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Quelle: dpa/Annette Riedl

Was wurde aus ...? | Mutter aus Corona-Risikofamilie

"Am Ende sitzt man wirklich allein da"

Sandra W. lebt seit dem ersten Lockdown mit ihrer Familie komplett isoliert in Berlin. Denn ihr Mann und ihr Kind sind Risikopatienten, eine Corona-Infektion ist für sie lebensbedrohlich. Hat sich ihre Situation mittlerweile verändert?

In der Interviewserie "Was wurde aus ...?" fragen wir nach bei Menschen, deren Geschichten uns besonders bewegt haben. Im November 2021 hat uns Sandra Wagner* aus Berlin ihre familiäre Situation geschildert: Komplette Isolation aus gesundheitlichen Gründen. Unterstützung von offiziellen Stellen gab - und gibt - es ihren Aussagen nach nicht.

rbb|24: Hallo Frau Wagner, wir mussten unser Interview verschieben, weil Sie just zum Interviewzeitpunkt zu Ihrem an Krebs erkrankten Ehemann in die Klinik gerufen wurden. Wie geht es Ihrem Mann – und wie geht es Ihnen als Familie in diesem Sommer, der von der Omikron-Variante des Corona-Virus geprägt ist?

Sandra Wagner*: Uns geht es nicht gut. Das eine ist die Entwicklung der Krankheit meines Mannes, die dramatisch verlaufen ist. Das hat aber mit Omikron zwar erstmal nichts zu tun. Doch es vergrößert natürlich die Angst. Denn als Schwerstkranker, der auf eine Stammzellspende wartet, sich nicht impfen lassen kann und den durch die fehlende Abwehr im Körper jeder Schnupfen umhauen könnte, ist die Situation einfach anstrengend. Für uns als Familie hat sich seit November, als wir zuletzt miteinander sprachen, wenig geändert. Mein Kind geht wieder in die Schule, aber wir sind ansonsten immer noch sehr isoliert. Vor allem sozial.

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Waren Sie als Familie mit Grundschulkind denn in den Ferien?

Nein. Im Gegenteil. Es gab teilweise, was meinen Mann betrifft, nicht einmal die Möglichkeit, ihn im Krankenhaus zu beherbergen, weil es dort einen Pflegenotstand gab. Mein Mann war deshalb dreieinhalb Wochen zuhause. Wir waren und sind also im Ausnahmezustand. Denn ein geeigneter Pflegedienst war auch nicht zu bekommen. Und als Frau wird man gleich instrumentalisiert, egal ob man berufstätig ist oder nicht. Da soll man die Pflege übernehmen. Es war also überhaupt nicht erholsam. Wir, mein Kind und ich, waren im Anschluss, weil ich nicht mehr konnte, für einige Tage bei einer Freundin in Hamburg. Da konnte ich mal alle viere von mir Strecken. Das war unser Urlaub.

Ihr Mann und Ihr Kind sind Risikopatienten. Als wir letzten Herbst miteinander sprachen, sorgten Sie sich, dass eine etwaige Infektion beiden den Tod bringen könnten. Sind alle weiter ohne Ansteckung geblieben?

Ja. Wir hatten dahingehend bisher alle großes Glück.

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Außerdem rangen Sie um eine Offlabel-Impfung für Ihr Kind, das im Grundschulalter ist. Haben Sie die bekommen oder mussten Sie warten bis zum Jahreswechsel, als dann alle durften, die Kinder über 5 Jahre haben?

Wir mussten warten. Mein Sohn ist also inzwischen einmal geimpft. Wegen seiner Krankheit traut sich niemand, ihn doppelt zu impfen. Er trägt noch immer zwei Masken übereinander. Es haut ihn sowieso jeder Virus um. Da habe ich natürlich immer Sorge, er könnte Corona bekommen.

Was etwaige weitere Impfungen für meinen Sohn betrifft, der doch einige Nebenwirkungen wie tagelanges Fieber und Gliederschmerzen hatte, warten wir jetzt auf angepasste Impfungen.

Hat die Impfung des Kindes etwas Erleichterung gebracht?

Jein. Ich habe ihn mit einem etwas besseren Gefühl dann doch wieder in die Schule geschickt. Insbesondere in den ersten drei Monaten nach der Impfung, wo man ja sagt, dass die Wirkung der Impfung besonders hoch ist. Das hat immerhin für meinen Sohn etwas mehr Alltag gebracht. Meine eigene Angst hat es allerdings vergrößert.

