitya

Der Absacker

Ich bin ok, du bist ok – und die Giraffe auch

"Er will doch nur...!", "Was denkt die sich eigentlich!?" Bei hitzigen Themen wird der Gegenseite viel unterstellt und ausgiebig in den Kopf geguckt. Haluka Maier-Borst erinnert sich in solchen Momenten dann vor allem an Konflikttraining – und afrikanische Tiere.

Es war einmal vor langer Zeit (elf Jahren), da wollte ich mit dem Zivildienst nach Japan. Als Vorbereitung darauf saßen ich und ein paar andere junge Erwachsene im Sommer in einem schlecht belüfteten Raum in Brandenburg. Wir starrten auf einen Plüschlöwen und eine Plüschgiraffe. Wir hatten Konflikttraining und eine etwas walldorfeske Situation.

"Ihr könnt den anderen anbrüllen im Streit so wie ein Löwe. Oder...", die Kommunikationstrainerin hob die Plüschgiraffe hoch: "wie eine Giraffe vorausschauend und nachsichtig kommunizieren."

Nun, abgesehen von der Tatsache, dass Giraffen sich ganz schön auf den Nacken geben bei Meinungsverschiedenheiten [youtube.com], war auch so manch anderes an dem Konflikttraining eher für die (Groß-)katz. Aber immerhin ein Satz aus dem Konflikttraining hilft mir durch Tage wie heute: Ich bin ok, du bist ok.

1. Was vom Tag bleibt

Weil nämlich letzte Woche nach der Analyse der Fall- und Testzahlen wahlweise bezweifelt wurde, ob ich "grundlegende Kriterien zur Interpretation von Testresultaten" beachte oder "Mathe 7. Klasse" verstehe, haben wir uns gedacht: Komm das machen wir gleich nochmal. Falls Sie sich also fragen, wie es gerade um die Nachverfolgbarkeit von Fällen in Berlin steht, lesen Sie gerne hier weiter.

An dieser Stelle seien noch drei Sachen zu den Artikeln aus dem Nähkästchen geplaudert.

1. Ja, ich hatte letzte Woche einen Fehler bei der Interpretation der Rückverfolgbarkeit gemacht. Allerdings war es keiner, der mir angekreidet wurde. Trotzdem, Verzeihung. Wir haben es transparent unter den Artikel geschrieben.

2. Ich habe natürlich, ganz deutsch-japanisch wie ich bin, sofort Selbstzweifel gehabt, als mir eine Frau "Dr. med." in den Kommentaren widersprach. Ich habe dann nochmal mit zwei anderen Autoritäten (ein Biostatistiker und ein Epidemiologe) gesprochen, die mir, puh, zum Glück Recht gaben bei der Interpretation des Geschehens.

3. Weiterhin gilt: Ich bin ok, du bist ok. Ich versuche also auch heute die gegebenfalls giftigen Worte in den anstehenden Kommentaren mal zu überlesen. Und mehr inhaltlich zu debattieren.

2. Abschalten.

Nicht nur online braucht man natürlich Taktiken, um Dinge nicht zu sehr an sich rankommen zu lassen. Aber offline ist das manchmal schwieriger, vor allem wenn die Person einen partout nicht in Ruhe lässt. Twitter sei Dank habe ich nun zwei Möglichkeiten gefunden. Entweder man warnt mit Dönerpapiermaske eindringlich vor seinem überdurchschnittlichen Zwiebelatem und seinem unterdurchschnittlichem Modeverständnis [twitter.com].

Oder man stellt gleich seine gesamte Existenz infrage [twitter.com], um einer ungewollten Diskussion zu entkommen.

Wer ich bin

Großstadtchaos statt Alpenpanorama, Brandenburger Seen statt britisches Meer. Haluka Maier-Borst war schon an ein paar Orten und hat immer die falsch-richtige Wahl getroffen. Für Berlin. Jetzt sitzt er im Wedding und gönnt sich hin und wieder einen Absacker mit seinen Kolleginnen und Kollegen – und damit eine kleine Pause von der Nachrichtenlage. Vorerst allerdings nur digital aus dem Homeoffice.

3. Und, wie geht's?

Meistens lassen wir ja hier unsere Leser*innen zu Wort kommen. Heute aber kommt an dieser Stelle meine Kollegin Laura Kingston zur Sprache. Denn eigentlich sollte sie heute statt meiner Wenigkeit schreiben. Daraus wurde aber nix, denn rund um unsere Berichterstattung zur "Mohrenstraße"/"Anton Wilhelm Amo"-Straße oder Frau Chebli explodieren gerade die Kommentare. Und da ist der Gegenwind leider ein ganz anderer, als wenn meine Mathekenntnisse in Zweifel gestellt werden.

"Wenn ich in den Kommentaren unter solchen Artikeln unterwegs bin, verliere ich den Glauben an die Menschheit. Ich denke dann, dass alle außerhalb meiner Bubble sexistisch oder rassistisch denken. Da gibt es zum einen eine Menge von Kommentaren, die beim Artikel über Frau Chebli schreiben, dass sie sonstwas mit der Frau machen wollen. Die löscht man einfach. Und dann gibt es die Kommentare eben über Worte wie "Mohr", wo ich dagegen argumentiere, wieso es rassistisch ist und die andere Seite aber nicht mal zuhören will."

Schreiben Sie uns weiterhin, was Sie bewegt an: absacker@rbb-online.de

4. Ein weites Feld...

Wie diskutiert man? Wann macht das überhaupt noch Sinn? Gerade heute habe ich mir die Frage ebenfalls stellen dürfen. Denn ein früherer Studienkollege aus Großbritannien fing an, länglich zu erklären, wieso Corona kaum tödlich sei und dass er eben clever sei und eine Meinung abseits des Mainstreams vertrete. Ich habe zwar nie ganz verstanden, wieso eine Meinung per se schlecht ist, wenn sie im Mainstream ist. Bei einem IKEA-Regal würde man ja auch nicht sagen, dass es besser ist, es edgy und non-mainstream ohne Schrauben aufzubauen. Aber gut, ich diskutierte mit ihm auf Facebook.

Überzeugen konnte ich ihn nicht, aber immerhin hat sich die Diskussion gewandelt von "mit dir zu reden, ist wie mit einem Eichhörnchen Schach zu spielen" hin zu "könnte auch sein, dass ich falsch liege". Und vielleicht ist das schon ein Erfolg.

Etwas erschöpft, aber immer noch mit ein bisschen Hoffnung:

Haluka Maier-Borst

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