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Quelle: dpa/S. Simon

Interview | Corona-Infektionen trotz Impfung

"Wahllose Auffrischungsimpfungen halte ich für keine gute Lösung"

Steigende Inzidenzen, neue Varianten, Impfdurchbrüche – beim Thema Corona gibt es derzeit viele Entwicklungen, die mit Blick auf den Herbst Sorgen bereiten. Impfstoff-Forscher Carlos A. Guzmán kann jedoch ein wenig Hoffnung machen.

rbb|24: Herr Guzmán, inzwischen sind etwa 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland gegen das Coronavirus geimpft. Aber wir hören auch von Impfdurchbrüchen [Infektionen trotz Impfung] hier und in anderen Ländern. Sind Sie denn besorgt über diese Ereignisse?

Carlos A. Guzmán: Das ist schwer zu analysieren, weil so viele Faktoren hineinspielen. Man kann nicht einfach vergleichen, was zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten, in verschiedenen Bevölkerungsgruppen passiert ist. Zum Beispiel sind wahrscheinlich die Menschen, die jetzt geimpft sind, deutlich älter und haben mehr Vorerkrankungen, als die, die nicht geimpft sind. Wenn man also die Infektionsrate der Geimpften mit der der Ungeimpften vergleicht, vergleicht man Äpfel mit Birnen.

Außerdem gibt es zahlreiche Störfaktoren. Die Häufigkeit von Impfdurchbrüchen kann auch durch riskantes Verhalten von Geimpften beeinflusst werden, die davon ausgehen, dass sie gegen jegliches Risiko geschützt sind. Aber das ist natürlich nicht der Fall, es gibt keinen perfekten Schutz für alle.

Insgesamt habe ich jedoch den Eindruck, dass die Infektionen bei Geimpften und bei Genesenen im Allgemeinen selten sind und in der Regel mild verlaufen.

Gibt es Unterschiede zwischen den Impfstoffen? Gibt es bei einigen mehr solcher Durchbrüche?

Das ist auch schwer zu sagen, weil die Impfstoffe zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingeführt wurden, als unterschiedliche Varianten des Virus zirkulierten. Außerdem wurden die Impfstoffe auch an unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, unter unterschiedlichen Umweltbedingungen verabreicht. Besonders drastisch waren da wahrscheinlich die Verzerrungen beim Astrazeneca-Impfstoff (Vaxzevria), der für verschiedene Bevölkerungsgruppen zu verschiedenen Zeiten empfohlen wurde.

Was bedeuten denn diese Durchbrüche für die gesamte Dynamik der Pandemie? Können wir die Ausbreitung von Covid-19 verlangsamen oder geht es hauptsächlich darum, Fälle auf der Intensivstation und Tod zu verhindern?

Meiner Meinung nach sollte das Hauptziel darin bestehen, schwere Verläufe zu reduzieren. Also Verläufe, die zu einem Krankenhausaufenthalt oder sogar zum Tod des Patienten führen. Nicht so wichtig ist dagegen, ob sich Menschen im Winter eine leichte Erkältung durch Corona einfangen.

Aber es gibt auch da eine Einschränkung. Wenn wir zum Beispiel immer noch Risikopatienten haben, die nicht geimpft sind oder Menschen, die auf die Impfstoffe nicht so gut ansprechen - wie zum Beispiel Empfänger von Spenderorganen, die immunsupprimiert sind -, müssen wir natürlich vorsichtig sein. Wenn wir diese Menschen mit einer infizierten Person in Kontakt kommen lassen, die selbst nur eine milde oder asymptomatische Infektion hat, können sich die Risikopatienten infizieren und einen schweren Verlauf durchleben.

Es wäre also schon ideal, die Fallzahlen in Deutschland möglichst niedrig zu halten. Und für die Ungeschützten sollten wir sicherstellen, dass sie entweder ihre erste und zweite Impfung erhalten oder für die, die schlecht auf die Impfung ansprechen, dass man auch eine dritte Impfung oder andere Schutzmaßnahmen in Betracht zieht, wie Maske, Abstand und Schnelltests.

