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Video: Abendschau | 03.07.2017 | Norbert Siegmund | Quelle: dpa/Wolfgang Kumm

Attentäter von Berlin

Sonderermittler bestätigt Aktenmanipulation im Fall Amri

Im Fall Anis Amri wurden im LKA Akten manipuliert - das bestätigt nun auch der Zwischenbericht des Sonderermittlers. Exklusiv dem rbb und der "Morgenpost" vorliegende Dokumente erwecken zudem den Verdacht, dass auch die Polizeispitze getäuscht wurde.

Der Sonderermittler zum Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche hat Manipulationen in Akten der Kriminalpolizei bestätigt. Er habe Hinweise, dass außer dem bislang bekannten Verfasser des gekürzten Berichts noch ein weiterer Kriminalpolizist beteiligt gewesen sei, sagte Sonderermittler Bruno Jost. Er stellte am Montag seinen Zwischenbericht im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses vor. Versagt habe zudem die zuständige Fachaufsicht, also der zuständige Kommissariatsleiter, sagte Jost weiter.

Zugleich verteidigte Jost die Arbeit der Polizei gegen allgemeine Beschuldigungen. "Eine undifferenzierte und pauschale Verurteilung der Polizei und des LKA ist aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt". Es habe "keine Hinweise auf flächendeckendes Fehlverhalten der Polizei" gegeben. Der Zwischenbericht ist inzwischen auch im Internet veröffentlicht worden.

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Berichte nachträglich frisiert

Amri hatte am 19. Dezember 2016 einen gekaperten Lastwagen auf den Berliner Weihnachtsmarkt gesteuert. Beim bislang schwersten islamistischen Terroranschlag in Deutschland starben zwölf Menschen, fast 70 wurden verletzt. Obwohl Amri als sogenannter Gefährder von Behörden beobachtet wurde und auch im Drogenmilieu aktiv war, konnte er sich weiter frei bewegen.

Nach Angaben des Sonderermittlers Jost kürzte und fälschte ein Kriminaloberkommissar am 19. Januar einen Bericht vom 1. November. Der Mann strich Mittäter von Amri im Drogenhandel und reduzierte die Vorwürfe. Jost betonte, mit den schwereren Vorwürfen wäre im November ein Haftbefehl und Inhaftierung für Amri möglich gewesen. Damals geschah aber nichts, die Kripo wurde nicht gegen Amri tätig. Durch die nachträgliche Änderung der Akte habe der Kriminaloberkommissar möglicherweise eigene Versäumnisse verschleiern wollen. Der Beamte habe sich aber nach seiner Kenntnis noch nicht zu den Vorwürfen geäußert.

Innenverwaltung erhielt falsche Informationen

Brisant ist zudem, dass die Polizeispitze die politische Führung offenbar falsch informierte. Eine exklusiv dem rbb und der Morgenpost vorliegende sogenannte Führungsinformation der Polizei an die Innenverwaltung verharmlost Amris bandenmäßiges Drogengeschäft ebenfalls als Betäubungsmittel-Kleinhandel. Dieses Papier hatte die Berliner Polizei kurz nach dem Anschlag an die Senatsinnenverwaltung geschickt.

Jost äußerte vor dem Innenausschuss zudem sein Unverständnis, dass die Staatsanwaltschaft Berlin nicht über den zehnseitigen Bericht einer Beamtin der Staatsschutzabteilung des LKA Berlin unterrichtet worden sei. Darin war die Beamtin zu dem Ergebnis gekommen, dass gegen Amri der Verdacht des bandenmäßigen und gewerbsmäßigen Drogenhandels bestand. Auch sei eine entsprechende Strafanzeige gegen Amri nicht unverzüglich weitergeleitet worden. Dabei waren diese brisanten Erkenntnisse allesamt schon vor dem Anschlag im polizeieigenen Computersystem gespeichert und auch für Vorgesetzte jederzeit nachlesbar.

Das wiederum, so Jost, hätte der Staatsanwaltschaft neue strafprozessuale Mittel wie eine erneute Observation eröffnet und sogar dazu führen können, dass Amri beim Drogenhandel "auf frischer Tat" erwischt worden wäre. Dann hätte womöglich sogar ein Haftbefehl gegen Amri erlassen werden können.

Amri agierte laut Bundesanwalt in Deutschland allein

Amri war nach den Erkenntnissen der Ermittler bis zum Schluss als Einzeltäter, der in Deutschland keine Komplizen hatte, unterwegs. Das sagte, ebenfalls vor dem Innenausschuss, der Karlsruher Bundesanwalt Thomas Beck. Es gebe keine Hinweise, dass Amri in Deutschland Unterstützer gehabt habe, so Beck, der bei der Bundesanwaltschaft die Abteilung Terrorismus leitet. Vom Ausland aus sei er allerdings von Mitgliedern des sogenannten Islamischen Staates (IS) angeleitet worden.

Beck sagte weiter, Amri habe sein Leben nicht über das Attentat auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche Ende 2016 hinaus geplant und deswegen auch sein Portemonnaie und zwei Handy bewusst am Tatort hinterlassen, um sich zur Tat zu bekennen. Möglicherweise habe Amri nicht damit gerechnet, den Anschlag selber zu überleben.  

Mit Informationen von Norbert Siegmund und Sascha Adamek

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