Wir haben inzwischen die Schule gewechselt. In der neuen Schule kann er am Fenster sitzen und die um ihn herumsitzenden Kinder tragen seinetwegen freiwillig eine Maske. Aber wenn die Schule vorbei ist, darf er sich weiterhin nicht mit Freunden treffen oder Sport machen.

Wir führen kein normales Leben, das kann man nicht sagen.

Ist für sie irgendwo ein Ende dieser Situation in Sicht?

Absolut nicht. Mein Mann, der die Stammzell-Spende jetzt bekommen hat, befindet sich in einem sogenannten Zelltief. Das Immunsystem ist also am Boden und baut sich gerade neu wieder auf. Er ist extrem Infektionsgefährdet.

Wir wissen auch noch gar nicht, wie wir die Situation gestalten sollen, wenn er aus dem Krankenhaus nachhause kommt – so mit Kind und Katze. Es ist eine echte Herausforderung. Ich bin müde. Und ich kann meinen Mann, so traurig mich das macht, nicht selbst pflegen. Ich muss ja auch Geld verdienen. Das zerstört so eine Familie.

Können Sie wieder wie vor Corona arbeiten?

Nein, im Gegenteil, das ist ganz schwierig. Unsere finanzielle Situation ist äußerst angespannt. Ich musste Aufträge absagen.

Haben Sie Hilfe bekommen? Vom Amt oder anderswo?

Nein, gar nicht. Es melden sich immer mal wieder die Mitarbeiter großer Organisationen, die sich um Menschen wie uns kümmern. Die sind alle sehr nett, aber zeitnah können die auch nicht einspringen. Wenn ich für den nächsten oder übernächsten Tag jemanden brauche, geht das nicht. Sie brauchen einen Vorlauf von etwa zwei Wochen. Am Ende sitzt man wirklich allein da. Zu Beginn hat man noch Freunde. Nachdem die alle mal geholfen haben, hat man schließlich vielleicht noch eine Freundschaft, auf die man sich verlassen kann. Im Prinzip muss ich das alles alleine stemmen. Ich muss vor allen Dingen unbedingt beruflich wieder Fuß fassen.

Wir haben, wie schon erwähnt, zuletzt im November miteinander gesprochen. Hat sich in der Zeit in Ihrem Leben noch etwas ereignet, wovon Sie berichten wollen?

Wollen Sie jetzt etwas Positives hören?

Nein, gar nicht. Ich wollte fragen, ob es für Sie noch andere Ereignisse gab, von denen Sie erzählen wollen.

Nein. Sonst passiert ja in unserem Leben nichts. Wir sind eine spezielle Risikogruppe, die einfach Pech hat. Auch, was die Erkrankung meines Mannes betrifft. Seine Krebserkrankung hat sich innerhalb von zwei Wochen so dramatisch verschlechtert, wie es niemals vorhersehbar war. Und die Menschen sind des Themas einfach müde.

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Spiegeln Ihnen das die Menschen?

Ja. Ich höre von Bekannten lapidare Sätze wie den, dass eben jetzt jeder Corona bekomme. Und es bei ihnen ja auch nur wie ein Schnupfen gewesen sei.

Mir wurde auch schon unterstellt, ich würde Weltuntergangsstimmung verbreiten. Das erschreckt mich. Ich erzähle auch daher inzwischen niemandem mehr von unserer Situation. Ich bin es leid, ich habe die Nase voll. Ich stehe mit allem alleine da und soll mich dann auch noch rechtfertigen.

Was macht das mit Ihnen?

Ich würde so gern aus Berlin wegziehen in meine alte Heimat. Auf dem Land mögen die Menschen zwar mitunter einfacher sein, aber ich empfinde sie als herzlicher. Hier ist es so, dass ich nicht einmal Hilfe von Bekannten bekomme, wenn ich nachts anrufe, weil es einen medizinischen Notfall mit meinem Mann gibt.

Mit welchem Gefühl gehen Sie in diesen kommenden Herbst und Winter?

Ich denke, was Corona betrifft, geht alles wieder von vorne los. Wir haben alle nichts gelernt.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

*auf Bitte der Gesprächspartnerin bleibt diese anonym.

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