Ich möchte jedoch betonen, dass wir dieses Problem nicht an einem Ort oder in einem Land lösen können. Während wir sprechen, gibt es einen großen Anteil der Weltbevölkerung, der gar nicht geimpft ist. Selbst wenn man in dieser Angelegenheit nur egoistisch denkt und die ethischen Überlegungen außer Acht lässt, hilft es Deutschland, wenn Menschen in anderen Ländern geimpft werden. Denn diese Menschen können ungeimpft als Brutstätte für Varianten dienen, die leichter übertragbar sind, schwerere Krankheitsformen verursachen oder den Impfschutz aushebeln. Diese Varianten können sich dann weltweit ausbreiten und wie ein Bumerang zu uns zurückkommen.

Es gibt noch eine weitere Neuigkeit, über die ich mit Ihnen reden möchte: Die Antikörper-Titer, also die Menge an Antikörpern im Blut, nehmen vor allem bei älteren Menschen rapide ab, wie erste Studien nahelegen [cdc.gov]. Vor dem Interview sagten Sie, dass Sie nichts anderes erwartet hätten und dass Sie das nicht als großes Problem ansehen. Erklären Sie das bitte.

Es ist normal, dass die Menge der im Körper zirkulierenden Antikörper nach einer Infektion oder Impfung nach und nach abnehmen. Wenn unser Immunsystem mit einem "gefährlichen" Erreger, also zum Beispiel einem krankmachenden Virus oder einem Impf-Antigen in Kontakt kommt, wird eine Immunantwort ausgelöst. Nach einer gewissen Zeit wird ein Plateau erreicht, was die Menge an Antikörpern angeht und dann beginnen die Antikörper langsam abzunehmen. Das liegt daran, dass unser Immunsystem klug ist. Einerseits möchte man nicht weiterhin Antikörper gegen "alles" produzieren, was ein Risiko darstellt und dem man irgendwann im Leben mal begegnet ist. Das kann zu Schäden führen, und deshalb gibt es Mechanismen, die die Immunreaktion gezielt allmählich herunterfahren.

Andererseits gibt es Mechanismen, die dafür sorgen, dass der Körper schnell reagieren kann, wenn wir erneut mit dieser "Gefahr" in Kontakt kommen. Das sind die Gedächtniszellen, die für die Produktion von Antikörpern und die zelluläre Reaktion verantwortlich sind. Bei einem erneuten Kontakt mit einer bekannten Gefahr werden sie sofort aktiviert, expandieren und bauen eine Barriere gegen eine Infektion oder Reinfektion auf.

Genau dafür sind ja die Zweitimpfungen gedacht, oder?

Genau, im Falle einer Mehrfachimpfung aktiviert die zweite Dosis diesen Mechanismus, wodurch die Reaktion verstärkt und verfeinert wird und ein größerer Pool von Gedächtniszellen entsteht. Wir wissen jetzt, dass sowohl die Infektion als auch die Impfung die Produktion von Gedächtniszellen anregen können und dass diese Gedächtniszellen so lange bestehen bleiben, wie man es bisher untersuchen konnte.

Nur weil also die Zahl der Antikörper niedrig ist, würde ich mir keine allzu großen Sorgen machen, es sei denn, wir beobachten ein inakzeptables Ausmaß an Durchbruchsinfektionen, insbesondere an mittelschweren bis schweren Verläufen. In diesem Fall wäre es tatsächlich wichtig herauszufinden, in welcher Bevölkerungsgruppe und wie lange nach der Impfung das geschieht, um eine gezielte dritte Impfung in Betracht zu ziehen.

Und in der Tat versuchen wir immer noch herauszufinden, was eigentlich ein guter Indikator für den Immunschutz ist. Daher wäre ich momentan sehr vorsichtig mit der Aussage, dass wir generell allen Geimpften nochmal eine Auffrischungsimpfung geben müssen. Wir könnten da womöglich eine große Menge an Impfstoff an Menschen verschwenden, die ihn gar nicht mehr brauchen. Und das in einer Zeit, in der Corona-Impfstoffe weltweit gesehen immer noch knapp sind.

Sie würden also dem WHO-Direktor für Notfälle, Mike Ryan, zustimmen, der sagte [independent.ie], Auffrischungsimpfungen seien so, als würden wir Rettungswesten an Menschen verteilen, die bereits Rettungswesten haben, während wir andere Menschen ohne eine einzige Rettungsweste ertrinken lassen?

Wie ich bereits sagte: Eine Drittimpfung mag für sehr genau definierte Gruppen durchaus sinnvoll sein, wie zum Beispiel für Hochrisikogruppen, die auf die Erst- und Zweitimpfung schlecht reagiert haben. Aber eine allgemeine Strategie der wahllosen Auffrischungsimpfungen halte ich für keine gute Lösung.

Angenommen, es tauchen jetzt neue Varianten auf: Wie leicht lassen sich die Impfstoffe an die neuen Varianten anpassen?

Bei mRNA-Impfstoffen wie Pfizer/Biontech und Moderna ist das im Prinzip weniger umständlich als bei der Anpassung eines "klassischen" Protein-Impfstoffs. Für Vektor-Impfstoffe wie Astrazeneca und Johnson & Johnson gilt das ebenfalls, aber hier müssen wir bedenken, dass die ursprüngliche sogenannte vektorspezifische Immunität greift und die Wirksamkeit der neuen Impfung beeinträchtigen könnte.

Im Grunde verwenden wir da ja ein anderes Virus als einen Vektor, als eine Art Kurier, um Informationen über die neue Coronavirus-Variante in die Zellen zu bringen. Und da könnte es sein, dass das Immunsystem dieses Vektor-Virus stoppt, bevor es die Informationen über die neue Coronavirus-Variante überhaupt weitergeben kann.

Das ist der Grund, warum von Schimpansen abgeleitete Viren oder selten zirkulierende Typen menschlicher Adenoviren als Vektoren verwendet werden, oder warum der Sputnik-Impfstoff auf einer ersten und zweiten Dosis basiert, bei der man verschiedene Adenoviren als Vektoren nutzt. Die Schlüsselfrage ist aber vielmehr, ob sich solide Beweise für die Notwendigkeit von neuen, angepassten Impfstoffen finden lassen.

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Was meinen Sie damit?

Moderna hat klinische Studien durchgeführt, bei denen geschaut wurde, wie gut als Drittimpfung eine niedrigere Dosis desselben Impfstoffs abschneidet - im Vergleich zu einer Dosis eines an die Varianten angepassten Impfstoffs, der die ursprüngliche Wildtyp-Linie und die Beta-Variante kombiniert. Und tatsächlich waren beide Strategien erfolgreich, wenn auch in leicht unterschiedlichem Ausmaß.

Man muss aber bedenken, dass wir bisher nur zwei Varianten beobachtet haben, nämlich Beta und Gamma, bei denen die Neutralisationsreaktion mit Blut von Geimpften und Genesenen deutlich schwächer waren. Dennoch waren aber auch da die Antikörper im Blut immer noch in der Lage, das Virus zu neutralisieren.

Die wichtigste Strategie besteht darum darin, weiter weltweit das Verhalten von Varianten zu beobachten und beim Auftreten von neuen Varianten rasch zu bewerten, ob sie ein Problem darstellen in Bezug auf Übertragbarkeit, Schwere der Erkrankung oder Effektivität der Impfstoffe. In jedem Fall müssen die Impfstoffhersteller das Tempo bei der Entwicklung von neuen Impfstoffen beibehalten. Aber nochmal: Diese Impfstoffe der nächsten Generation sollten nur dann eingesetzt werden, wenn es starke Belege dafür gibt, dass sie tatsächlich benötigt werden.

Wo wir von Impfstoffen der nächsten Generation sprechen: Wird die Möglichkeit von "nasalen Sprüh-Impfstoffen" nicht ausreichend diskutiert? Einige Experten sagen, dass solche Impfstoffe hilfreich wären, da das Coronavirus ja hauptsächlich über die oberen Atemwege übertragen wird.

Einige der Impfstoffprojekte zielen auf eine Impfung über die Schleimhäute. Dieser Ansatz könnte ein echter Durchbruch sein, um dauerhaft die Infektion und die Übertragung zu verringern. So haben wir in präklinischen und klinischen Studien mit solchen Impfstoffen hervorragende Reaktionen erzielt. Wir müssen aber auch bedenken, dass es immerhin Hinweise darauf gibt, dass mRNA-Impfstoffe in gewissem Maße Schleimhautreaktionen stimulieren können. Ob diese Reaktion in Bezug auf Stärke und Dauer das Niveau eines echten Schleimhaut-Impfstoffs erreicht, muss noch untersucht werden. Die Daten über fehlenden oder verminderten Schutz vor Infektionen scheinen jedoch eher gegen eine robuste, dauerhafte Wirkung zu sprechen.

Das bedeutet also, dass die derzeitigen Impfstoffe zwar den Einzelnen vor schweren Erkrankungen schützen, aber wahrscheinlich nicht in der Lage sind, die Übertragung für lange Zeit zu reduzieren?

Von Anfang an gab es keinen klaren Grund für die Annahme, dass einer der aktuellen Impfstoffe einen signifikanten und dauerhaften Schutz vor Infektionen generell bieten würde. Der bei den verschiedenen Impfstoffen in unterschiedlichem Maße beobachtete Schutz vor asymptomatischen Infektionen war wahrscheinlich auf den Übergang von Antikörpern aus dem Blut in die Lunge zurückzuführen, wo sie die Virusvermehrung hemmen.

Da die Antikörper aber eben über die Zeit im Blut abnehmen, ist es nur logisch, dass der Schutz vor Infektionen mit der Zeit schwächer wird. Trotzdem ist man dann aber noch nach wie vor sehr gut gegen die Krankheit und insbesondere schwere Verläufe geschützt.

Was erwarten Sie von zukünftigen Varianten?

Ich habe keine Kristallkugel und es wäre unklug, ein Untergangsszenario vorherzusehen oder übermäßig optimistisch zu sein. Ich kann nur sagen, dass es uns in sehr kurzer Zeit gelungen ist, wirksame Impfstoffe zu entwickeln und zu implementieren, die eine breite Immunreaktion fördern, sowie wirksame therapeutische Strategien. Glücklicherweise können wir bei Covid-19 außerdem vorhersagen, wer wohl ein hohes Risiko für schwere Verläufe hat. Die größte Herausforderung besteht darin, die Impfstoffe für genau diese Personen verfügbar zu machen.

Meine Hoffnung ist darum, dass wir durch die Kombination von Massenimpfungen und Immunität bei Rekonvaleszenten die Häufigkeit schwerer Infektionen weltweit verringern können und dass sich das Virus eher hin zu einer weniger gefährlichen Variante weiterentwickelt und vielleicht verschwindet, wie andere Coronaviren in der Vergangenheit.

Außerdem wissen wir, dass bei Rekonvaleszenten und geimpften Personen das Risiko einer Infektion extrem niedrig ist. Und selbst wenn sie sich infizieren, sind die meisten Infektionen nicht schwerwiegend. Die Lage sollte also definitiv besser werden.

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Wann, würden Sie sagen, können wir wieder zur Normalität zurückkehren?

Warten wir ab, was der nächste Winter bringt. Man muss schauen, wie viele schwere und leichte Infektionen es geben wird. Und wir müssen hoffen, dass wir vollständig die Risikogruppen durchgeimpft bekommen und insgesamt bei etwa 70 bis 75 Prozent abgeschlossenen Impfserien in der Gesamtbevölkerung landen. Ich bleibe immer noch Optimist.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Sendung: Inforadio, 25.08.2021, 6:05 Uhr

Beitrag von Haluka Maier-Borst

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